Wenn Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist

Meinungsfreiheit, Wahlrecht, politische Beteiligung, Recht auf friedliche Versammlung, die Existenz einer Opposition und Gewaltenteilung – das sind einige Prinzipien, für die eine Demokratie steht und die in Ländern wie Österreich Normalität und eine Selbstverständlichkeit sind. Doch nicht jedes Land hat dieses Privileg. In Weißrussland regiert der autoritäre Machthaber Alexander Lukaschenko seit 26 Jahren und gilt als der letzte „Diktator“ Europas. Der Beginn seiner sechsten Amtszeit löste jedoch in der Bevölkerung Proteste aus.

 

Seit 1994 wird Weißrussland (oder auch Belarus) vom autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko regiert, wodurch die Regierungsform des Landes als letzte „Diktatur“ Europas bezeichnet wird. Da er sich bei der sechsten Präsidentschaftswahl durchaus beliebten OppositionskandidatInnen stellen musste, war es fraglich, ob es zu einem erneuten positiven Wahlergebnis kommen würde. Am 9. August 2020 gewann Lukaschenko jedoch mit rund 80 Prozent der Stimmen. Swetlana Tichanowskaja, die als seine größte Konkurrenz galt, bekam lediglich unter 10 Prozent. Nach der Wahl und dem klaren Ergebnis regnete es Kritik: es solle sich um Wahlbetrug handeln, ExpertInnen hielten die Zahlen für frei erfunden. Auch die Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja erkannte das Wahlergebnis nicht an, denn es sei „fern jeder Realität“. Ihre Mitstreiterin Maria Kolesnikowa warf der Regierung noch am selben Abend im Zuge einer Pressekonferenz Wahlbetrug vor. Auch Befragungen in der Bevölkerung nach dem Urnengang ergaben, dass die Mehrheit für die Oppositionelle gestimmt hätte. Schon Wochen vor der Wahl versammelten sich tausende WeißrussInnen, um gegen Lukaschenko zu protestieren und um sich klar gegen die neue Amtszeit des autoritären Machthabers auszusprechen. Nach dem Wahlabend und der vermeintlichen Wahlfälschung spitze sich dann die Lage zu.

 

„Es lebe Belarus“

Im ganzen Land gingen tausende BürgerInnen auf die Straße, alleine in der Hauptstadt Minsk waren es schätzungsweise zehntausend Menschen. Es schallten laute „Hau ab!“ und „Es lebe Belarus“-Rufe durch die Straßen. Doch die Demonstrationen fielen nicht allzu friedlich aus – Fotos und Videos auf Social-Media-Plattformen zeigten, wie die Polizei auf die Demonstrierenden einschlugen. Die PassantInnen versuchten sich gegen die Festnahmen zu wehren und attackierten die Sicherheitskräfte. In bestimmten Orten war es für die Polizei kaum möglich Widerstand gegen die Menschenmassen zu leisten. In Minsk wurden schon tagsüber Militärfahrzeuge bereitgestellt, denn um seine Macht zu erhalten, drohte Lukaschenko sogar mit dem Militär. Die Lage eskalierte: gesperrte Metro-Stationen, der Ausfall des Internets, gewaltsame Festnahmen, Einsatz von Tränengas, Wasserwerfer, Gummigeschosse und Blendgranaten. Die blutigen Auseinandersetzungen am und nach dem Wahltag hatten dreitausend Festnahmen und hundert Verletzte zur Folge, eine Person wurde getötet. Während EU-VertreterInnen und zahlreiche europäische, aber auch internationale Regierungen die Entwicklungen in Belarus verurteilten und sich klar gegen die Gewalt an den Demonstrierenden aussprachen, gratulierten die Staatsoberhaupte von China und Russland dem Wahlsieger Lukaschenko und vor allem Putin bot seine Unterstützung an. Doch auch die Zurufe und Verurteilungen rund um den Globus verbesserten die Aufstände in Weißrussland in keiner Weise. Am darauffolgenden Tag kam es in unzähligen Städten erneut zu Ausschreitungen und schrecklichen Szenen im Zuge der Proteste. Es sind großteils UnterstützerInnen der Oppositionellen Tichanowskaja, die gegen Lukaschenko protestieren und für Demokratie im Land kämpfen. Sie selbst fühlte sich von der Polizei und dem Präsidenten bedroht und sah sich gezwungen, das Land zu verlassen und in Litauen unterzukommen.

