Seriöse Medienarbeit ist hilfreich, mediale Aufgeregtheit kontraproduktiv gegen Gewalt!
Professionelle Gewaltprävention und mediale Aufgeregtheit sind keine optimalen Verbündeten, um Gewalt in ihren vielfältigen Erscheinungsformen zu bannen. Vor diesem Hintergrund ließen wir – Günther Ebenschweiger, Christian Ehetreiber und Sandra Jensen – das vielstimmige Rauschen durch den Medienwald anlässlich gehäufter Frauenmorde verhallen, um einige Thesen aus unserer jahrzehntelangen Arbeit im Feld der Gewaltprävention zu formulieren. Wir begrüßen freilich alle seriösen Medienbeiträge und profunden Statements zur Debatte über „Gewalt an Frauen“ zur Förderung von Bewusstsein und Sensibilität zum Thema Gewalt. Nachfolgend einige plakative Thesen im Überblick:
Gewalt ist als multifaktorielles Geschehen zu begreifen, das präziser Analysen bedarf, um passgenaue Strategien und Maßnahmen abzuleiten
Gewalt gründet auf verschiedenen Ursachen, Motiven und Intentionen, wie auch vielfältige Ziele mit Gewalt verknüpft sind. Patentrezepte und Allheilmittel sind daher nicht zu erwarten, sehr wohl jedoch ein Bündel an sinnvollen Werkzeugen: von Achtsamkeit und Empathie, gewaltfreier Kommunikation, über die gemeinschaftliche Entwicklung von Regeln für gewaltfreies Handeln, solidarisches und couragiertes Engagement auf Seiten der Gewaltopfers bis zum angemessenen Einsatz von Exekutive und Justiz.
Kultur der Gewaltfreiheit bedeutet: Jede/r wirkt daran mit und erweitert sein/ihr Handlungsrepertoire
Die schrittweise Etablierung einer Kultur weitgehender Gewaltfreiheit gründet auf der Entdeckung, Nutzung und des Trainings von individuellen und gemeinschaftlichen Handlungsspielräumen. Wer bei Gewaltfällen einfach wegschaut, diese bagatellisiert oder die Handlungen der Täter rechtfertigt, stärkt die Gewalttäter auf Kosten ihrer Opfer. Die Erweiterung individueller und gemeinschaftlicher Handlungsrepertoires fördert die Vision einer Kultur der Gewaltfreiheit!
Salutogenese, Verhaltens- und Verhältnisprävention stehen im Brennpunkt
Wir dürfen Gewaltprävention nicht auf die Ebene „Täter, Opfer und Beobachter“ reduzieren. Der salutogenetische Blick aus der Gesundheitsförderung, der auf jene Faktoren abzielt, die uns gesund und vital halten, anstatt nur auf das krank Machende zu fokussieren, erweitert unseren Panoramasicht auf eine Kultur der Gewaltfreiheit. Ebenso dient ergänzend zu den verhaltenspräventiven Maßnahmen der verhältnispräventive Blick einer Optimierung von Strategien und Maßnahmen, die von sozialen, ökonomischen und politischen Faktoren beeinflusst sind.
Ein funktionierender Rechtsstaat mit Gewaltenteilung, mit leistungsfähigen Institutionen, einem qualitätsvollen Bildungs- und Vereinswesen, einer Politik der Vollbeschäftigung und mit ausreichend finanzierten sozialen Sicherungssystemen spannen jenen verhältnispräventiven Rahmen auf, innerhalb dessen sich die AkteurInnen der Gewaltprävention um die Erweiterung des Repertoires von gewaltfreier Kommunikation und Zivilcourage in verschiedenen Settings einsetzen.
Gewaltprävention: Qualitätsvolles Angebot, das seit Jahrzehnten unterfinanziert ist
Wir gehen davon aus, dass es in der Steiermark wie auch in Österreich ein gut entwickeltes, großteils qualitätsvolles Angebot an Präventionsleistungen gegen Gewalt gibt. Diese sind jedoch zumeist nicht bedarfs- und nachfrageorientiert finanziert, zudem nicht in jeder Region ausreichend verfügbar. Die Strategie- und Maßnahmenentwicklung sollte somit im Dialog zwischen den öffentlichen Finanziers (Politik, Verwaltung) und den Präventions- und Gewaltschutzeinrichtungen erfolgen: also nicht nach dem Muster „mediale Aufregung erzeugt Hervorzaubern vermeintlicher Allheilmittel aus dem politischen Zylinder bzw. entfacht kurzfristig aufflackernde Strohfeuer“, um es pointiert zu formulieren. An kurz- und mittelfristiger qualitativer und quantitativer Verbesserung des Gesamtangebotes im Dialog aller Beteiligten führt kein sinnvoller Weg vorbei.
Gemeinschaftliche Entwicklung eines Konzeptes für eine Kultur der Gewaltfreiheit ist reif!
Die Entwicklung eines visionären Konzeptes zur Weiterentwicklung einer Kultur der Gewaltfreiheit ist reif und überfällig. Dieses visionäre Konzept kann auf einem Bündel an höchst erfolgreichen Leistungen auf verhaltens- und verhältnispräventiver Ebene aufbauen, an einer gut entwickelten Landschaft an Fachstellen und Sozialisationsinstanzen andocken, die sich professionell mit Gewaltschutz und Gewaltprävention befassen.
Ein bedarfs- und nachfragegerechter Mitteleinsatz für Gewaltschutz und Gewaltprävention ist bei der Konzeptentwicklung mitzuplanen und verbindlich festzuschreiben, denn mit rhetorischen Wortspenden und Arbeitskreisen ohne Erweiterung der Finanzierungsrahmen lässt sich eine Kultur der Gewaltfreiheit mittelfristig nicht realisieren.
Gewaltreduktion ist eine unabgeschlossene Erfolgsgeschichte. Höhere Sensibilität suggeriert jedoch ein vermeintliches Ansteigen von Gewalt
Im historischen Längsschnitt betrachtet, nimmt Gewalt weltweit und in Österreich ab, was der Alltagsintuition vieler BürgerInnen widerspricht. Mit einem sensibleren Blick entsteht zudem ein detaillierteres Bild, das die genauer betrachteten Gewaltphänomene buchstäblich gewaltiger erscheinen lässt. Trotz des statistisch gut belegten Rückganges von Gewalt in Österreich seit 1945, lässt sich mit Statistik die gegenläufige Alltagsintuition von steigender Gewalt kaum entzaubern. Für AkteurInnen der Gewaltprävention ist dieser positive Trend jedoch wichtig für Empowerment und Motivation in der täglichen Präventionsarbeit.
Diese Presseinformation versteht sich als Thesenpapier und Gesprächsgrundlage für die Weiterentwicklung einer Kultur der Gewaltfreiheit in Österreich!
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Christian Ehetreiber, ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus
Günther Ebenschweiger, Aktivpraeventiv – Plattform für Kriminalprävention Wissenstransfer und Vernetzung GmbH
Sandra Jensen, ISOP-Schulsozialarbeit