Demokratie in der Abwärtsspirale?

Massenproteste in Myanmar gegen eine erneute Militärdiktatur. Eine Gruppe von Republikaner*innen, die das Kapitol in Washington stürmen, weil sie gegen den Wahlsieg Bidens protestieren. „Querdenker“, die in Österreich unter dem Deckmantel der Demokratie ihre rechtsextremen und radikalen Ansichten verbreiten wollen. Hunderttausende Menschen, die in Weißrussland auf die Straße gehen, um gegen den selbsternannten Präsidenten Lukaschenko zu demonstrieren. Alleine diese vier aktuellen Beispiele zeigen, dass die Demokratie immer mehr auf der Kippe zu stehen scheint. Die Regierungsform wird kritisiert, angezweifelt, mit Füßen getreten. Befindet sich die Demokratie gerade in einer Abwärtsspirale?

 

Der Duden definiert Demokratie als ein „politisches Prinzip, nach dem das Volk durch freie Wahlen an der Machtausübung im Staat teilhat“.[1] Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, persönliche Freiheit, Wahlrecht, politische Beteiligung, Existenz einer Opposition und Gewaltenteilung sind die Merkmale dieser Regierungsform. Doch nicht jedes dieser Merkmale ist in allen demokratischen Ländern gleichermaßen ausgeprägt. Auch in der EU scheint Demokratie in Ländern wie etwa Polen, Ungarn oder Weißrussland teilweise eher einer Diktatur zu gleichen. Grund dafür sind oft autoritäre Machthaber, die sich im Laufe der Zeit als Alleinherrscher etablieren. Aber auch die immer weiter auseinanderklaffenden Meinungen der Gesellschaft oder verschiedene äußere Umstände, können beim kritischen Diskurs um Demokratie eine große Rolle spielen.

 

Demokratie und der Militärputsch in Myanmar

Von Demokratie konnte in Myanmar jahrzehntelang nicht die Rede sein, denn über ein halbes Jahrhundert hinweg herrschte dort eine strenge Militärdiktatur. Erst im Jahr 2015 fand die Diktatur endgültig mit wiedereingeführten freien Wahlen ein Ende. Die Nationale Liga für Demokratie (NLD) unter der Führung der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ging hier als Gewinner hervor. Dieser Wahlsieg brachte eine ständig wachsende Demokratisierungswelle mit sich und vermochte erstmals nach langer Zeit wieder Hoffnung auf Gerechtigkeit im Land. Diese Hoffnung zerplatze jedoch schnell, denn das Militär gab seine Kontrolle nie vollständig auf und hatte immer noch großen Einfluss, vor allem in sämtlichen bewaffneten Einheiten, die Polizei sowie auch die Geheimdienste. Fünf Jahre vergingen bis zu den neuen Parlamentswahlen am 8. November 2020. Erneut schaffte es die NLD und Aung San Suu Kyi mit einer absoluten Mehrheit von 70% zu gewinnen. Die Union Solidarity und Development Party (USDP), eine vom Militär unterstütze Partei, verlor die Wahl eindeutig und bezog auch nur 33 von insgesamt 476 Sitzen im Parlament. Dieser offensichtliche Verlust an Stimmen und die gesunkene Unterstützung wollte das Militär jedoch nicht wahrhaben und unterstellte der Siegerpartei Wahlbetrug. Seitdem war die Situation im Land angespannt und Gerüchte um einen Putsch des Militärs kursierten schon seit Wochen. Am 1. Februar sollte das neu gewählte Parlament erstmals ihre Arbeit antreten, doch das Militär kam ihnen zuvor und es kam zum Putsch. Laut Artikel 417 der Verfassung darf das Militär die Macht an sich ziehen, wenn die Einheit eines Landes, die nationale Solidarität oder Souveränität in Gefahr ist. Nach dem vermeintlichen Wahlbetrug sahen sie es als ihre Pflicht, den Notstand über das Land zu verhängen und die Staatsmacht zu übernehmen, bis es zu Neuwahlen komme.[2] Seitdem herrscht in Myanmar ein Ausnahmezustand. Noch am gleichen Tag wurden NLD-Mitglieder des neuen Parlaments entlassen, Aung San Suu Kyi und andere Abgeordnete wurden festgenommen, eine Ausgangssperre wurde verhängt, das Internet- und Telefonnetz brach zusammen. Dieser zu Unrecht ausgesprochene Notstand und der Vorwurf des Wahlbetrugs lösten im Land gewaltige Unruhen aus. Die Bürger*innen von Myanmar gingen auf die Straße und protestierten gegen die Übernahme der Staatsgewalt durch das Militär und kämpften für den Erhalt der Demokratie. Die Lage eskalierte und die Demonstrant*innen stießen auf brutale Polizeigewalt, Festnahmen, Wasserwerfer und Sturmgewehre.[3] Das Land schien immer mehr auseinanderzubrechen, da sich die Gesellschaft immer mehr spaltet und auch das öffentliche Leben, das Gesundheitssystem oder das Transportnetz kaum noch intakt war. Die Militärregierung zeigt sich dennoch weiterhin entschlossen und schreckt auch vor Sanktionen von anderen Ländern nicht zurück. Fast zwei Monate nach dem Beginn der Protestbewegung wurden nach UN-Angaben mindestens 149 Menschen getötet und über 2.500 wurden festgenommen. Am Mittwoch wurden zumindest 600 Demonstrant*innen aus dem Gefängnis entlassen. Die dortige Situation wirkt aber immer noch wie ein schreckliches Déjà-vu, wobei das Land so viel Hoffnung in die voranschreitende Demokratie setzte.[4]

