Srebrenica. 26 Jahre nach dem Genozid: Die Schwere der Gegenwart

Am 11. Juli 1995 fand der Bosnienkrieg, welcher in den Jahren 1992 bis 1995 ausgetragen wurde, seinen Höhepunkt im grausamsten Verbrechen auf europäischem Grund seit der Shoah: Der Genozid von Srebrenica.

 

Die 1993 von der UNO errichtete Schutzzone rund um Srebrenica wurde 1995 von der bosnisch-serbischen Armee und deren Streitkräften gestürmt, oder besser gesagt, „übergeben“ (Hierzu siehe Blogbeitrag von Christian Ehetreiber vom 23.11.2017). In den Tagen vom 11. – 19. Juli wurden über 8.000 mehrheitlich männliche bosnische Muslime von den bosnisch-serbischen Streitkräften systematisch ermordet. Generationen wurden auf einen Schlag ausgelöscht.

 

26 Jahre nach dem Genozid

 26 Jahre nach diesem schrecklichen Kriegsverbrechen lebt die Erinnerung in den kollektiven Gedächtnissen der, vor allem, Hinterbliebenen weiter. Nicht nur ist es aus historischer Perspektive ein sehr junges Ereignis, sondern vor allem die stetigen, schweren Aufarbeitungen durch Zeitzeug:innen, Initiativen und (inter-)nationalen Organisationen ermöglichten (nach langer Zeit) nicht nur die Verurteilung der Kriegsverbrecher, sondern geben den Opfern laufend ihre Identitäten zurück und ermöglichen ihren Hinterbliebenen sie zu verabschieden. Dieser Prozess ist ein sehr langer und schwerer, welcher noch längst nicht abgeschlossen ist.

 

Majke enklave Srebrenica i Žepa – Mütter der Enklaven Srebrenica und Žepa

Eine der besagten Organisationen findet sich mit ihrem Sitz in Sarajevo/Srebrenica und ist in Bosnien und Herzegowina als Majke enklave Srebrenica i Žepa bekannt, was übersetzt Mütter der Enklaven Srebrenica und Žepa bedeutet. International ist diese Organisation auch als Mothers of Srebrenica bekannt. Ihre Existenz wurde ein Jahr nach Kriegsende, 1996, ins Leben gerufen, nachdem sich eines Tages eine Gruppe von Frauen in Munira Subašić Haus getroffen und beschlossen haben, für Gerechtigkeit und Aufklärung aufzustehen. Munira Subašić, Vorsitzende der Mütter von Srebrenica, ist eine von vielen Frauen, deren Sohn und Ehemann von der serbischen Armee ermordet worden sind.[1] Nicht nur spielten sie und weitere Frauen aus Srebrenica eine wichtige Rolle in der Verurteilung der Serbenführer Mladić und Karadžić bei den Kriegsverbrechertribunalen in Den Haag, sondern wirkten auch bei der Resolution des Europäischen Parlaments mit, den 11. Juli als Gedenktag für Srebrenicas Genozid zu verabschieden.[2] Auch heute kämpfen sie weiter unermüdlich für Gerechtigkeit und vor allem dafür, die noch verschollenen sterblichen Überreste der Opfer mittels forensischer Verfahren zu ermitteln und den Angehörigen für die letzte Ruhestätte zu übergeben. Selbst 26 Jahre nach diesen Gräueltaten werden noch viele sterbliche Überreste vermisst. Das liegt einerseits daran, dass die serbischen Streitkräfte über große Flächen von Wäldern und Orten gemordet haben, andererseits aber auch daran, dass sie teilweise Massengräber wieder selbstständig umgebettet haben, mit der Absicht ihre Tötungsspur zu verschleiern und die Opfer verschwinden zu lassen.[3] Viele Angehörige konnten und können aus diesem Grund oftmals nur einzelne Knochen bestatten. Zeitweise sterben die Hinterbliebenen noch bevor jemand von ihren geliebten Vermissten gefunden werden kann. Munira Subašić dazu:

 

“We did not give birth to our sons with no heads or feet – but it’s just the way it is. I am president of the association, and I have to lead by example. Too many mothers were dying and somebody had to bury their sons before there was no one left. We have to bury them with what we have.”

 

 

Munira Subašić (2 v.l.) und Mitgliederinnen von Majke enklave Srebrenica i Žepa, Quelle: Pokret Majke enklave Srebrenica i Žepa

 

 

Memorijalni Centar Srebrenica – Memorial Center Srebrenica

 Eine weitere wichtige Institution in Hinblick auf Gedenken, Erinnern und Aufarbeiten stellt das Memorial Center Srebrenica in Potočari, Srebrenica, dar. Der Ort birgt eine komplexe Funktionalität: er fungiert nicht nur als Museum mit Ausstellungen, sondern in dessen Rahmen finden auch wissenschaftliche Forschungen statt oder auch allgemeine Veranstaltungen, welche zur Sensibilisierung der Ereignisse dienen. Allem voran kann man sagen, dass der Ort aber auch als Friedhof/Massengrab gelesen werden kann.[4] Patrizia Violi spricht hier von trauma site: Wenn Gedenkstätten/Denkmäler an den Standorten historischer Traumen errichtet werden, deren ursprüngliche Funktionen jedoch Gefangenschaft und Vernichtung beinhalten.[5] Die Funktion eines aktiven Friedhofs ist insofern wichtig, nachdem am Gedenktag, am 11. Juli, in einer Zeremonie oft wiederentdeckte Überreste bestattet werden. Dieses Jahr konnten sich Hinterbliebene von weiteren 19 Opfern verabschieden. Insgesamt wurden bisher 6.671 Opfer identifiziert und am Gedenkfriedhof in Potočari beigesetzt.[6]

