“Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world.” – Harriet Tubman
„Jeder große Traum startet mit einer Träumerin oder einem Träumer. Denk immer dran, du hast die Stärke, die Geduld und die Leidenschaft in dir, um nach den Sternen zu greifen und die Welt zu verändern.“ – Harriet Tubman
Harriet Tubman war als Afroamerikanerin 1849 erfolgreich der Sklaverei entflohen und engagierte sich danach als Fluchthelferin von SklavInnen aus den Südstaaten in die Nordstaaten und Kanada. Die Versklavung von AfroamerikanerInnen in den USA war eine der brutalsten und offensichtlichsten Formen des Rassismus und wurde 1865 abgeschafft. Doch Rassismus bleibt bis heute präsent – und das nicht nur in den USA, sondern genauso in naher Umgebung in Europa, Österreich und der Steiermark. Dabei sehen sich nicht nur Erwachsene mit Rassismus konfrontiert. Dieser ist gleichermaßen Teil des Alltags von jungen Menschen. Wie die 6. Steirische Jugendstudie aufzeigt, werden 4 von 10 der befragten steirischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund mindestens alle paar Monate Opfer von rassistischen oder ausländerfeindlichen Übergriffen.
Die positive Nachricht ist, dass viele junge Menschen Zivilcourage beweisen: 9 von 10 der befragten SchülerInnen helfen, wenn jemand ungerecht behandelt wird*. Jugendliche sehen die Problematik, die Rassismus mit sich bringt. Deshalb keimt der Traum, Rassismus abzuschaffen oder zumindest drastisch zu verringern, für den sich Harriet Tubman vor 200 Jahren schon einsetzte, auch heute in vielen jungen Menschen. Sie sagen „Es reicht!“ und rufen Projekte ins Leben, die einen Beitrag zur Aufklärung über und Stärkung von antirassistischem Denken sowie zur Aufarbeitung von rassistischen Erfahrungen leisten sollen. Unter diesem Motto hat auch Camila Schmid als Studentin die Social-Media-Plattform „Re-Define Racism“ ins Leben gerufen, die ihre FollowerInnen vor allem in Österreich, aber auch im ganzen deutschsprachigen Raum, erreicht.
Im Interview mit mir erzählt die junge Aktivistin über ihre Beweggründe durch ein Projekt aktiv gegen Rassismus zu werden, was sie am Rassismus in Österreich am meisten schockiert, die Idee und das Ziel von „Re-Define Racism“ und über bereichernde und schwierige Aspekte des Aktivismus.
Was ist Rassismus?
Camila Schmid: Rassismus ist ein Phänomen entstanden in der Kolonialzeit. Es geht darum, Menschen in eine Box zu stecken, sie zu entmenschlichen, zu kategorisieren und sich selbst auf ein höheres Podest zu stellen. Das kann auch unbewusst passieren, das muss nicht bewusst sein. Das sind keine schlechten Menschen, die rassistisch handeln. Sondern es ist einfach die Art, wie wir sozialisiert sind, die Art wie wir lernen zu denken, was wir sehen, wie wir sozialisiert sind von klein auf.
Was hat dich dazu bewegt, dich aktiv für Antirassismus zu engagieren?
Camila Schmid: Ich bin als schwarze Frau in Österreich aufgewachsen und habe dadurch sehr, sehr viele Erfahrungen mit Rassismus machen müssen. Der ultimative Auslöser war dann mein Erasmus-Semester in Budapest, wo ich erlebt habe, wie mich die Menschen behandelt haben. Das hat mich sehr traurig gemacht und auf eine Weise so mitgenommen, dass daraus diese Energie entstanden ist, dass ich Ideen entwickelt habe und aktiv geworden bin.
Was schockiert dich am meisten am Rassismus, der in Österreich passiert?
Camila Schmid: Dass Menschen so ignorant sind. Dass viele Menschen die Tatsache nicht sehen möchten oder können, dass weiße Menschen an diesem System Teilhabe haben. Ich wünschte, negativ und positiv von Rassismus betroffene Menschen würden gemeinsam daran arbeiten, Rassismus zu verringern. Ich wünschte, es gäbe ein Grundverständnis wie: „Okay, wir haben ein Problem. Wir sehen euch, wir hören euch und wir wollen daran arbeiten.“
Was ist die Idee hinter Re-Define Racism, was ist das Ziel?