 

Demokratie in der Corona-Krise

Seit einem Jahr sorgt das Corona-Virus und die daraus resultierenden Maßnahmen und Ausgangsbeschränkungen dafür, die Demokratie in Frage zu stellen und sie anzuzweifeln. Von einem Tag auf den anderen wurde der „Lockdown“ für alle Österreicher*innen Realität, die noch bis heute anhält. Seit März 2020 ist es die Aufgabe der Regierung zu entscheiden, wie wir Bürger*innen mit dieser Pandemie umgehen müssen und welche Maßnahmen zu berücksichtigen sind. Diese Einschränkungen sind laut Bundeskanzler Kurz notwendig, um die Verbreitung des Virus zu verhindern und alle Österreicher*innen zu schützen. Homeoffice, geschlossene Schulen, Universitäten, Geschäfte und Restaurants, abgesagte Veranstaltungen, das Abstandhalten, das Verbot Freund*innen zu treffen und Ausgangsbeschränkungen begleiten uns seit einem Jahr. Jedoch fühlen sich viele Menschen in ihren Grund- und Freiheitsrechten massiv eingeschränkt und sind der Meinung, dass diese Maßnahmen zu weit gehen. Einige meinen, dass die alleinige Entscheidungsmacht der Regierung, ob und wie lange der Lockdown gilt, eher einer Diktatur gleicht, anstatt einer Demokratie. Darunter sind die sogenannten „Querdenker“, die aus diesem Grund auf die Straße gehen, gegen die vielen Regeln demonstrieren und das ohne jegliche Sicherheitsmaßnahmen. Die eigene Meinung zu vertreten, sich dafür einzusetzen und sich an Demonstrationen zu beteiligen, ist keinesfalls verwerflich. Was jedoch verwerflich ist, sind bestimmte Gruppierungen von Demonstrant*innen, die ihre radikalen Ideologien unter dem Deckmantel „Demokratie bewahren“ publik machen. Die Ansichten und Verschwörungstheorien der Querdenker verbreiten sich immer schneller und ziehen mehr und mehr Menschen auf ihre Seite. Den Gegenpol bilden Österreicher*innen, die die Maßnahmen befolgen und vehement verteidigen. Die Folge: die Gesellschaft spaltet sich und die Kluft zwischen Lockdown-Befürworter*innen und Lockdown-Gegner*innen wird größer. Und das Coronavirus? Das steht in der Mitte und treibt weiterhin sein Unwesen, denn eines ist klar: wer schlussendlich Schuld an der Pandemie, dem Leid und der Ausgangsbeschränkungen ist, ist einzig und allein COVID-19. Besiegen können wir diese Krankheit nur, wenn wir alle zusammenhalten und anstatt uns gegeneinander aufzuhetzen, gemeinsam Lösungen zu finden.[5]

