Was ist Glück? Betrachtungen für ein gelingendes Leben

Was ist Glück? Philosophische Betrachtungen

Seit jeher beschäftigen sich Menschen mit der Frage, was Glück sei, wo man es finden und wie man es langfristig erhalten könne. Manche Philosophen, wie etwa der chinesische Gelehrte La Tse im 6. Jahrhundert vor Christus, sehen Glück darin, frei in den Tag hinein zu leben und keine Aufgaben erledigen oder Ziele verfolgen zu müssen. Andere, wie etwa die griechischen Denker des 5. und 4. Jahrhunderts vor Christus, Sokrates, Platon und Aristoteles, meinen, Glück in Tugendhaftigkeit sowie in einer gerechten und ehrenwerten Lebensführung zu finden. Dagegen erleben die sogenannten „Hedonist/innen“, wie vormals Epikur im 4. Jahrhundert vor Christus, Glück im Empfinden von Lust und in der Abwesenheit von Schmerz. Es sind dies nur einige wenige von endlos vielen Betrachtungsmöglichkeiten zum Glück. Betrachtungen und Zielbilder für ein gelingendes Leben, die in unserer heutigen Zeit auch zunehmend wissenschaftlich erforscht und zu gesamtgesellschaftlichen Zielsetzungen erhoben werden.

 

Moderne Glücksforschung

In der modernen Glücksforschung setzen sich immer mehr Mediziner/innen, Psycholog/innen und Soziolog/innen wissenschaftlich mit den Einflussfaktoren eines glücklichen Lebens auseinander.  Die seit 1994 bestehende weltweit größte Glücksdatenbank, die vom niederländischen Soziologen und Glücksforscher Ruut Veenhoven gegründet wurde, analysiert internationale Statistiken zu Glück.  Einer Studie (Stand 2020) zufolge, sind unter den Bevölkerungen von 155 untersuchten Ländern die Bürger/innen Finnlands am glücklichsten, gefolgt von Dän/innen, Schweizer/innen und Isländer/innen. Dafür sieht Veenhoven verschiedene Gründe: so verfügen diese und weitere Staaten mit hohem „Glücksindex“ über eine lange demokratische Tradition, ein hohes Maß an gesellschaftlicher Mitbestimmung und Gerechtigkeit hinsichtlich Berufsstand und Geschlecht, stabile politische Verhältnisse sowie materiellen Wohlstand. Eine der wichtigsten Forschungsrichtungen zum Thema Glück, stellt ist die „Positive Psychologie“ dar. Hier wird untersucht, wie positive Gefühle entstehen, wie diese den Charakter prägen und welche Bedingungen gelingende Lebensweisen begünstigen. Für das asiatische Land Bhutan sind die Kernfragen der „Positiven Psychologie“ auch Gegenstand politischer, wirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Bestrebungen, hat hier doch das „Bruttosozialglück“ der Bevölkerung eine weit höhere Priorität als das Bruttosozialprodukt. Welche Bedeutung und Facetten Glück in unserem alltäglichen Leben hat, worin man es finden und wie man es im Interesse eines gelingenden Lebens kultivieren kann, erzählt der freie Pädagoge, Berater und „Glücksworkshop-Referent“ Jörg Kapeller in einem Interview mit der ARGE Jugend.

 

Fragen nach dem Glück – im Gespräch mit „Glückworkshop-Referent“ Jörg Kapeller

ARGE Jugend: was bedeutet Glück aus deiner persönlichen Sicht und für dein eigenes Leben?

Jörg Kapeller: es ist ja allgemein bekannt, dass Glück für jeden und jede etwas anderes bedeutet. Für mein eigenes Leben finde ich die Abwesenheit ernsthafter Krisen, die Glück einfach verunmöglichen, sehr wichtig. Wenn dann eine Grundzufriedenheit gesichert ist, geht es mir primär um das Leben von gelungenen Beziehungen wie Ehe und Freundschaften sowie um genügend Freiraum zur Entfaltung und Weiterentwicklung. Zudem gehört zu meinem Glücksempfinden eine gesunde Prise Müßiggang.

 

ARGE Jugend: es gibt den Ausspruch “jeder ist seines Glückes Schmied” – teilst du diese Ansicht?

