Refugees welcome?!

Vor über fünf Monaten zerstörte ein Großbrand das Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos. Über 12.000 Menschen wurden über Nacht obdachlos und den meisten Geflüchteten blieb nur eine Wahl: das provisorische Zeltlager Kara Tepe. Nach kurzer Zeit wurde jedoch klar, dass das Leben in diesem Camp noch unmenschlicher ist und die Zustände immer katastrophaler werden. Wann ist endlich Besserung in Sicht?

 

Kurz nach dem Brand in der Nacht des 9. Septembers war das Flüchtlingslager Moria massiv im Gespräch. Es hagelte Kritik an den katastrophalen Lebensumständen, denen die Geflüchteten ausgesetzt wurden. Tausende Menschen waren von heute auf morgen obdachlos und müssen seitdem in einem provisorischen Ersatzlager leben. Das Flüchtlingslager in Moria war schon vor dem Großbrand für seine schlechten Verhältnisse und dessen maßloser Überfüllung bekannt. In einem für rund 3.000 Personen ausgelegten Camp, waren phasenweise 20.000 Menschen untergebracht. Im September bedeutete das zur Gänze abgebrannte Flüchtlingslager für über 12.000 Bewohner*innen Obdachlosigkeit. Ein kleiner Teil konnte auf das griechische Festland gerettet werden, doch die meisten wurden im Lager Kara Tepe, nahe der Küste, einquartiert. Heute leben dort ca. 7.500 Menschen, darunter 2.500 Kinder. Dieses in Kürze entstandene Ersatzcamp vermochte jedoch keine Besserung, ganz im Gegenteil. Kara Tepe ist eine schlechtere Version von Moria, und das sogar noch katastrophaler und menschenunwürdiger als zuvor. Auf tausende Menschen kommen gerade einmal wenige hundert Dixie-Klos und noch weniger Duschen oder hygienische Waschmöglichkeiten. Fließendes, warmes Wasser, Strom und Betten sind selten, meist Ausnahmefälle. Die aufgebauten Zelte halten weder Sturm, noch starkem Regenfall stand. Das „Zuhause“ der vielen Menschen wird daher von Dreck, Matsch und Wasser überschwemmt. Auch der Wintereinbruch, die derzeitig schlechten Witterungsverhältnisse und die sinkenden Temperaturen verschlimmern die dortige Situation massiv.[1]

 

Vor Ort sind die Ärzte ohne Grenzen im Einsatz und versuchen die Menschen in Not zu versorgen. Neben alltäglichen Behandlungen sind auch die Verpflegung und Krankheitsprävention äußerst relevant, die hauptsächlich durch die unhygienischen Bedingungen notwendig werden. Schwangere Frauen, die im Dreck ihre Kinder gebären, Rattenbisse, Krätze und andere Infektionen sind gang und gäbe. Die alarmierende Situation hatte sogar eine Tetanus-Impfaktion zur Folge, wie die Ärzte ohne Grenzen berichteten.[2] Zusätzlich schreckt natürlich auch COVID-19 vor dem griechischen Lager nicht zurück. Obwohl man die Infektionszahlen derzeit unter Kontrolle habe und es auch vor Ort Testungen gibt, ist die Ansteckungsgefahr bei solchen Hygienezuständen besonders hoch. Um eine Ansteckung von außen zu verhindern, wurde es laut Reporter ohne Grenzen vor allem Journalisten*innen und Fotografen*innen untersagt, das Camp zu betreten.[3] Auch Helfer*innen ist es untersagt, Informationen vom Camp weiterzugeben. Das ist ein großer Eingriff in die Pressefreiheit und ohne ausführliche Berichterstattung dieser miserablen Lebensumstände, werden die Menschen und deren Probleme weiterhin im Lager Kara Tepe festgehalten. Festgehalten in nassen, dreckigen Zelten. Festgehalten in einem Camp ohne fließendem Wasser und ausreichend Strom sowie mangelnden sanitären Einrichtungen. Festgehalten in einer menschenunwürdigen, humanitären Katastrophe.

