Stress: Ein immer wieder auftretendes Gefühl im Alltag vieler Menschen

Ein Interview mit ARGE Jugend Referentin Denise Vogl

Jeder kennt es, dieses eine Gefühl, das uns nur zu oft im Alltag begleitet. Haben wir einen Termin vergessen oder müssen wir noch schnell etwas erledigen? Steht eine wichtige Prüfung an oder müssen wir uns unter Zeitdruck auf ein Meeting vorbereiten? Bei dem Gefühl, das in solchen Situationen aufkommt, handelt es sich um Stress.

Wichtig ist an diesem Punkt, zwischen guten und schlechten Stress zu unterscheiden, denn keinesfalls ist Stress nur negativ behaftet. Eustress, der sogenannte positive Stress, kann in angespannten und anstrengenden Situationen einen positiven Effekt ausüben. Mehr dazu im Interview mit ARGE Jugend Referentin Denise Vogl:

 

Victoria Hemmer (ARGE Jugend):

„Was genau bedeutet Stress und welche Auswirkungen hat er auf uns und unser Leben?“

ARGE Jugend Referentin Denise Vogl: Man kann Stress im Allgemeinen als eine gewöhnliche, unspezifische Anpassungsreaktion unseres Körpers auf jede An- und Herausforderung bezeichnen, die uns im alltäglichen Leben begegnet und an uns gestellt wird. Das heißt, eine Situation bzw. eine Anforderung, die bei uns Stress auslöst (auch Stressor genannt) setzt grundlegend den immer gleichen physiologischen Prozess in Gang, der dazu dient, Ressourcen und Mechanismen bereitzustellen, um die stressinduzierende Anforderung gut bewältigen zu können.

Dabei ist es egal, ob es sich beim Stressor um eine bestimmte Aufgabe, einen Konflikt, eine Krankheit oder einen bevorstehenden Auftritt handelt.  Evolutionstheoretisch werden wir Menschen in diesen Stresssituationen durch diese körperlichen Prozesse auf eine Kampf- oder Fluchtreaktion vorbereitet: Unsere Sinne werden geschärft, unsere Aufmerksamkeit wird erhöht und unsere Energie zum Einsatz bereit gemacht. Dies bedeutet, Stress macht uns, zumindest kurzfristig, leistungsfähiger und gehört zu unserem Leben dazu.

 

Victoria Hemmer (ARGE Jugend):

„Ist Stress immer negativ?“

ARGE Jugend Referentin Denise Vogl: Keineswegs ist Stress immer negativ. Es kann zwischen positiven Stress („Eustress“) und negativen Stress („Distress“) unterschieden werden. Ob wir Stress als positiv oder negativ empfinden hängt zu einem großen Teil von unserer individuellen Wahrnehmung und Bewertung ab und führt zu unterschiedlichen Gefühlszuständen und Auswirkungen.

Schätzen wir beispielsweise eine Situation als herausfordernd ein und sind wir der Überzeugung, dass diese mit unseren Fertigkeiten und Fähigkeiten bewältigbar ist (zB die Aufgabe eine Präsentation zu halten) ein, so wird der wahrgenommene Stress dafür sorgen, dass unsere Kräfte aktiviert werden und wir uns zuversichtlich, hoffnungsfroh und zufrieden fühlen.

Positiven Stress erleben wir besonders in Situationen der Vorfreude und der erwünschten Veränderungen (zB Hochzeit, Geburt, Umzug).  Er sorgt für kurzfristige Anspannungsphasen und wird dann von einer Entspannungsphase abgelöst – wir gehen gestärkt aus diesen Erlebnissen hervor.

Distress hingegen empfinden wir, wenn wir uns einer Anforderung nicht gewachsen fühlen und uns aufgrunddessen hilflos und handlungsunfähig fühlen. Oft gehen diese Stresssituationen mit Angst- und Gereiztheitsgefühlen einher und blockieren unsere Fähigkeit, Schwierigen und Probleme rational anzugehen. Es fällt uns schwer zu entspannen und abzuschalten. Vorsicht ist vor allem dann geboten, wenn dieser Stresszustand über längere Zeit andauert oder immer wiederkehrt. Distress laugt uns auf Dauer aus, da der Körper fortwährend dafür sorgt, dass Energiereserven bereitgestellt werden und zugleich oft wenig Energie durch Entspannungsmomente aufgetankt wird.

 

Victoria Hemmer (ARGE Jugend):

„Kann man negativen Stress gänzlich vermeiden oder gehört auch dieser zum Leben dazu?“

ARGE Jugend Referentin Denise Vogl: Sowohl positiver Stress, als auch negativer Stress sind Teil eines bunten, lebendigen Lebens. Anforderungen, die unsere aktuellen Fähigkeiten übersteigen, fordern uns heraus und ermöglichen uns persönliches Wachstum und Lernen. Jedoch ist es wichtig darauf zu achten, dass Überforderungsgefühle und negative Stresszustände nicht dauerhafte Begleiter sind.

Sobald wir merken, dass es uns schwerfällt zu entspannen, abzuschalten, sich die Gedanken nur noch um das Stressthema drehen und ein Gefühl des Ausgelaugtseins auftaucht, sollte man aktiv gegenlenken und/oder sich Unterstützung suchen.

