Statement zum 16. Lebensmarsch 2023 am 17.5.2023 beim Mahnmal auf dem Präbichl
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, lieber Thomas Rauninger!
Sehr geehrter Herr Vizebürgermeister, lieber Hans Peter Iraschko!
Sehr geehrter Herr Gemeinderat und Obmann des Kulturausschusses, lieber Gerhard Niederhofer!
Liebe Freundinnen und Freunde!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Bei Kälte, Wind und Regen will ich mich kurz fassen. Zuvorderst möchte ich jedoch alle am diesjährigen Lebensmarsch teilnehmenden Jugendliche und ihre Lehrer*innen mit einem herzlichen Glück auf begrüßen:
BBS Weyer, Oberösterreich
MS Eisenerz
Polytechnische Schule Eisenerz
BORG Eisenerz
BHAK Eisenerz
HLW Krieglach
Polytechnische Schule Trofaiach
Vielen Dank an Euch, dass Ihr den widrigen Wetterverhältnissen getrotzt habt, um am 16. Lebensmarsch teilzunehmen! Ich danke auch meinem geschätzten Freund, Lehrer und Musiker, Mag. Robert Gradauer, der für die heutige musikalische Rahmung der Veranstaltung sorgen wird. Stellvertretend für die gemeindeübergreifende Zusammenarbeit in der Erinnerungsarbeit will ich Mag. Wini Hofer und Harald Schober herzlich begrüßen und ihnen für die langjährige Kooperation danken! Ich danke auch meinem Team der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus, Saskia Schuligoi, Hannah Grosser und Eljesa Jashari herzlich für die erfolgreiche Mitarbeit im Organisationsteam von Gerhard Niederhofer, dem Initiator und Projektverantwortlichen für die 16 bisherigen Lebensmärsche!
Was lässt sich aus dem Todesmarsch 1945 für die Zukunft lernen?
Was könnt Ihr, liebe Jugend, was können wir, liebe Gäste, vom Todesmarsch der ungarischen Jüdinnen und Juden im April 1945 für unsere Zukunft lernen? Was können wir den leidenschaftlich vorgetragenen Ausführungen Gerhard Niederhofers – wie auch von zahlreichen Zeitzeug*innen und Historiker*innen – an Haltungen und an nützlichem Wissen für eine humane, freie, gerechte und friedliche Welt als „Werkzeuge“ entnehmen? Was hilft uns, unser Zusammenleben in Vielfalt in einer hoch komplexen Welt mit Respekt, Wertschätzung, Akzeptanz, Toleranz, mit Konsens und Kompromiss zu gestalten?
Courage gefragt im Widerstreit zwischen Demokratie und Diktaturen
Im Widerstreit der Demokratie mit Diktaturen ging und geht es immer um das Erkennen, Nutzen und Trainieren von individuellen und gemeinschaftlichen Handlungsspielräumen. Ob, in welcher Weise und für welche Ziele wir Handlungsspielräume wirkungsvoll für Humanität, Solidarität, Frieden, Freiheit und Demokratie oder für das jeweilige Gegenteil einsetzen, das hängt von unserer erlernten Gewissensstärke ab, von unseren erworbenen gelebten Haltungen, von Herzensbildung, von selbstreflexivem Denkvermögen, von Zivilcourage und von kluger Handlungskompetenz.