Jörg Kapeller: zu diesem Sinnspruch gibt es von mir ein klares ja UND nein. Für ein normales Leben mit gewöhnlichen Herausforderungen ist der Spruch absolut wahr. Ich kenne genügend Menschen, die ihr eigenes Glück schmieden oder (oft unbewusst) verhindern. Hier müssen wir uns alle an der eigenen Nase nehmen und ich finde es bewahrheitet sich oft, dass man sich selbst am meisten im Weg steht. Allerdings finde ich diesen Spruch problematisch gegenüber Menschen, die es im Leben besonders schwer haben. Es gibt ja auch diejenigen, die vollkommen unschuldig von Kindesbeinen an mit traumatisierenden Erfahrungen belastet werden – für diese können nicht dieselben Regeln und Maßstäbe gelten wie für jene, die in einem förderlichen Umfeld aufwachsen. Die Unterstützung, die wir aus unserer Umgebung erfahren, ist auch sehr wichtig für unser Glück.

 

ARGE Jugend: was macht ein glückliches Leben im Allgemeinen aus? Gibt es hierzu Kriterien oder wissenschaftliche Erkenntnisse?

Jörg Kapeller: es gibt eine interessante Studie der Harvard University, die seit über 80 Jahren Menschen unterschiedlicher Lebenswege von der Jugend an bis ins hohe Alter begleitet. In einer Folgestudie wurden auch deren Kinder untersucht. Das Ergebnis liefert den wissenschaftlichen Beweis für die uralte Weisheit, dass ein Leben zentriert um ein gut geknüpftes Netz an qualitätsvollen Beziehungen zu einem glücklichen Leben führt. Jede und jeder von uns wird hin und wieder von stürmischer See überrascht, aber mit welchem Blick kann ich auf den Sturm schauen und wie viel Unterstützung wird mir dann zuteil? Hier geht es um qualitätsvolle Beziehungen, nicht um 3257 Freunde auf Facebook. Besonders interessant bei den Ergebnissen ist auch, dass sich qualitätsvolle Beziehungen nicht nur auf Glück auswirken, sondern auch auf die Gesundheit. Inzwischen kann man über die Qualität der Beziehungen von 50-Jährigen eine zuverlässige Prognose für deren Gesundheitszustand mit 80 Jahren treffen.  Eine zweite interessante Studie hat ergeben, dass wir als Menschen den Einfluss von Ereignissen im Leben in Bezug auf unser Glück massiv überbetonen. Dazu wurde das Glücksempfinden von Lottogewinner/innen verglichen mit Menschen, die sich das Rückgrat gebrochen haben und seither einen Rollstuhl benötigen. Unser Bauchgefühl würde sofort sagen, dass solche Ereignisse einen massiven Einfluss auf unser Glück haben. Und natürlich gibt es einen kurzfristigen Effekt – beim 6er im Lotto positiv, bei der Gehbehinderung negativ – aber bereits nach einem Jahr (sic!) kehrt das Glücksempfinden auf das gleiche Niveau zurück, dass man vor dem Ereignis hatte. Dies zeigt wie wenig Einfluss selbst extreme Ereignisse auf unser langfristiges Glück haben. Dennoch gibt es bestimmte Ereignisse und Einflüsse, die unser Glück nachhaltig verringern können. Hierbei handelt es sich um Situationen, die unser Beziehungsgeflecht oder unsere Fähigkeit für geglückte Beziehungen zerstören, wie zum Beispiel Mobbing oder Vertrauensmissbrauch durch eine nahestehende Person. Durch solche Ereignisse tun wir uns meist auf längere Zeit schwerer tun, neue Beziehungen aufzubauen. Und nachdem qualitätsvolle Beziehungen unser Glück massiv begünstigen, kann deren Bruch unser Glück folglich auch vermindern.

 

ARGE Jugend: in Ländern wie Bhutan wird das “Bruttonationalglück” für die Bevölkerung angestrebt und gemessen. Kann ein Staat oder eine Institution Glück “schaffen” und lässt sich dies “messen”?