Camila Schmid: Mein Ziel war es einerseits von Rassismus negativ Betroffenen eine Plattform zu geben, auf der Geschichten über Rassismuserfahrungen erzählt und gehört werden können; wo nicht gesagt wird, dass wir uns das nur einbilden, dass es ja nicht so schlimm wäre und wo sich aus dem Teilen der Erfahrungen nicht noch mehr Rassismen ergeben.
Gleichzeitig ist es auch eine Plattform, die viele Menschen nutzen, um einmal einen kleinen Einblick in diese Lebensrealitäten zu bekommen und zu verstehen, was eigentlich jeden Tag passiert, wenn wir rausgehen auf die Straße, in die Städte, in Dörfer, und sich eben damit auseinandersetzen, was uns passiert und wie sich Rassismus äußert.
Was für Wirkungen deines Projektes siehst du?
Camila Schmid: Ich habe bisher ziemlich positives Feedback erhalten. Viele Menschen, die mir schreiben, dass sie jetzt Dinge verstehen, die sie vorher nicht verstanden haben, oder Dinge sehen, die sie vorher gar nicht am Radar hatten, dass sie ein bisschen achtsamer mit ihren Mitmenschen umgehen und durchs Leben gehen.
Ich bekomme auch viel Feedback von negativ betroffenen Menschen, die sich freuen, dass ihre Geschichten gelesen werden, die sich freuen, dass sie teilhaben können daran, Aufklärungsarbeit zu leisten, die sich freuen, weil durch die Kommentare ein Austausch stattfindet und sie sich nicht so alleine fühlen.
Was ich an dieser Stelle sagen möchte: Es ist nicht selbstverständlich, dass Menschen ihre Geschichten erzählen und teilen. Fragen nach rassistischen Erfahrungen können retraumatisieren und verletzen. Das Lesen der Erfahrungen anderer soll also nicht dazu führen, dass People of Colour dann dauernd gefragt werden: „Was hast du schon erlebt?“
Ist dein Engagement eine Bereicherung für dich? Was sind schwierige Aspekte am Aktivismus?
Camila Schmid: Ja, mein Engagement ist in vielerlei Hinsicht eine Bereicherung. Eine große Bereicherung ist die Vernetzung mit sehr coolen Menschen. Inhaltlich habe ich sehr viel gelernt, denn ich setze mich mit dem Thema auseinander, lese Bücher und lerne immer mehr dazu. Ich bin mittlerweile wirklich stolz auf meine eigene Expertise. Die Arbeit macht auch einfach Spaß. Aber manchmal ist es zu viel neben meinem Job und meinem Studium, denn es steckt wirklich viel Arbeit hinter so einer Plattform. Ich habe deshalb mit mir selbst einen Kompromiss abgeschlossen: Wenn es keinen Spaß macht und ich keine Lust habe, dann lasse ich es auch. Das ist auch ein sehr positiver Aspekt, dass ich gelernt habe, auf mich selbst zu hören.
Fazit der Autorin – Drei Schlüsselaspekte in Richtung eines respektvollen Miteinanders
Das Interview mit Camila Schmid, die sich neben Studium und Job auch noch für antirassistische Aufarbeitung und Aufklärung engagiert und die Wirkungen, die sie damit erzeugt, haben mich sehr beeindruckt. Für mich hat das Gespräch aufgefrischt, dass es nicht selbstverständlich ist, dass Menschen, die Erfahrungen, die sie mit Rassismus gemacht haben, teilen und offen darüber erzählen. Als weiße und „von Rassismus positiv betroffene Person“ finde ich es wichtig, eine Balance dazwischen zu finden, die rassistischen Erfahrungen von negativ betroffenen Menschen zu sehen und ernst zu nehmen und sie zugleich nicht auf ihre rassistischen Erfahrungen zu reduzieren, so wie ich nicht auf meine Privilegien reduziert werden möchte. Die unterschiedlichen Erfahrungen als Person of Colour und als weiße Person dürfen im zwischenmenschlichen Kontakt nicht so sehr im Vordergrund stehen, dass sie einen Keil zwischen uns schieben und uns trennen. Gegenseitige Anerkennung, sich zuzuhören, Verständnis für die Lebensrealität des Gegenübers und gegenseitige Wertschätzung als Menschen sollten im zwischenmenschlichen Umgang immer im Vordergrund stehen. Was können wir also tun, um den gegenseitigen respektvollen Umgang zu stärken?