 

Demokratie im Zuge des US-Wahlkampfs

Der Zweifel an der Demokratie und eine Spaltung der Bevölkerung ist jedoch nicht alleine dem Virus geschuldet. Erst Anfang des Jahres wurden wir Zeug*innen, eines regelrechten Angriffs auf die Demokratie. Am 6. Jänner stürmten in den USA Republikaner*innen das Kapitol in Washington, um den abgewählten Präsidenten Donald Trump zu unterstützen. Den Wahlgewinn Joe Bidens wollte nämlich nicht nur der damals noch amtierende Trump nicht wahrhaben, auch seine Anhänger*innen standen noch treu an seiner Seite und stimmten dem Vorwurf des Wahlbetrugs zu. Nachdem Trump im Zuge einer Rede seine Anhänger*innen dazu aufrief, gemeinsam zum Kapitol zu marschieren, nahmen sie ihn beim Wort. So drang ein Mob in das Parlamentsgebäude ein und versuchte die formale Bestätigung des Ergebnisses der Wahl zu verhindern. Der Sturm aufs Kapitol unterbrach somit für mehrere Stunden eine Sitzung des Senats und des Repräsentantenhauses. Die teilweise bewaffneten Menschen belagerten das Gebäude und stellten sich mit ihrem Angriff ganz klar gegen den Sieg Bidens und gegen die Demokratie. Der Schock saß in Washington, den USA und auf der ganzen Welt tief. Die Uneinsichtigkeit und die Ignoranz gegenüber eines offiziellen Wahlergebnisses, kosteten sieben Menschen das Leben und unzählige wurden verletzt. Auch in diesem Fall wird klar, dass gewisse Bürger*innen nicht davor zurückschrecken, ohne Rücksicht auf Verluste, für ihre Meinung einzustehen. Meinungsverschiedenheiten zwischen Demokrat*innen und Republikaner*innen hat es zwar immer schon gegeben, doch sollte ein offizielles Wahlergebnis nicht dazu führen, ein Parlamentsgebäude zu stürmen und Menschen in Gefahr zu bringen. Ein solch brutales Verhalten hat nämlich wieder eines zur Folge: eine gespaltene Gesellschaft, die durch demokratiefeindliche Strömungen aggressiv angeheizt wird und ein friedvolles, vereintes Zusammenleben unmöglich macht.[6]

 

Demokratie unter der Herrschaft Lukaschenkos

Doch nicht nur in den USA steht die Demokratie auf Grund einer Präsidentschaftswahl auf der Kippe. Immer öfter reißen Staatsoberhaupte die Macht trotz verlorener Wahl an sich und stellen sich gegen das faire Wahlverfahren und die Entscheidungen der Bürger*innen, wie es letztes Jahr in Weißrussland geschehen ist. Seit der Präsidentschaftswahl am 9. August 2020 kämpft ein großer Teil der Bevölkerung für die Demokratie und demonstriert gegen den Machthaber Alexander Lukaschenko, der durch Wahlbetrug an die Spitze gelangte und sich selbst zum Präsidenten ernannte. Das demokratische Land wird somit von einem zu Unrecht ernannten Machthaber und seiner Machtlust beherrscht und alle, die sich gegen ihn stellen, werden gewaltsam abgewehrt, verfolgt oder inhaftiert. Doch nicht nur die Weißruss*innen werden für ihre Proteste für die Gerechtigkeit bestraft: die bei der Wahl durchaus beliebten Oppositionskandidat*innen wurden schrecklichen Drohungen, Polizeigewalt, Verhaftungen und Verschleppungen ausgesetzt. Alles nur, weil sich ein einzelner Mann seine Wahlverluste nicht eingestehen kann, sein Amt weiterhin innehaben möchte und dabei auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt. Mit Demokratie hat das schon lange nichts mehr zu tun!