Jörg Kapeller: es gibt schon seit längerem eine Strömung, die nicht mehr nach dem unendlichen Wachstum der Wirtschaft strebt, sondern vielmehr nach Wohlbefinden, Erfüllung und Sinn. Wir hören ja auch schon seit langem von den „lebenswertesten Städten der Welt“, wo Wien immer vorne mit dabei ist oder von Staaten, die „zur Verbesserung der Welt beitragen“ (siehe www.goodcountry.org – Österreich ist hier immerhin am 18. Platz!). Wenn sich man aber den Einfluss dieser Strömungen auf das tatsächliche Glücksempfinden der Menschen anschaut, gibt´s hier noch reichlich Potential. Wenn wir systemisch an die Sache herangehen, ist vollkommen klar, dass eine Stadt, ein Staat oder sogar ein ganzer Kontinent mehr oder weniger Glück schaffen kann. Die Kennzahlen, die man miteinander kombinieren muss, um eine valide Aussage zu treffen, werden ja bereits erhoben: Gesundheit, Freiheitskennfaktoren, subjektive Zufriedenheitsmessungen, Anteil von psychischen Erkrankungen wie Burnout oder Depression usw. Die Forschung dazu, wie man diese Kennzahlen zusammentragen und steuern kann, ist schon längst weit genug und liefert vielversprechende Ergebnisse. Es braucht nur eine Politik, die ihre Entscheidungen danach ausrichtet und eine Bevölkerung, die diese Entscheidungen mitträgt – dann geht schon sehr viel!

 

ARGE Jugend: was empfiehlst du, um Glück in der Welt zu vermehren?

Jörg Kapeller: Selbstliebe und Nächstenliebe. Ich treffe in meiner Arbeit viele junge Menschen und es macht mich oft sehr betroffen, wie wenig sie sich selbst mögen. Es muss ja keine esoterische Innigkeit sein, aber selbst ein Satz wie “ich finde mich selbst ganz okay” kommt jungen Menschen oft schwer über die Lippen. In der Außenwirkung wird geprotzt, aber nach innen sieht´s oft traurig aus. Die nächsten Schritte wären dann die Reflexion und der Wille, sich selbst in eine Person zu verändern, die etwas mehr Glück in die Welt trägt. Der ehrliche und oft knallharte Blick in den Spiegel – unter Beibehaltung der eben genannten Selbstliebe – mit Sinnfragen im Hinterkopf. Warum bin ich manchmal so verletzlich und wo verletze ich andere? Was brauche ich, damit es mir gut geht und was brauchen andere? Was kann ich tun, um die Welt ein bisschen schöner und besser zu machen? Getreu dem Motto, das man erntet, was man säht, vermehrt sich auch Glück am besten, wenn man es teilt. Jede/r von uns kann täglich einen Beitrag zum Glück in der Welt leisten und davon haben wir letztlich alle was.

 

Link-Tipps

Studien der weltgrößten Glückdatenbank:

https://www.diepresse.com/3862190/eine-globale-glucksdatenbank

 

Die glücklichsten Länder der Welt 2020: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/817960/umfrage/top-10-der-gluecklichsten-laender-weltweit/

 

Moderne Glücksforschung:

https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/kfg-normenbegruendung/intern/publikationen/bayertz/04_bayertz_-_eine_wissenschaft_vom_gl__ck__1_.pdf

 

Harvard-Studie zum Glück durch qualitätsvolle Beziehungen:

https://ze.tt/laut-harvard-studien-brauchen-wir-genau-eine-sache-fuer-ein-erfuelltes-leben/

 

Studie zur Überschätzung von Lebensereignissen:

https://www.unibas.ch/de/Aktuell/News/Uni-Research/Gluecksforschung-Folgen-von-Lebensereignissen-werden-ueberschaetzt.html

 

Jörg Kapeller

Jörg Kapeller

Jörg Kapeller, Jahrgang 1978, ist freiberuflicher Pädagoge und Mediator. Als Referent der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus führt er steiermarkweit Workshops, Vorträge und Seminare zu unterschiedlichen Themenfeldern durch. Seine Schwerpunkte liegen auf Gewaltprävention und Konfliktmanagement, Miteinander und Vielfalt, Menschenrechten und Demokratie sowie auf dem Umgang mit Social Media im gesellschaftspolitischen Diskurs. Darüber hinaus referiert er regelmäßig zum Thema „Was ist Glück? Betrachtungen für ein gelingendes Leben“ mit seinem gleichnamigen interaktiven Workshop in Schulen, Jugendeinrichtungen und Gemeinden.

 

Den Workshop „Was ist Glück? Betrachtungen für ein gelingendes Leben“ können Sie über die ARGE-Beratungsstelle ganzjährig buchen. Zur Information und Beratung stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung: Martina Weixler, BSc, 0664/35 44 018, martina.weixler@argejugend.at