20 Jahre Menschenrechtsstadt Graz: Rückschau in die Zukunft!

Chance und Zeitfenster für Graz genutzt!

20 Jahre Menschenrechtsstadt Graz: Eine Chance und ein Zeitfenster genutzt für langfristige Demokratie- und Menschenrechtspolitik in unserer Landeshauptstadt. Ich erinnere mich, als sei es erst gestern gewesen. Der damalige Bürgermeister Alfred Stingl und Kulturstadtrat Helmut Strobl ergriffen die von Außenministerin Benita Ferrero-Waldner offerierte Chance, Graz bei den Vereinten Nationen den Weg zur ersten Menschenrechtsstadt Österreichs zu ebnen.

Grundlagen für die Bewerbung: eine aktive Zivilgesellschaft mit Menschenrechtsprojekten

Die erste Voraussetzung für die erfolgreiche Bewerbung, das gilt es immer wieder mit Stolz zu betonen, bestand freilich in einer höchst innovativen Grazer NGO-Szene, die durch Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Kultur-, Jugend- und Sozialprojekte den praxisrelevanten Boden der Menschenrechtsstadt geschaffen hatte. Bürgermeister Nagl brachte es in seiner Eröffnungsrede auf den Punkt: „Es war selbstverständlich keine ´Stunde null´, als der Gemeinderat [der Stadt Graz] am 8. Februar 2001 diesen Beschluss gefasst hat. Die Erfahrungen der sogenannten Ostöffnung – Graz musste sich im Europa „nach der Wende“ nicht nur geopolitisch neu kalibrieren –, eine starke zivilgesellschaftliche Community, eine lebendige Universitäts- und Kulturszene sowie eine europaweit führende Rolle im interreligiösen Dialog haben Graz zur Menschenrechtsstadt prädestiniert!

Erfolgreiche Überzeugungsarbeit brachte einstimmigen Konsens!

Die zweite Voraussetzung bestand darin, dass Alfred Stingl und Helmut Strobl in unermüdlicher Kommunikationsarbeit einstimmige Beschlüsse in Stadtregierung und Gemeinderat auf den Weg brachten, um die Menschenrechtsstadt dem parteipolitischen Gezänke zu entheben und damit langfristig zu verankern. Bürgermeister Nagl dankte seinem beim Festakt anwesenden Vorgänger im Bürgermeisteramt Alfred Stingl wie auch dem leider bereits verstorbenen Kulturstadtrat Helmut Strobl für deren zukunftsweisende Weichenstellungen zur Menschenrechtsstadt Graz zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die bis heute eine prägende Wirkung für die Demokratie- und Menschenrechtsbildung entfaltet haben.

Weiterentwicklung funktionaler Strukturen statt „Strohfeuer aus dem Politikzylinder“

Die dritte Voraussetzung lässt sich retrospektiv als Weiterentwicklung funktionaler Strukturen der Menschenrechtsarbeit in qualitätsvoller Kontinuität plus Innovation darstellen. Die Grazer Stadtregierung wie auch der Gemeinderat zauberten nicht irgendwelche Luftschlösser aus dem politischen Zylinder, entfachten keine wahlkampfinduzierten Strohfeuer, vergaben Aufträge nicht nach parteipolitischer Einflussnahme, sondern vorwiegend nach sachpolitischen Kalkülen. Man setzte seitens der Politik und der Verwaltung auf vorhandene Expertise, auf inhaltlichen Dialog, Beteiligung sowie auf Beauftragung ohne Bittstellerei.

Vertrauen und respektvolles Miteinander, gerade bei inhaltlichem Dissens!

Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl unterstrich in seiner facettenreichen Rückschau auf 20 Jahre Menschenrechtsstadt Graz im Grazer Congress diese gelebte Kultur eines respektvollen Miteinanders zwischen Politik, Verwaltung, NGOs und vielen weiteren Institutionen der Stadt Graz. Dieser interinstitutionelle Respekt repräsentierte selbst bei kontroversiellen Themen und gegensätzlichen Positionen die Grundlage des offenen Gesprächs zwischen den AkteurInnen von Beginn an bis heute! Das Grazer Rathaus verfügt über offene Türen und über offene Ohren für alle Themen, die das Zusammenleben in sozio-kultureller Vielfalt betreffen. Dies trifft auf alle im Gemeinderat vertretenen Fraktionen zu, die auch im Grazer Menschenrechtsbeirat aktiv mitwirken. Immer wieder wurde ich bei Begegnungen mit MenschenrechtsaktivistInnen aus anderen Bundesländern mit Staunen gefragt: Wie macht Ihr das in Graz, dass Ihr sogar bei höchst aufgeladenen Menschenrechtsthemen immer im sachlichen Dialog mit Politik und Verwaltung bleiben könnt? Bürgermeister Nagl gab in seiner Rede die Antwort auf dieses Konzept der offenen, parteiübergreifenden und interinstitutionellen Türen ins Rathaus der Grazer Menschenrechtsarbeit: „Im Vergleich zu anderen Städten, in denen NGOs die Politik sprichwörtlich vor sich „hertreibt“, oder umgekehrt die Menschenrechte zu einer Art städtischen Abteilung geworden sind, scheint mir der gemeinsame Grazer Weg von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft der sinnvollere zu sein! Typisch für Graz ist auch unsere feste Überzeugung, und ich weiß mich hier mit meinem Vorgänger Alfred Stingl eines Sinnes, dass Menschenrechtspolitik auch von einer starken Partnerschaft mit den Religionsgemeinschaften lebt.“

 Jahrzehntelange Programmarbeit statt tagespolitischem Aktionismus

Die Menschenrechtsstadt Graz, so Bürgermeister Nagl, war kein tagespolitischer Aktionismus, sondern ein jahrzehntelanges Programm, das mit Engagement, Seriosität und Nachdruck gemeinschaftlich weiterentwickelt wurde. Der Beitritt zur Städtekoalition gegen Rassismus, die Einrichtung des MigrantInnenbeirates (bereits seit Mitte der 1990er Jahre), des Interreligiösen Beirates, des Menschenrechtsbeirates, die Gründung des Integrationsreferates, die Errichtung der Antidiskriminierungsstelle Steiermark in Zusammenarbeit zwischen der Stadt Graz und dem Land Steiermark, die Einrichtung des ETC und zuletzt des UTC sowie die kontinuierliche, bedarfsgerechte Erweiterung der Finanzrahmen für Menschenrechts- und Demokratiebildung der NGOs seien als Meilensteine exemplarisch genannt. Bürgermeister Nagl wies einmal mehr auf die Notwendigkeit von Menschenrechten in ihrer Verschränkung mit Menschenpflichten hin, ohne die langfristig keine tragfähige Kultur der Menschenrechte zu haben ist. Er entlehnte zur Illustration ein Zitat des Philosophen Konrad Paul Liessmann, der die tönerne Eindimensionalität von Rechten ohne Verpflichtungen zuspitzt: „Die Einsicht, dass es keine Rechte ohne Pflichten gibt, wird heute ziemlich einseitig interpretiert. Die Rechte des einen sind die Pflichten des anderen.“

Glückwünsche der UNESCO, der Bundesregierung und des Landes Steiermark

Außenminister Mag. Alexander Schallenberg referierte in pointierter Weise die weltweiten politischen Brandherde, die der Freiheit, dem Frieden und den Menschenrechten durch rabiate Formen der Gewaltanwendung in die Parade fahren. Trotz diplomatischer Gewandtheit und Eloquenz sparte Außenminister Schallenberg keineswegs mit der klaren Benennung der zentralsten geopolitischen Knirsch- und Konfliktzonen, in denen Menschenrechte mit den sprichwörtlichen Füßen getreten und kritische JournalistInnen Opfer von Auftragsmorden werden.

Gabriela Ramos überbrachte seitens der UNESCO in Paris die herzlichsten Glückwünsche an die Menschenrechtstadt Graz und stellte die erzielten Leistungen in den Gesamtkontext der Menschenrechtsstädte.

Univ.-Prof. Dr. Barbara Stelzl-Marx, Mag. Angelika Vauti-Scheucher und Dr. Klaus Starl gaben Einblicke in aktuelle Projekte der Menschenrechtsstadt Graz im jeweiligen Wirkungsbereich.[1]

Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer betonte in seinen Grußworten mehrfach, dass die Menschenrechte keinesfalls dem Profitdenken geopfert werden dürfen. Ich darf dazu meinerseits die chinesische Regierung, die sich von ihren weltweiten Partnern in Politik und Wirtschaft jede menschenrechtliche „Einmischung“ energisch verbietet und unverzügliche Wirtschaftssanktionen setzt, als unrühmliches Beispiel anführen. Die europäischen Handelspartner gehen vor dieser erpresserischen Haltung Chinas viel zu oft jämmerlich in die Knie aus reiner Profitgier!

