Gemeinsam stark gegen Mobbing

 

Von anderen schikaniert und beschimpft werden – jeder hat im Laufe des Lebens, vor allem in der Schulzeit, schon einmal einen Konflikt oder Streit bewältigen müssen, aber sehr viele haben auch schon ein gewisses Maß an Mobbing erlebt. Doch wann kann man eigentlich von Mobbing sprechen? Wann beginnt Mobbing und wann hört es wieder auf? Und was bedeutet es wirklich gemobbt zu werden? In diesem Blogbeitrag wollen wir uns dem Thema “Mobbing in Schulen” widmen und lassen zwei Expert*innen zu Wort kommen.

 

 

Was ist Mobbing?

Streitereien, Schikane oder Beschimpfungen? Das Wort „Mobbing“ hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr etabliert und wird auch immer häufiger verwendet, doch hat es teilweise an Bedeutung verloren. „Ich werde gemobbt“ wird heutzutage oft falsch benutzt, zum Beispiel wenn es sich lediglich um einen Konflikt oder einen kurzen Streit handelt. An dieser Stelle muss man deutlich sagen: Nicht jede Streiterei ist Mobbing! Jörg Kapeller ist freiberuflicher Pädagoge und Mediator sowie Referent der ARGE Jugend und auch er hat hierzu eine klare Meinung: „Mittlerweile ist es so, dass das Wort Mobbing viel zu oft verwendet wird. Wegen jedem Konflikt und jedem Streit heißt es sofort, dass jemand gemobbt wird. Mobbing hat aber ganz klare Kennzeichen. Deswegen ist es auch sehr gefährlich, dass dieses Wort zu inflationär verwendet wird. Wenn Kinder zu ihren Lehrerinnen oder Lehrern kommen, weil sie gemobbt werden, sind die dann schon taub und können es gar nicht mehr hören. Wichtig ist es also, Mobbing immer ernst zu nehmen, aber diese inflationäre Verwendung abzustellen.“

Doch wann fängt Mobbing an und wie kann man es erkennen? Es gibt klare Definitionen, ab wann man wirklich von Mobbing sprechen kann. Mobbing ist ein schädigendes Verhalten und eine spezielle Form von Gewalt, was langfristige negative Folgen für alle Beteiligten nach sich ziehen kann. An den folgenden Faktoren kann man Mobbing erkennen:

 

Schädigungsabsicht: das kann ein körperlich oder seelisch verletzender Schaden sein und entweder offen oder verdeckt ablaufen

Häufigkeit und Dauer: das Mobbing spielt sich regelmäßig über einen längeren Zeitraum ab

Kräfte- bzw. Machtungleichgewicht – ein stärkeres Kind geht zum Beispiel auf ein schwächeres los

Eigenständige Konfliktlösung kaum möglich: das Opfer ist hilflos und kann meist selbst zur Lösung des Mobbings nichts mehr beitragen

 

Treten diese Kennzeichen auf, handelt es sich klar um Mobbing. Eine typische Verhaltensweise gibt es hier aber nicht. Es kann sich um Drohungen, Kritik oder auch Spott handeln. Eine Person wird schikaniert, gequält und das auf unterschiedlichste Art und Weise. Diese Schikane kann außerdem offen, also für alle sichtbar oder aber auch verdeckt stattfinden, so dass niemand etwas davon mitbekommt. Man kann hier also von vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen sprechen, hier erwähnen wir vier der bekanntesten:

 

physisches Mobbing – eine Person wird körperlich verletzt durch Schläge, Tritte, Geschubse

verbales Mobbing – eine Person wird durch Worte verletzt, wie etwa Beschimpfungen, Drohungen, gemeine Kommentare

nonverbales Mobbing – eine Person kann auch ohne Worte verletzt werden, zum Beispiel indem es ständig ignoriert wird

Cybermobbing – eine Person wird über digitale Medien gemobbt, durch aggressive Botschaften, gehässige Nachrichten oder gemeine Kommentare

 

 

Was steckt hinter dem Mobbing?