 

Victoria Hemmer (ARGE Jugend):

„Welche 3 Strategien zur Stressbewältigung im Alltag würdest du uns empfehlen?“

ARGE Jugend Referentin Denise Vogl: Ein Aspekt, der unser alltägliches Stresslevel häufig nach oben schraubt, sind unsere eigenen Denk- und Bewertungsmuster. Es kann guttun, seine eigenen Ansprüche und Bewertungen erst einmal in Frage zu stellen und zu versuchen, diese zu verändern:  Bin ich zu perfektionistisch und zu streng mit mir? Ist gut genug nicht auch gut? Was wäre das schlimmste Szenario, das eintreten könnte, wenn es schief gehen würde? Gibt es wirklich Grund, sich so gestresst zu fühlen? Welche Fähigkeiten besitze ich, um die Situation zu bewältigen? Oft kann man dadurch eine gewisse Distanz zu seinen eigenen Gedanken herstellen, die Situation etwas von der Ferne betrachten und feststellen, dass das Stressgefühl nachlässt.

Körperlicher Ausgleich: Unser Körper leistet Enormes, wenn wir uns in einer Stresssituation befinden. Das ist ganz natürlich und bedeutet für ihn nur dann eine Überbeanspruchung, wenn es kein Gegengewicht dazu gibt. Deshalb ist es so wichtig für Erholungs- und Entspannungsphasen zu sorgen und dem Körper den Abbau von Stresshormonen zu ermöglichen. Dies gelingt besonders durch Bewegung und Sport an der frischen Luft. Nicht nur der Körper kommt dabei zu einem Ausgleich, sondern auch dem Geist ist es möglich sich zu sortieren und zur Ruhe zu kommen.

Soziale Kontakte: Ein Grundbedürfnis von uns Menschen ist es, uns als Teil von etwas Größerem zu begreifen uns sozial integriert und eingebunden zu fühlen. Positive Kontakte zu Familie, FreundInnen, Bekannten etc. gibt uns das Gefühl nicht allein zu sein und wirkt stark stressreduzierend. Auch ermöglicht es uns, über unsere Belastungen zu sprechen und andere Perspektiven und Sichtweisen zu bekommen.

 

Victoria Hemmer (ARGE Jugend):

„Als klinische Psychologin und Pädagogin arbeitest du auch viel mit Methoden der Positiven Psychologie, der Resilienzforschung und des Stressmanagements. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse und Methoden zum Thema Stress aus diesen Fachbereichen?“

ARGE Jugend Referentin Denise Vogl: Mit Resilienz meint man die mentale Widerstandskraft, die es einen Menschen ermöglicht auch besonders intensive Stressphasen und widrige Lebensumständen gut zu bewältigen und sogar gestärkt daraus hervorzugehen.

Die gute Nachricht lautet: Resilienz kann man lernen und entwickeln. Die Forschung zeigt, dass das Training von Dankbarkeit und Achtsamkeit wesentliche Schutzfaktoren vor der Entwicklung psychischer Erkrankungen darstellen. Je achtsamer wir durch unser Leben gehen, desto leichter fällt es uns, all das Schöne, Positive, Magische und Hoffnungsvolle in unserem Leben wahrzunehmen und unsere Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Dies setzt einen Positiv-Kreislauf in Gang, denn für all das Schöne und Positive können wir dankbar sein, was wiederum positive Gefühle verstärkt und dazu führt, dass wir unserer Umwelt und Herausforderungen positiv entgegentreten und somit weitere Erfolgserlebnisse in Gang setzen. Es sind die kleinen Dinge, die großes bewirken können. Vielleicht überlegt man sich, mit einem Dankbarkeitstagebuch zu starten?

 

Victoria Hemmer (ARGE Jugend):

„Die meisten Menschen wünschen sich die Fähigkeit, Belastungen, Hektik und unangenehme Gegebenheiten möglichst abprallen, gar nicht erst aufkommen zu lassen oder zumindest locker wegstecken zu können. Was empfiehlst du als Expertin: wie können wir uns selbst dahingehend stärken, diese Fähigkeit aufzubauen?“

ARGE Jugend Referentin Denise Vogl: Ich denke, es ist ein Irrglaube, dass wir Belastungen, unangenehmen Gefühlen und Gegebenheiten aus dem Weg gehen oder sie abprallen lassen können. Die gesamte Bandbreite an Gefühlen und Erlebnissen gehört zu unserem Leben dazu, dadurch wird es bunt und lebendig, wie ein Regenbogen. Je nach Lebensphase und unserem aktuellen Befinden fällt es uns leichter oder schwerer mit gewissen Umständen und Belastungen zurechtzukommen. Von Bedeutung ist es, dass man sich nicht als Opfer der Gegebenheiten fühlt, sondern überlegt wo man aktiv Handlungsspielraum hat, um die Situation zu verändern. Auch wenn es nur etwas ganz Kleines, scheinbar Irrelevantes ist, das man zu verändern versucht, vermittelt es einem das Gefühl, sein Leben selbst in der Hand zu  haben und Gestalter seines Lebens zu sein. Dazu gibt es ein Zitat, das mich sehr berührt:

„Erfahrung ist nicht das, was Menschen geschieht. Sie ist das, was ein Mensch aus dem macht, was mit ihm geschieht.“ (Aldous Huxley)

(Quelle: Pixabay)

 

Bearbeitet von Ina Krugfart und Victoria Hemmer