Die musikalische Rahmung der Veranstaltung durch DuoArte wie auch die Moderation seitens Mag.a Michaela Krainz erntete verdienten Applaus des Publikums für die angenehme Atmosphäre der Festveranstaltung „20 Jahre Menschenrechtsstadt Graz“.

Intergenerativität der Menschenrechtsarbeit ist gesichert für die nächsten Dekaden!

Die jahrzehntelange Kontinuität der Menschenrechtsstadt zeigte sich darin, dass zahlreiche MenschenrechtsaktivistInnen der ersten Stunde sich bis zum heutigen Tage engagieren. Die intergenerative Weitergabe des „Staffelholzes der Menschenrechtsarbeit“ war bei der Festveranstaltung ebenfalls unübersehbar! Sie zeigte sich eindrucksvoll und gibt Hoffnung, dass die jüngeren Generationen die Demokratie- und Menschenrechtsbildung mit neuen Akzentsetzungen und mit junger Handschrift fortführen werden. Vor diesem Hintergrund braucht es der Menschenrechtsstadt Graz nicht bange zu werden, das Banner für Demokratie, Frieden, Freiheit und Menschenrechte auch noch in den nächsten Jahrzehnten hochhalten zu können. Solange die dynamischen Balancen aus Vertrauen und Kontrolle, Konsens und Dissens, Zuversicht und Skepsis, persönlichem Engagement und institutioneller Rahmung, visionären Zielen und einer geschmeidigen Struktur- und Prozessqualität, Zuspruch und Widerspruch, reflektiertem Denken und wirkungsvollem Handeln vital und real bleibt, braucht den Grazerinnen und Grazern nicht bange zu werden! Im Meer der exzessiven weltweiten Gewalt bedarf es nämlich einiger Leuchttürme, Inseln und vertrauensvoller Vorbilder der Demokratie- und Menschenrechtsbildung, um den Glauben an die Realisierbarkeit einer Welt des Friedens, der Freiheit, der Demokratie und der Menschenrechte lebendig zu erhalten! Es kommt also auf Sie, auf mich, auf uns alle und auf jeden einzelnen an, liebe Leserinnen und Leser!

Ihr

Christian Ehetreiber

Links

Videomitschnitt zur Veranstaltung 20 Jahre Menschenrechtsstadt Graz

Angebote der Stadt Graz zu Menschenrechten und Integration

https://steiermark.orf.at/stories/3105378/ 

 

[1] Als ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus sei an der Stelle aus aktuellem Anlass vermerkt, dass wir in Zeiten des neuerlichen Aufflammens des Nahostkonflikts durch wiederholte Angriffe der Terrororganisation Hamas auf den Staat Israel selbstverständlich auf Seiten eines weltoffenen, demokratischen und multikulturellen Rechtsstaates und niemals auf Seiten einer Terrororganisation stehen. Im Geiste von Max Frischs Theaterstück „Biedermann und die Brandstifter“ wie auch gemäß der unerschütterlichen Haltung von Sir Winston Churchill gegenüber dem exzessivsten Extremismus des Nationalsozialismus und des Stalinismus wollen wir uns nicht zu den Bannerträgern von islamistischen, links- oder rechtsextremen Terrororganisationen und ihrer verblendeten Sympathisanten machen, die in Europas Metropolen antiisraelische, antisemitische und antiamerikanische Hetzpropaganda unter dem Deckmantel der Meinungsäußerungsfreiheit zelebrieren. Unsere klare Haltung inkludiert freilich die sachliche Kritik der israelischen Regierung bei Verstößen gegen UNO-Resolutionen wie auch bei Notwehrüberschreitung, keine Frage! Die vom amerikanischen Außenminister Anthony Blinken jüngst vorgeschlagene Zwei-Staaten-Lösung erachten wir als sinnvollen Lösungsweg: Die USA seien “noch immer der Ansicht”, dass die Zwei-Staaten-Lösung der einzige Weg sei, “um die Zukunft Israels als jüdischen und demokratischen Staat wirklich sicherzustellen und natürlich den Palästinensern den Staat zu geben, auf den sie Anspruch haben”, sagte Blinken. Anthony Blinken fordert Zweistaaten Lösung Israel und Palästina