Nun stellt sich die Frage, warum Kinder eigentlich zu Mobber*innen werden und welche Ursachen die Schikane haben könnte. Die Beweggründe für Mobbing in der Schule sind sehr vielschichtig. Gründe könnten das Ausleben von Machtgefühlen, eine Statuserhöhung in der Gruppe, Rache, Frustration, Langeweile oder Spaß sein. Kinder können auch aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Sexualität, ihres Aussehens oder ihrer Religion diskriminiert werden. Die Liste ist also sehr lang. Klinische und Gesundheitspsychologin Annette Wallisch-Tomasch spricht zwei Motivationen an: „Warum Kinder so etwas tun, ist eine sehr spannende Frage und da gibt es natürlich viele Hypothesen dazu. Aber sprechen wir einmal über zwei Motivationen. Die erste Motivation ist: das Kind ist selbst sehr frustriert, das heißt sie sind reaktiv-aggressiv und reagieren auf irgendeine Belastung in ihrem Leben mit Provokation und Aggression und sind eigentlich sehr, sehr bedürftig. Sie haben oft eine verzehrte Wahrnehmung, fühlen sich selbst ungerecht behandelt und reagieren mit Aggression als Schutz. Auf der anderen Seite gibt es die pro-aktiven Kinder, die Spaß haben jemanden zu dominieren, Spaß haben an der Macht und der Herabstufung von anderen. Das ist eher die schwierigere Variante.“

Mobbing entsteht also oft aus einer eigenen Frustration heraus und passiert, um unter anderem das eigene Selbstwertgefühl zu stärken, den eigenen Status zu erhöhen oder auch um beliebter zu werden. Das muss dann von einem anderen Kind, nämlich dem Opfer ausgebadet werden. An einem Mobbing ist aber selten eine Person alleine Schuld. Es ist nämlich ein kollektives Phänomen einer Gruppe und lebt eben von dieser Gruppendynamik. Jede Schülerin und jeder Schüler nimmt eine Rolle ein.

 

Gruppendynamik bei Mobbingprozessen (ÖZEPS /Goldmädchen/Nora Novak)

 

Es gibt also immer Täter*innen, die die Führungsrolle übernehmen, Assistent*innen, die aktiv mitschikanieren, Verstärker*innen, die das Mobbing anfeuern, Außenstehende, die das Mobbing beobachten, sich aber nicht einmischen sowie das Opfer, an das das Mobbing gerichtet ist. Mobbing ist ein systemisches Verhalten, das heißt, jedes Kind könnte jederzeit jede Rolle einnehmen, erklärt Jörg Kapeller: „Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass es nur die starken Kinder trifft. Ich habe auch schon erlebt, dass jemand zur Klassensprecherin gewählt worden ist und zwei Monate danach hat das Mobbing begonnen. Natürlich trifft es die Außenseiter öfter, aber im Grunde kann es jedem passieren.“

Annette Wallisch-Tomasch erklärt, dass es trotzdem Kinder gibt, die anfälliger darauf sind Täter*in bzw. Opfer zu sein: „Natürlich gibt es bei Kindern auch leichte Mobbing-Opfer, weil es darauf ankommt, wie man auftritt. Zum Beispiel sind das Kinder, die sowieso schon sozial isoliert sind, keine Freundschaften und eben keinen Rückhalt haben. Außerdem passiert es oft, wenn das Kind anders ist als andere, also zum Beispiel ist es zu dick oder es hat ein blöde Schultasche. Es gibt also ein äußeres Merkmal. Das geht dann sofort auf den Selbstwert des Kindes. Und es sind Kinder die sehr unsicher sind und einen Mangel an sozialer Kompetenz haben.“

 

 

Wie sollte man in einem Mobbingfall handeln?

