Buchpräsentation „Die Eisenstraße 1938-45“ im Brucker Stadtmuseum

„Mir gefällt an eurem Buch, dass Ihr vielen Opfern des NS-Terrors ihre Gesichter, Namen und Lebensgeschichten zurückgeben habt.“ Mit diesen Worten zollte eine engagierte Teilnehmerin bei der Buchpräsentation am 22.4.2013 im Brucker Stadtmuseum den drei Herausgebern Anerkennung. Ihr Statement fokussiert präzise, wie Prozesse der Dehumanisierung einsetzen: mit Namens- und Gesichtsverlust, mit der Reduktion der Individualität eines Menschen durch kahl geschorene Köpfe und dem Zwang, Einheitskleidung zu tragen. Die Identität auf Nummern und Symbole zu reduzieren, dient ebenfalls dazu, möglichst viel von einer Persönlichkeit systematisch auszulöschen. Die Propaganda setzt einen weiteren Schritt im Dehumanisierungsdrama. Sie entwirft die Namenlosen als Parasiten, Schmarotzer, Schädlinge, womit die zunächst implizite, alsbald jedoch explizite Aufforderung einhergeht, gegen diese „Volksschädlinge“ vorzugehen, sie zuletzt der sogenannten „Endlösung“ durch Massentötungen zuzuführen, wie dies u.a. auch am Präbichl am 7.4.1945 geschehen ist. Dort wurden über 200 ungarische Jüdinnen und Juden vom Eisenerzer Volkssturm ermordet.

 

Die Gäste diskutieren über die Gefahren der europäischen
Demokratien von Arbeitslosigkeit bis Rechtsextremismus

 

April 1945. Vordernberg: „Erschlagt die Juden“

Eine Zeitzeugin berichtete, sie habe in Vordernberg eine Frau in Erinnerung, die beim Todesmarsch 1945 den NS-Begleitmannschaften lautstark zurief: „Erschlagt die Juden!“ Ein anderer Zeitzeuge erzählte von frierenden, hungernden und in ihrer Not Gras essenden Menschen: ein Bild des sprichwörtlichen Grauens. Die Diskussion kreiste sehr bald um die Frage, wie derartige Prozesse einer massenwahnartigen Dehumanisierung zu verhindern seien, wie, wann und wo der sprichwörtliche Hebel anzusetzen ist, um eine Renaissance des NS-Terrors zu verhindern? Die Gäste arbeiteten im Dialog mit den Herausgebern einige essenzielle Determinanten heraus, um den Rückfall in repressive Muster zu vermeiden. In Ungarn etwa versuchten zwei Tage vor der Brucker Buchpräsentation – am 20.4.2013 – ungarische Rechtsradikale, eine „Adolf-Hitler-Gedenkwanderung“ zu veranstalten und wurden dabei erstmals von Polizei und Behörden daran gehindert – siehe ORF-Bericht.

26 Millionen Arbeitslose – eine tickende Zeitbombe

Konsens bestand darin, dass die aktuelle Massenarbeitslosigkeit von über 26 Millionen im Raum der EU 27 – wie in den 1930er Jahren – ein Pulverfass für Demokratie, Rechtsstaat und soziale Sicherheit ist. „Es tickt die Zeitbombe der Massenarbeitslosigkeit“, brachte es ein Teilnehmer auf den Punkt.

Werner Anzenberger stellte die provokante Frage, weshalb es europaweit möglich ist, jene Politik zu wählen, die offenkundig gegen die vitalsten Lebensinteressen der arbeitenden Menschen verstößt. Viele dieser von Politik enttäuschten Menschen seien etwa brillante Häuslbauer, doch bei der Einschätzung der politischen Folgen ihres Ankreuzelns von Parteien in den Wahlzellen benehmen sie sich mitunter wie naive Tölpel. Ein Regionalpolitiker sah in der „Selbstdemontage der Politik“ ein weiteres Übel, das zu selbstschädigendem Wahlverhalten am Wahltag führe, abgesehen von grassierender Politik(er)verdrossenheit.

Neoliberale Propaganda entwirft Sozialstaat als Kostenfaktor

Die europäischen Lobbies, die immer noch Bannerträger der neoliberalen Revolte gegen starke Sozialstaaten sind, setzen sich gegen kluge sozialpolitische Reformen zumeist durch, indem sie eine große Mehrheit durch geschickte Propaganda dazu bringen, gegen vitale Eigeninteressen zu wählen. Ehetreiber erinnerte daran, dass es der neoliberalen Revolte seit den 1980er Jahren erfolgreich gelungen sei, den Sozialstaat nur noch als „Kostenfaktor“, als „soziale Hängematte“ und als „Klotz am Bein der Wirtschaft“ zu entwerfen, was nahezu alle Eliten in Wirtschaft, Medien und Politik nachplappern, statt in globaler Perspektive starke Sozialstaaten umzusetzen. Die Propaganda entwerfe nämlich sehr oft den Wirtschaftsstandort und den Sozialstaat als sich ausschließendes Gegensatzpaar, was freilich Unfug sei. Denn jeder Sozialstaat braucht eine leistungsstarke Wirtschaft und umgekehrt.

ZeitzeugInnendialoge sichern besseres Verstehen der Geschichte

Einige anwesende LehrerInnen betonten die Notwendigkeit, für all die zitierten Themen auf den ZeitzeugInnendialog zu setzen. Martina Mauthner, Leiterin der ARGE-Regionalstelle Obersteiermark, berichtete dazu kurz von den Angeboten der ARGE Jugend in der Zeitzeugenarbeit, vom Workshop bis zum Projekt „Generationendialog erobert Youtube“. Dieser „institutionalisierten“ Form des intergenerativen Dialoges komme u.a. auch deshalb Bedeutung zu, weil zu Hause zwischen den Generationen oft viel zu wenig geredet werde, schon gar nicht über so heikle Themen wie „Demokratie versus Zwangsherrschaft“. Zur bislang 6. Buchpräsentation – nach Graz, Leoben, Donawitz, Trofaiach und Eisenerz – waren 30 Gäste gekommen, bei allen sechs Präsentationen konnten 416 Personen erreicht werden. Die Auflage des Buches ist beinahe ausverkauft, und das nach knapp fünf Monaten.

Weitere Fotos der Buchpräsentation.