 

Während die EU bereits mit Sanktionen drohte und die Präsidentschaft Lukaschenkos nicht anerkannte, lehnte dieser trotz harscher Kritik jede Forderung der Neuwahl ab und kämpfte weiterhin für seine Machtposition. Der Opposition warf er hingegen vor, die Macht im Land an sich zu reißen und ging sogar strafrechtlich gegen sie vor. In der Bevölkerung löste dies immer mehr Unruhe aus und die Proteste gingen weiter – eine Besserung war also auch einen Monat nach der Neuwahl nicht in Sicht. Zehntausende gingen auf die Straße, schwenkten die rot-weiße Fahne der Opposition und Sprechchöre forderten „Freiheit“. Die Polizei antwortete darauf erneut mit Gewalt und Festnahmen. Schon im Vorfeld wurde von den Behörden vor der Teilnahme an „illegalen Demonstrationen“ gewarnt. Gegen alle Gegner Lukaschenkos wurde brutal vorgegangen, aber auch JournalistInnen wurden unterdrückt und ihrer Akkreditierung entzogen. Die Polizei machte selbst vor prominenten Oppositionellen nicht Halt. Im Zuge der Demonstrationen wurden AnführerInnen der Demokratiebewegung, nämlich unter anderem Olga Kowalkowa und Sergej Dylewski, festgenommen und in einem Gefangenentransporter abgeführt. Zwei Wochen später folgte der nächste Schock: die Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa wurde verschleppt und festgenommen. Der Grund dafür war eine Anklage wegen des Verdachts des Hochverrats und im Zuge dessen des Vorwurfs der Machtübernahme.

 

Kein Ende in Sicht?

Und auch heute noch gehen WeißrussInnen Woche für Woche auf die Straße um gegen Lukaschenko und die letzte „Diktatur“ Europas zu kämpfen. Und wofür? Grund für die Aufstände ist längst nicht mehr nur der manipulierte Wahlsieg des jahrelangen Präsidenten, sondern die Gewalt, mit der er seine KritikerInnen niedergeschlagen hat. Es geht um die Autonomie des Volkes und um politisches Mitspracherecht – es geht um den Erhalt von Demokratie. Mehr als zehntausend Menschen sind mittlerweile festgenommen worden, darunter Demonstrierende, die von ihrem Recht auf friedliche Versammlung Gebrauch machten, JournalistInnen, die sich ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung bedienten oder PassantInnen, die einfach am Straßenrand standen und zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Diese zu Unrecht verhafteten Menschen, werden Berichten zufolge in den Gefängnissen teilweise gefoltert und misshandelt. Die UN-MenschenrechtsexpertInnen riefen die weißrussischen Behörden sogar dazu auf, diese unmenschliche Vorgehensweise zu stoppen. Auch die EU geht weiterhin gegen Belarus vor und es wurden Sanktionen gegen etwa 40 Mitglieder des Regimes verhängt. Trotzdem lässt sich Alexander Lukaschenko nicht einschüchtern, denn ohne jegliche Ankündigung hat er sich Ende September zum sechsten Mal für die neue Amtszeit als Präsident vereidigen lassen. Die Auseinandersetzungen finden jedoch weiterhin kein Ende und das Land spaltet sich immer mehr.

 

Doch haben die vielen Proteste eines gezeigt: der Wunsch nach Demokratie im Land ist groß und ein Teil der Bevölkerung ist bereit sich dafür einzusetzen. Denn auch wenn die Demonstrationen die Meinung des amtierenden Präsidenten wahrscheinlich nicht ändern werden, ist die Aussicht auf Besserung in Weißrussland größer denn je zuvor. Der Einsatz der Demonstrierenden und vor allem die daraus resultierenden Taten Lukaschenkos, lassen die ganze Welt empört auf das Land blicken und die Unterstützung der Opposition ist von allen Seiten groß. Dieser starke Zusammenhalt wird der Herrschaft des Präsidenten hoffentlich ein baldiges Ende setzen und die Lage im Land endgültig verbessern.

 

 

Quelle: APA

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/stadt-menschen-schild-frauen-5119454/ (abgerufen am 24.10.2020)