Egomanie und Ichtiotie erodieren die Vitalität der Demokratie
Mit wohlstandssaturierten, egozentrischen Politikverweigerern, die sich über aktuelle Themen unserer Zeit nicht informieren, die nicht an Wahlen teilnehmen, sich nicht für das Gemeinwesen engagieren, die keine Verantwortung übernehmen in der Gemeinde oder in der Arbeitswelt, ist buchstäblich kein Staat zu machen, ist keine von Gemeinschaftssinn und Zusammenarbeit geprägte Gesellschaft weiterzuentwickeln. Unter der weit verbreiteten Tyrannnei von Eigennutz und egomanischer Ichtiotie verliert die Demokratie in einem langjährigen Abnützungs- und Erosionsprozess ihre Vitalität. Die Demokratie gegen alle Anfeindungen von innen und außen verteidigen und unsere Gesellschaft weiterentwickeln, das werden wir nur dann, wenn wir unsere Handlungsspielräume mit differenziertem Denkvermögen, mit Gewissensstärke und mit dem sprichwörtlichen aufrechten Gang in all unseren Lebenswelten einsetzen: für menschenfreundliche Ziele (von lokaler bis globaler Ebene), für Freiheit, Solidarität, Frieden, Menschenrechte und Menschenpflichten und für soziale Gerechtigkeit.
Mutiges, solidarisches Handeln in Zeiten der politischen Finsternis
Wir finden selbst in der Finsternis des Nationalsozialismus leuchtende Beispiele für Nächstenliebe, Solidarität, Hilfe und Zivilcourage, die für Euch, liebe Jugend, wie auch für uns ältere Jahrgänge Vorbild und Kompass sein mögen im lebenslangen Prozess unserer Persönlichkeitsentwicklung.
Der Arbeiter Josef Juwanschitz aus St. Peter Freienstein verteilte Lebensmittel an die Jüdinnen und Juden des Todesmarsches und versteckte zwei von ihnen in seinem eigenen Haus unter Lebensgefahr, da dort auch SS-Soldaten untergebracht waren.
Maria Maunz und ihre Mutter, vulgo Liessbäuerin aus Landl, verpflegte trotz massiver Einschüchterungen seitens des NS-Ortsgruppenleiters eine große Zahl an Jüdinnen und Juden mit Erdäpfelsuppe und Brot. Juditha Hruza, die zusammen mit Bela Budai als Überlebende des Todesmarsches am 16.6.2004 an der Eröffnung des Mahnmals am Präbichl persönlich teilnahm und vom Lauf um ihr Leben im Kugelhagel des Eisenerzer Volkssturmes erzählte, erinnerte sich an die Verpflegung der hungrigen Jüdinnen und Juden bei der Liessbäuerin. Maria Maunz erzählte diese Geschichte in Anwesenheit von Juditha und Bela bei der Eröffnung am Präbichl im Jahre 2004.
Der Frohnleitener Volkssturm verweigerte den Erschießungsbefehl marschunfähiger Juden. Kurzum: In vielen Gemeinden, durch die der Todesmarsch 1945 von der ungarischen Grenze bis Mauthausen und Günskirchen führte, erfuhren wir im Zuge unserer jahrelangen Recherche von berührenden, mutigen und solidarischen Handlungen auf Seiten der gequälten jüdischen Opfer. In Yad Vashem fand ein Historiker aus Hartberg beeindruckende schriftliche Dokumente von Überlebenden des Todesmarsches aus der Nachkriegszeit, in denen von diesen vorbildlichen Taten der Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit berichtet wird, vor allem von den Wirkungen auf die Hoffnung, die Zuversicht und auf das Durchhaltevermögen der gepeinigten, gequälten und misshandelten Jüdinnen und Juden. All diese helfenden und couragierten Personen, die oft unter Einsatz ihres Lebens ihre Handlungsspielräume für die Mitmenschen einsetzten, seien Euch, liebe Jugend, liebe Gäste, und uns allen Vorbild und Richtschnur für das Menschenmögliche unter repressiven Zwangsbedingungen eines totalitären Unrechtsregimes. Denn es gilt die universelle Lehre aus dem Talmud: „Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt!“ Ich danke für Eure Aufmerksamkeit!
Weiterführende Links zum Todesmarsch 1945
Juditha Hruzas Erinnerungen an ihren Lauf um ihr Leben im Jahr 1945
Todesmarsch Eisenstraße (mehrere Links)