Sollte es unter Kindern zu einem Mobbingfall kommen, ist es wichtig, dass schnell gehandelt wird. Lehrkräfte müssen eingreifen und die Situation deeskalieren, sie sind nämlich nicht nur für die Sicherheit der Schüler*innen verantwortlich, sondern haben auch eine Vorbildwirkung. Wird ein Mobbingfall nämlich ignoriert und nichts dagegen unternommen, fühlen sich die Kinder in ihrem Tun bestärkt. Es ist daher notwendig, sofort auf eine Schikane zu reagieren, zu intervenieren und eine lösungsorientierte Auseinandersetzung mit dem Mobbingfall einzuleiten, die zum Ende des Mobbings führt. Für Annette Wallisch-Tomasch ist es wichtig, ganz offen und transparent miteinander zu reden, niemandem die Schuld zu zuweisen und nach den Ursachen des Mobbings zu suchen: „Es ist wichtig, dass man sich informiert, ob es Mobbing ist oder nicht. Danach muss ganz offen darüber gesprochen werden und es darf keine Geheimnisse geben. Auch die Eltern müssen eingebunden werden. Wenn man die Ursache verstehen will, muss man sich natürlich anschauen, wo die Aggression eigentlich herkommt. Man muss vor allem bei der Täterin oder beim Täter erkennen, dass es eine Frustration gibt. Und auch das Opfer spielt hier eine Rolle: es muss erkannt werden, dass es sozial integriert werden und an sich selbst arbeiten darf.“

Aus psychologischer Sicht gibt es immer einen Grund, warum man etwas tut. Auch wenn jemand schädigendes Verhalten an den Tag legt oder etwas Böses tut, heißt es nicht, dass jemand generell ein böser Mensch ist, erklärt Wallisch-Tomasch: „Es ist ganz wichtig das Verhalten von Persönlichkeit zu trennen. Alles hat eine Ursache und wenn man das Problem für alle lösen will, muss man darauf schauen, warum jemand etwas tut. Entweder weil er so frustriert ist oder man da endlich seinen Spaß hat und Aufmerksamkeit bekommt oder weil man bemerkt hat, dass jemandem wehzutun ein cooles Gefühl ist, weil man sich dann mächtig fühlt. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man überlegen, was man stattdessen machen könnte. Da wären wir dann auch schon auf der therapeutischen Seite.“

Wenn es zu Mobbing kommt, gibt es natürlich die verschiedensten Interventionsprogramme, die den Konflikt zwischen den Beteiligten lösen sollen. Jörg Kapeller ist ein großer Fan vom „No-Blame-Approach“. Diese Methode sieht das Mobbing als systemisches Problem und versucht dieses ohne bloße Konfrontation oder Schuldzuweisung zu beseitigen. Die Strategie dahinter ist, auf ein Problembewusstsein der Beteiligten und ein Verantwortungsgefühl dem Opfer gegenüber abzuzielen. „Der erste und wichtigste Schritt ist, ein Gespräch mit dem Opfer zu führen und es für ein weiteres Vorgehen zu gewinnen. Wenn das Opfer nicht mit an Bord ist, wird es wieder als übergriffige Erfahrung erlebt. Man muss sich die Zeit nehmen und dem Opfer Mitspracherecht geben.“, erklärt Jörg Kapeller.

Gerade die Opfer spielen nämlich eine sehr wichtige Rolle im Mobbing-Prozess. Nicht nur die Ursachenerörterung und die Beschäftigung mit den Täter*innen ist nach einem Mobbing notwendig, sondern eben auch die Intervention mit dem Opfer. Denn auch wenn das Mobbing geklärt und abgeschlossen ist, trägt das Kind teilweise schwere Folgen davon oder es wird im schlimmsten Fall erneut gemobbt. Wichtig ist daher, aus der Isolation herauszukommen und sich Verbündete zu suchen, seien es andere Mitschüler*innen, Lehrer*innen oder auch die Eltern. Die müssen in einem solchen Fall sehr feinfühlig sein und das Kind unterstützen. Also Gespräche mit anderen zu führen und die Gründe des Mobbings zu suchen ist sehr wichtig. Dabei kann auch ein Mobbingtagebuch helfen, in dem man alle negativen Erlebnisse notiert. Nicht zu vergessen sind hier auch die Schulpsycholog*innen. Auch sie sind wichtige Anlaufstellen, während oder nach einem Mobbingfall.