Zum einen ist Aufklärung, so wie es beispielsweise Camila mit Re-Define Racism macht, ein Schlüssel: Viele in Österreich lebende Menschen denken sich: „Ah ja, Rassismus, das gibt es“, wissen aber wenig darüber, wie weit verbreitet und schlimm dieser teilweise ist und vor allem, wie er sich für betroffene Menschen anfühlt.
Zum zweiten sind Solidarität sowie Verständnis und Mitgefühl ein Schlüssel: Menschen, die negative Rassismuserfahrungen machen, soll vermittelt werden, dass sie nicht eigenartig oder allein sind mit ihrem Erlebten. Sie sollen ernst genommen werden, ein offenes Ohr finden und ihre Erlebnisse ohne Verharmlosung teilen können.
Zuletzt ist der respektvolle Austausch mit Offenheit zur Reflexion ein Schlüssel für ein respektvolles Miteinander: Jeder Mensch soll den Raum haben, um seine eigenen Gefühle und Erfahrungen ausdrücken zu können und wertfrei gehört zu werden. Ohne in eine Verteidigungs- oder gar Angriffshaltung zu gehen, kann man sich die Eindrücke und Meinung des Gegenübers anhören. Dies erfordert gerade in der Thematik rund um Rassismus Offenheit sowie Kritikfähigkeit. Dies ist deshalb so, weil Rassismus ein diskriminierendes System ist, in dem einige Menschen aufgrund bestimmter Merkmale wie Hautfarbe, Herkunft oder Sprache benachteiligt und andere bevorzugt werden. Das heißt, für positiv Betroffene gilt es, die Kritik anzunehmen und sich einzugestehen, dass sie einer privilegierten Gruppe angehören und unberechtigter Weise Vorteile genießen, die anderen ungerechter Weise nicht offenstehen. Für negativ Betroffene gilt es, die Kritik gegenüber positiv Betroffenen konstruktiv zu äußern und nicht in Schuldzuweisungen ausarten zu lassen. Egal, welchen Hintergrund wir haben: Rassismus betrifft uns und ist ein allerseits emotional beladenes Thema. Lassen wir in der Antirassismus-Thematik nicht Emotionen der Abwehr, Trennung, und Schuldzuweisung überhand gewinnen, sondern besinnen uns darauf, dass wir an diesem ungerechten System nur dann etwas ändern können, wenn wir uns gegenseitig zuhören, respektvoll begegnen, multiperspektivische Erfahrungen und Expertisen zusammenführen und gemeinsam an der Abrüstung eines einseitig funktionalen Gedanken- und Gesellschaftssystems arbeiten.
Camila Schmid & Re-Define Racism
Camila ist 25 Jahre alt, studiert Internationale Beziehungen in Berlin und ist Politische Bildnerin, Referentin und Medienmacherin. In ihrem Instagram-Blog @camelanin thematisiert sie Themen, die sie bewegen, sowie etwa Anti-Rassismus, Feminismus, Intersektionalität und Dekolonialisierung. Ihre Plattform Re-Define Racism (@redefineracism) hat sie ins Leben gerufen, um Rassismuserfahrungen aus dem deutschsprachigen Raum einen Raum der Solidarität zu geben. Außerdem hält sie Workshops, Vorträge und vernetzt sich gerne mit aktivistischen Kolleg*innen.
* 6. Steirische Jugendstudie, ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus
Fotoverweise:
Abb. 1: von Pixabay
Abb. 2: von Tim Mossholder auf Unsplash
Abb. 3: © Camila Schmid
Verena Ulrich