Was DemokratInnen aller Länder von Donald Trump, Brexit, Europas Rechtsextremen und „abgehängten BürgerInnen“ lernen sollten (Teil 1)
BürgerInnen gehorchen schon wieder nicht den MeinungsmacherInnen!
Die stereotypen Reaktionen gleichen der Monotonie von Gebetsmühlen: „Um Himmels willen: Da wählten Bürgerinnen und Bürger wieder einmal die falsche politische Option! Wie zuvor schon beim Brexit und bei allen Wahlen, bei denen politische Extremisten erdrutschartige Zuwächse verzeichneten.“ In den social media herrschte Weltuntergangs- und Endzeitstimmung ob der Tatsache, dass Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt worden ist. Freilich ist Trump die befremdende, abstoßende Inkarnation und schrille Ikone einer Politik der Inszenierung, des Ressentiments und der hemdsärmeligen Vereinfachung unserer unumkehrbar komplex gewordenen digitalen Top-Speed-Welt. Wer glaubt jedoch ernsthaft, dass Trump mehr ist als ein Symptom, an dem sich die verfestigte Krise der Demokratie ablesen lässt?
Ewig gleiche Rezepte politischer Gift-Cocktails via Twitter & Co. gemixt
Trumps politischer Gift-Cocktail besteht aus jenen Zutaten, mit denen Europas rechtsextreme Recken – Le Pen, Farage, Wilders, Orban, Petri, Strache und andere – seit Jörg Haider von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilen:
- Zuspitzung des sogenannten „Ausländerthemas“ auf das Motto: „Wir Einheimischen gegen die Fremden“
- Köcheln des ungelösten Migrationsthemas auf mittlerer Flamme, die mitunter zu buchstäblichen Bränden, jedoch niemals zu Lösungen führen darf. Regierungen lassen das Migrations- und Integrationsthema seit den 1990er Jahren weitgehend ungelöst, liefern den Brennstoff für Brandsätze aller Art.
- Reduktion und Simplifizierung aller Themen unserer komplexen Gesellschaften auf vermeintliche Einfachheit, auf das Kleinformat von Parolen und Slogans, auf kindliche Denkmuster: „Wenn wir die Augen zumachen, dann sind Migration und Globalisierung nicht mehr da, oder?“
- Einteilung der Menschen in „Gute versus Böse“ sowie rabiates „Schwarz-Weiß-Denken“ mit einem Arsenal an Sündenböcken;
- Selbstinszenierung als „Wir sind das entrechtete Volk“, das von Establishment, Abzockern, Lügenpresse, denen da oben und Gutmenschen im stählernen Würgegriff gehalten wird.
- Inszenierung des Mythos einer anderen Politik für das verratene Volk, ohne dass der Mythos Konzept, Programmatik oder Umsetzung braucht. Es genügt die Werkzeugkiste wohlfeiler Rhetorik und bedeutungsloses Andeuten: „We need change!“
- Schranken- und hemmungslose Entfesselung aller Schattenseiten, Todsünden und Abgründe der conditio humana: Ressentiments, Animositäten, Stereotype, Hass, Hetze, Sozialneid, Rassismus, Diskriminierung, Diffamierung, Ichtiotiev.m.
Verwundern sollte uns die Verwunderung der Eliten!
Politische Urgesteine verwundert die Wahl Donald Trumps, das britische Brexit-Votum und der Siegeszug rechtsextremer Parteien in Europa weitaus weniger, als dies bei den Empörten, Bestürzten und Entrüsteten mit emotionalem Impetus artikuliert wird. Sie warnen die Regierungen seit Jahrzehnten wie Kassandra vor dem Verharren im Problembad, statt Lösungen zu liefern, vor dem desaströsen Zurückweichen, vor dem hundsföttischen Einknicken, vor grotesken Überholmanövern und dem unsäglichen Nachäffen der Politikmuster jenes rabiaten Populismus, der zur Erosion der Demokratie führt.
Demokratie ersetzt nicht das Volk, sondern obsolete Konzepte!
DemokratInnen aller Länder sollten einer politischen Untugend jedenfalls abschwören: Wenn eine Wahl nicht wie gewünscht ausgeht, sollen sie nicht auf die Idee kommen, das Volk zu ersetzen. Nein, sie sollten offenkundig obsolete Politikkonzepte radikal neu denken, im gewaltfreien Dialog mit den BürgerInnen. Und das Erarbeitete bitte umsetzen. Denn wer sich zur Demokratie, zum Bürger, zu den Institutionen zweideutig oder ablehnend verhält, der darf sich über den Siegeszug der Extremisten nicht wundern, denn er/sie ist Katalysator für antidemokratische Tendenzen aller Art.
Demokratie bleibt die beste aller schlechten Regierungsformen
Churchill und Popper bleiben uneingeschränkt gültig: Demokratie als schlechteste aller Regierungsformen bleibt zugleich die beste! Die schlechteste Regierung kann nur in Demokratien abgewählt werden, nur dort, nicht in autoritären Systemen, wo BürgerInnen von Diktatoren, Terroristen und Warlords tyrannisiert werden. Großbritannien und die USA bleiben trotz Trump und Farrage ohne Zweifel gefestigte Demokratien, zugleich unverzichtbare Bündnispartner der EU und der freien Welt. Christian Ehetreiber
Links:
Christian Ehetreiber: Briten haben Europas Verwerfungen sichtbar gemacht
ORF Die Ergebnisse der US-Wahlen
ORF Warum Clinton verloren hat
ORF Liveticker zur US-Wahl im Stenogrammstil
US-Wahl: Kommentar in der ZEIT online von Carsten Luther
US-Wahl: Internationale Reaktionen, zusammengestellt von ZEIT online