 

Genozid leugnen

Natürlich ist neben der Erhaltung, der Wiedergabe der Geschichte vor allem die Weitergabe jenes Wissens ein Grundpfeiler aller Gedenkinitiativen. Die Mütter Srebrenicas, das Memorial Center sowie viele weitere Organisationen und Individuen, welche sich mit Srebrenicas Genozid beschäftigen, haben es sich zur Aufgabe gemacht die Menschen wachzurütteln! Anklagend halten sie die einzelnen Schicksale wie einen Spiegel in die Bevölkerung zurück und treten für Aufklärung ein, um Hass und Ignoranz zu bekämpfen, welche den Genozid in erster Linie ermöglichten. Dass dies ein harter jahrzehntelanger Kampf ist und bleibt, beweisen bis heute absolut verachtenswerte leugnende Aussagen meist seitens serbischer nationalistischer Anhänger. Der neueste Genocide Denial Report zeigt, dass es weiterhin Fälle der Leugnung des Genozids im öffentlichen sowie medialen Diskurs gibt – die Mehrheit auf serbischem Gebiet. Die gut dokumentierte Verherrlichung[7] der Kriegsverbrecher ist nach wie vor ein inakzeptables Problem, welches nachweislich im letzten Jahr immer mehr Platz einnehmen konnte.[8] Natürlich ist Polarisation beider Seiten genauso wenig eine Lösung und befeuert Spannungen nur zusätzlich. Idealerweise sollte es keine „beiden“ Seiten mehr geben, sondern wie Zeitzeug:innen vor Kriegsausbruch Anfang der 90er Jahre berichten: gute Nachbarschaften und Beziehungen, egal mit welchem Hintergrund man sich identifizieren mag. Keine Frage, die zeitliche Nähe zu diesem traurigen historischen Kapitel ist unbestreitbar und in realistischer Hinsicht sind zwei Dekaden eine sehr kurze Zeit um eine Tragödie solchen Ausmaßes gesellschaftlich zu verarbeiten – man denke an die Nachkriegszeit in Österreich.

 

Überlebender Fikret Grabovica[9] appelliert:

I can firmly say and assert we do not have hatred in us. What we have is resentment, bitterness, and a lack of understanding that there could exist such human minds and such morbid ideas []. It is very important to us for future generations to know what kind of evil happened here and for it never to happen again. I da se to nikad ne ponovi.

 

Die Devise heißt also aktiv bleiben! Junge Generationen vor allem durch Bildungsreformen abholen, Aufklärung bieten und offen kommunizieren. Es heißt auch Missstände ansprechen, richtig stellen und sich nicht einschüchtern lassen!

 

 

 

 

Weiterführende Links für Interessierte:

Remembering Srebrenica UK; Remembering Srebrenica YouTube Interviews

Memorial Center Srebrenica

Nach Mladić-Urteil: Die Regisseure des Revisionismus

Bosnische Filmemacherin: “Viele denken, dass Mladić ein Held ist”

Der bosnisch-herzegowinische Nachkrieg. Ein Kampf um den Opferstatus

„Meine Brust war blau von Blutergüssen. Ich lag nackt auf dem Tisch“

“Ich möchte nirgendwo mehr das Wort ‘Massaker’ lesen”

Srebrenica genocide survivor: ‘It will happen to us again’

Zeitzeugen erinnern sich an das Grauen von Srebrenica

‘Umrijet ću, neću ga ukopati’: 570 žena Srebrenice preminulo da nisu našle svoje

‘Danas je Srebrenica grad mrtvih, vratite nas u život, nemojte nas žaliti, pomozite nam’

 

Bildquelle: https://srebrenicamemorial.org/

Quellen:

[1] https://srebrenica.org.uk/survivor-stories/munira-subasic

[2] https://www.welt.de/geschichte/article232446485/Massaker-von-Srebrenica-Ich-lag-nackt-auf-dem-Tisch.html

[3] https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/312564/vor-25-jahren-das-massaker-von-srebrenica

[4] https://srebrenicamemorial.org/en/page/about-us/3?tab=history-of-the-memorial-center

[5] vgl. Violi, Patrizia (2012): „Educating for Nationhood: A Semiotic Reading of the Memorial Hall for Victims of the Nanjing Massacre by Japanese Invaders“, in: Journal of Educational Media, Memory & Society, Bd. 4/2, S. 41-68, Zitat S. 45

[6] https://www.arte.tv/de/afp/neuigkeiten/26-jahre-nach-massaker-von-srebrenica-angehoerige-beerdigen-19-weitere-opfer

[7] https://www.derstandard.at/story/2000127270455/nach-mladic-urteil-die-regisseure-des-revisionismus

[8] https://www.aljazeera.com/news/2021/7/11/srebrenica-genocide-survivor-it-will-happen-to-us-again

[9] https://srebrenica.org.uk/ceremony