 

 

Wie kann Mobbing vermieden werden?

Natürlich ist es wichtig, in Mobbingfällen schnell und effizient zu handeln, doch wäre es natürlich besser, Mobbing schon im Vorhinein zu verhindern und es gar nicht so weit kommen zu lassen, sagt Jörg Kapeller: „Mobbing kann immer verhindert werden. Man kann zum Beispiel gesellschaftlich ändern, wie wir miteinander umgehen. Es fängt dabei an, wie wir unsere Kinder erziehen, wie wir mit Konflikten umgehen, da könnte man ganz viel tun. Man sollte schon im Kindergarten damit anfangen, Konfliktkompetenzen und das Selbstbewusstsein zu stärken, damit Opfer lernen sich zu wehren.“

Das heißt wichtige Maßnahmen, die eine Schule setzen kann, ist die Aufklärung über Mobbing, um allen Schüler*innen und Lehrkräften zu kommunizieren, was Mobbing eigentlich ist, wie man es erkennen kann und welche Arten es gibt. Außerdem muss Gewalt in Schulen sensibilisiert und die Strategien gegen Gewalt gefördert werden und das vor allem bei den Lehrkräften: „Fast noch wichtiger als Präventionsmaßnahmen, wären Fortbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen. Für sie ist es oft sehr schwierig, in dem ohnehin stressigen Arbeitsalltag ‚nebenbei‘ die oft subtilen Anzeichen von Mobbing zu erkennen – insbesondere wenn ein Teil davon im virtuellen Raum abläuft.“, sagt Jörg Kapeller.

Auf der anderen Seite sind aber natürlich auch die Eltern gefordert, sagt Kapeller: „Auf jeden Fall müssen Eltern ins Gewissen reden, sich daran beteiligen und Interesse zeigen. Und auch mit den Kindern reden, egal auf welcher Seite sie sind. Was Eltern, Lehrerinnen und Lehrer unbedingt tun müssen ist, über Mobbingfolgen zu sprechen. Nicht nur über die Folgen für die Opfer, sondern auch für die Täterinnen und Täter oder die, die zuschauen. Viele glauben nämlich, dass dieses Verhalten nichts mit einem macht.“

Abschließend ist also zu sagen, dass Mobbing vermieden werden kann und vermieden werden muss! Solange das nicht passiert, ist es wichtig, Lehrkörper und auch die Eltern so gut wie möglich zu schulen und mit diesem heiklen Thema vertraut zu machen, um im Notfall schnell reagieren zu können. Jörg Kapeller ist sich eines sicher: „Ich bin der Überzeugung, dass eine Lösung von einem Mobbingfall nicht von den Lehrerinnen und Lehrern, nicht von den Eltern und schon gar nicht vom Opfer kommt, sondern von der Gruppe, also von denen, die zuschauen und wegschauen. Es geht also darum, Zivilcourage zu stärken. Eltern und Lehrende werden immer als „Ordnungswache“ hingestellt, aber im Endeffekt liegen die Gründe und die Probleme bei den Schülerinnen und Schülern, also in der Gruppe.“

 

 

Quellen:
https://www.bpb.de/lernen/grafstat/mobbing/46545/m-01-02-ist-das-schon-mobbing
https://www.schulpsychologie.at/gewaltpraevention/mobbing
https://www.gesundearbeit.at/cms/V02/V02_2.1.a/1342537685042/psychische-belastungen/mobbing/definition-was-ist-mobbing
https://www.schulpsychologie.at/fileadmin/upload/psychologische_gesundheitsfoerderung/Gewaltpraevention/leitfaden_mobbing.pdf

 

Bildquellen:
Pixabay.com

Autorin:
Katharina Russold