 

Ärzte ohne Grenzen bezeichnet das neue Lager im Interview mit dem ORF als „Hölle für die dort festgehaltenen Menschen“ und es sei um nichts besser als Moria.[4] Dabei hofften die Menschen nach dem Brand auf Besserung, auf eine endgültige Lösung, auf einen Ausweg aus diesem Elend, auf ein Licht am Ende des Tunnels. Diese Hoffnung zerplatze jedoch sehr schnell. Eine Evakuierung und Verteilung der Geflüchteten am Festland und in der EU kam für die griechische Regierung nach der Zerstörung des Lagers vorerst nicht in Frage. Premierminister Mitsotakis befürchtete einen weiteren und noch größeren Flüchtlingsstrom aus der Türkei. Um den Menschen den Weg in die Hauptstadt Lesbos‘ und in weiterer Folge von der Insel zu verhindern, wurden Straßensperren errichtet und Sicherheitskräfte der Polizei eingesetzt, ausgestattet mit Tränengas. Dieses Vorgehen der Regierung soll Geflüchtete abschrecken und weitere überfüllte Lager abwenden. Doch diese überfüllten Lager, die menschliche und faire Versorgung und Unterbringungen bedürfen, gibt es schon. Die EU stellte Griechenland von 2014 bis 2020 bereits drei Milliarden Euro zur Verfügung, doch verabsäumte es die konservative Regierung ein funktionierendes System für die Geflüchteten zusammenzustellen.[5] So sind tausende Schutzsuchende der humanitären Katastrophe des neuen Lagers Kara Tepe ausgesetzt. Ein Lager, das ursprünglich nur als Übergangslösung gedacht war, aber nun schon seit fünf Monaten die grauenhafte Realität von rund 7.500 Menschen ist.

 

Um die Situation zu verbessern, braucht es scheinbar Unterstützung von außen. Eine „europäische Lösung“, auf die die griechische Regierung wartet, gibt es allerdings nicht. Viele EU-Länder waren jedoch bereit zu helfen: Deutschland und Frankreich sprachen sich klar für eine Aufnahme von über tausend Geflüchteten aus und auch Finnland, Kroatien, Luxemburg, Belgien, Slowenien, die Schweiz, Italien, die Niederlande und Portugal kündigten nach dem Brand an, einigen Menschen eine neue Heimat zu bieten.[6] Die 17 weiteren EU-Länder und darunter auch Österreich, lehnten dies ab. Obwohl unter anderem Bundespräsident Van der Bellen sowie Parteien wie NEOS und SPÖ klar für die Aufnahme plädierten, stimmten die ÖVP, die Grünen und die FPÖ dagegen. Laut Bundeskanzler Kurz hat Österreich in den letzten fünf Jahren schon mehr als 200.000 Menschen aufgenommen und im Jahr 2020 außerdem für 3.700 Kinder positive Bescheide ausgestellt.[7] In dieser Situation sei es am sinnvollsten, Hilfe vor Ort zu leisten und die Menschen in Griechenland durch Hilfsgüter zu unterstützen. Als eines der ersten Länder Europas kündigte Österreich an, 400 voll ausgestattete Familienzelte mit Zeltheizung und -beleuchtung für 2.000 Personen zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus 2.700 aufblasbare Matratzen samt Polster und Bettwäsche, 7.400 Decken und 2.000 Hygienepakete.[8] Vor Weihnachten gaben Außenminister Schallenberg und Innenminister Nehammer außerdem bekannt, die Kinderbetreuungseinrichtung im Lager von 200 bisherigen auf 500 Plätze zu erweitern. Diese Hilfe vor Ort und auch die Aufnahme von Geflüchteten in mehreren europäischen Ländern, tragen natürlich einen großen Teil zur Verbesserung der prekären Bedingungen bei, doch was es wirklich braucht, ist eine dauerhafte und langfristige Lösung.