 

Was man für die Demokratie tun kann

Die Ergebnisse der Integral-Onlinestudie aus dem Jahr 2019 zeigten, dass zwar neun von zehn Befragte in Österreich die Idee der Demokratie gutheißen, aber nur sechs von zehn mit der gegenwertigen Umsetzung zufrieden sind. Vier von zehn Österreicher*innen sehen die Demokratie sogar in Gefahr. Ausschlaggebend dafür seien Rechtsextremist*innen, Migrant*innen, Linksextremist*innen sowie Rechtspopulist*innen.[7] Rund 90% der Befragten sind der Meinung, dass die Demokratie die beste Staatsform für das Land sei, doch was macht diese Abwärtsspirale der Demokratie nun mit uns Bürger*innen und unserem Land? Wie soll unser Rechtsstaat funktionieren, wenn wir uns immer weiter gegeneinander aufhetzen? Welche Folgen wird die Spaltung der Gesellschaft auf längere Sicht haben? Wir haben das Glück in einem demokratischen Land leben zu dürfen und alle Freiheiten sowie Möglichkeiten, die dies mit sich bringt, genießen zu können. Deswegen müssen wir unsere Rechte und Pflichten als Bürger*innen erfüllen und mit unserer Stimme einen Teil zur Demokratie beitragen. Wahlen, Volksbegehren und Demonstrationen sind Möglichkeiten, seine Meinung kundzugeben und sich für Dinge, die einem wichtig sind, einzusetzen. Hetze und Ungerechtigkeit bringen uns immer weiter auseinander, doch was können wir tun, um dagegen anzukämpfen und die Demokratie zu bewahren? Das wichtigste ist, im Dialog zu bleiben. Jede*r hat eine eigene Meinung, unterschiedliche Vorstellungen und Ansichten, doch darf das kein Grund sein, sich gegeneinander aufzuhetzen und der Unmenschlichkeit den Vortritt zu lassen. Es ist gut und wichtig, sich über unterschiedliche Denkmuster auszutauschen und auch Verständnis für die andere Partei zu zeigen, so können wir eine Mitte finden und die Kluft zwischen uns schließen. Nur indem wir im Diskurs bleiben, kann eine weitere Spaltung der Gesellschaft verhindert und die Demokratie gerettet werden.

 

 

Bild: pixabay.com

Quellen:

[1] https://www.duden.de/rechtschreibung/Demokratie

[2] https://www.spiegel.de/politik/ausland/myanmar-was-bedeutet-der-putsch-fuer-aung-san-suu-kyi-a-3df40aa2-a76d-45ec-b93c-355c47f653fa

https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-02/militaerputsch-myanmar-festnahme-regierungschefin-wahlbetrugsvorwuerfe

[3] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/myanmar-proteste-133.html

[4] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2097628-Mehr-als-600-Demonstranten-aus-Gefaengnis-in-Myanmar-entlassen.html

[5] https://www.derstandard.at/story/2000123339446/die-koepfe-hinter-den-querdenker-demos

https://www.derstandard.at/story/2000121737189/bedrohen-die-corona-massnahmen-unsere-demokratie?ref=rss

[6] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/2087808-Trump-legte-Verwundbarkeit-der-Demokratie-offen.html

https://www.derstandard.at/story/2000122966416/sturm-auf-die-demokratie

[7] https://oesterreich.orf.at/stories/3012506/

 

Autorin: Katharina Russold