 

Um die Zustände auf der Insel Lesbos zu optimieren, hat sich die EU-Kommission nun auf den Bau eines neuen Flüchtlingslagers geeinigt. Das „neue, qualitativ hochwertige Aufnahmezentrum“ soll bis September 2021 fertiggestellt werden und auch menschenwürdige Lebensbedingungen bieten. Eine „Berücksichtigung internationaler Standards“ wird angepriesen. Doch wie geht es bis dorthin mit den rund 7.500 Menschen in Kara Tepe weiter? Müssen sie weitere Monate in Leid und Elend verbringen? Die unmenschliche Situation, die in diesem Flüchtlingslager herrscht, muss endlich verbessert werden. Und nicht nur in Griechenland setzt man geflüchtete Menschen katastrophalen Lebensbedingungen aus. In Westbosnien wurden Ende Dezember 900 Menschen nach einer vermeintlichen Verlagerung, wieder in ihr altes abgebranntes und aufgelassenes Lager Lipa gebracht, wo es lediglich Plastikplanen und nicht einmal Zelte gibt.[9] Derartige Unterbringungen sind unmenschlich und müssen auf jeden Fall evakuiert werden. Diese Unmenschlichkeit und Ignoranz gegenüber Geflüchteten muss ein Ende nehmen. Die Menschen, die schrecklichem Leid und Elend ausgesetzt sind, haben das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Die Würde des Menschen, Freiheit, Demokratie, Gleichstellung, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte– das sind die Werte der EU, die auch im Fall von Moria, Kara Tepe und allen weiteren Flüchtlingslagern ihren Platz finden müssen. Durch eine europäische Flüchtlings- und Asylpolitik sollten endlich faire und menschliche Bedingungen geschaffen werden, die es schon seit 2015 und darüber hinaus geben hätte sollen. Die EU darf Länder, wie Griechenland nicht alleine lassen und Flüchtende auf einer Insel vernachlässigen, wo sie womöglich in Vergessenheit geraten. Eine gerechte Verteilung in allen EU-Ländern ist notwendig, denn wenn nur die Hälfte aller Mitgliedsländer an einem Strang zieht, ist es nicht möglich, eine langfristige Lösung zu finden. Man muss gemeinsam für das Wohlergehen aller Bürger*innen sorgen und man muss gemeinsam für die Eindämmung von Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit kämpfen!

 

 

Bild: pexels.com

Quellen:

[1] https://orf.at/stories/3193700/

https://www.derstandard.at/story/2000122759776/nass-kalt-und-hoffnungslos-druck-auf-tuerkis-gruene-koalition-wegen?ref=rec

[2] https://www.aerzte-ohne-grenzen.at/article/lager-auf-den-griechischen-inseln-muessen-dringend-evakuiert-werden

[3] https://www.rog.at/pm/scharfer-protest-gegen-informationssperre-auf-lesbos-reporter-ohne-grenzen-rsf-oesterreich-kritisiert-zugangsverbot-fuer-wiener-journalistengruppe/

[4] https://orf.at/stories/3193700/

[5] https://www.tagesschau.de/ausland/moria-211.html

https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-in-moria-griechenland-setzt-auf-kalkulierte-haerte-a-2b87f62f-9b59-49a9-b73e-d2bc5f4eeaf9

https://www.derstandard.at/story/2000122927108/fluechtlingspolitik-hilfe-fuer-den-schwarzen-huegel

[6] https://kurier.at/politik/ausland/deutschland-nimmt-100-bis-150-minderjaehrige-aus-moria-auf/401028329

https://www.stern.de/politik/ausland/so-stehen-andere-eu-laender-zur-aufnahme-von-migranten-aus-moria-9415824.html

[7] https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2020/PK0924/

[8] https://orf.at/stories/3181649/

https://www.derstandard.at/story/2000120055873/oesterreichische-hilfslieferung-fuerfluechtlingslager-moria-gestartet

https://bmi.gv.at/news.aspx?id=41784270354A4E743734383D

[9] https://www.derstandard.at/story/2000122857800/reise-ohne-ziel-menschen-aus-lager-inbihac-harren-in-bussen

 

Autorin: Katharina Russold