Missstände in Agrarwirtschaft und Fleischproduktion sowie Wege zu einem gesunden, fairen und ökologischen Konsumverhalten
Abb 1.
Er ist maßlos, zerstört Anbauflächen und Wirtschaftssysteme, bedeutet Tierleid und belastet das Klima: unser Fleischkonsum. Lag der globale Fleischverzehr zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch bei 10 Kilogramm pro Kopf und Jahr, so stieg er in den 1960er-Jahren auf das doppelte und verstärkte sich bis heute auf 40 Kilogramm pro Bürger/in. Somit hat sich die weltweite Fleischproduktion in den letzten 60 Jahren nahezu vervierfacht, mit weiterhin steigender Tendenz. Während die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) im Jahr 2000 die weltweit produzierte Fleischmenge für das Jahr 2020 auf rund 333 Millionen Tonnen prognostizierte, wuchs diese tatsächlich um rund 100 Millionen Tonnen an. Dabei macht Österreich als Nation der Wiener Schnitzel, Schweinebraten und Käsekrainer seinem Ruf als Fleischtiger-Land alle Ehre. In der Europäischen Union belegen wir mit einem jährlichen Verzehr von 65 Kilogramm pro Kopf Platz 3, weltweit Platz 15. Drastischer formuliert: im Laufe ihres Lebens verzehren Herr und Frau Österreich rund 5,9 Tonnen Fleisch. Abseits der gesundheitlichen Auswirkungen einer übermäßig fleischlastigen Ernährung, so bedeutet insbesondere die intensive Massentierhaltung zur Produktion von „Billigfleisch“ – man denke etwa an XXXL-Wurstpackungen im Supermarkt zum Aktionspreis von € 2,99 pro Kilo – zahlreiche negative Konsequenzen für Mensch, Tier und Natur. So verursachen überdimensionierte Nutztierhaltung und industrielle Fleischproduktion einen hohen Flächen- und Wasserverbrauch, eine enorme Belastung von Böden und Gewässern sowie einen hohen CO2-Ausstoß – mit verheerenden Konsequenzen für´s Klima Die Lebensumstände der Tiere in Massentierhaltung sind qualvoll, die Arbeitsbedingungen der sogenannten „Zerleger/innen“ in Schlachtfabriken nur allzu oft von Ausbeutung geprägt. Nicht zuletzt stellen Agrarsubventionen für die armen Länder der Welt, die deren Produktions- und Marktfähigkeit durch Dumpingpreise vernichten, eine entscheidende Ursache für Elend, Gewalt, Fluchtwellen und weitreichende Zerstörung dar. So führt eine durch derartige Fremdeinwirkung zerstörte Landwirtschaft zu volkswirtschaftlicher Systemerhaltungsunfähigkeit und in weiterer Folge zu Hungersnot, Massenelend, Unruhen und Kriegen. Ein Szenario, wie es sich in vielen afrikanischen Ländern zeigt. Dieser Teufelskreis wird durch die Agrarsubventionen gebenden Länder im Interesse von Profit und Machterhalt auch noch befeuert – etwa durch Waffenexporte in die betreffenden Kriegsregionen. Auch die Themen Nutztierhaltung und Fleischproduktion spielen eine Schlüsselrolle in diesem in sich zusammenhängenden „System“.
Regionale Initiativen als Wegbereiter für nachhaltige Fleischproduktion
Die ARGE Jugend im Gespräch mit Bio-Fleisch-Direktvermarkter Micha Beiglböck
Abb 2.
Dass Fleischproduktion nicht auf Tierleid, Umweltzerstörung sowie auf unwürdigen Lebensbedinungen und Entwicklungen gründen muss, beweisen Initiativen wie das steirische Unternehmen nahgenuuss der Brüder Micha und Lukas Beiglböck. Mit Bio-Fleisch-Direktvermarktung von regionalen Biolandwirt/innen fördern die beiden Jungunternehmer einen gesunden und nachhaltigen Fleischkonsum sowie die Stärkung der regionalen Landwirtschaft und Sicherung von Arbeitsplätzen.
Wir haben Micha Beiglböck interviewt – zum Unternehmenszweck von nahgenuss, zu den globalen und nationalen Herausforderungen in puncto Agrarwirtschaft und Fleischkonsum sowie zu den größten „Aha-Effekten“, die er in seinen Schulworkshops zum Thema Konsumverhalten erlebt.
ARGE Jugend: Lieber Micha, was waren und sind deine beruflichen Tätigkeitsschwerpunkte?
Micha Beiglböck: Ich bin 1989 geboren und in der Weststeiermark und in Graz aufgewachsen. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft und der Philosophie in Graz hab ich mich gemeinsam mit meinem Bruder Lukas selbständig gemacht und 2016 nahgenuss.at gegründet. Ziel war es, die Direktvermarktung von Bio-Fleisch zu fördern. Mittlerweile verkaufen über 150 Bio-Bäuerinnen und Bio-Bauern aus ganz Österreich Fleisch und Wein über nahgenuss.
ARGE Jugend: Welcher Unternehmenszweck steckt hinter dem Begriff „nahgenuss“?
Micha Beiglböck: Mit nahgenuss wollten wir eine Plattform schaffen, die Bio-Bäuerinnen und Bio-Bauern und Konsumenten miteinander verbindet. „Nah“ hat hier zwei Bedeutungen für uns. Zum einen ist mit Nähe eine geographische Nähe gemeint. Kundinnen und Kunden kaufen bei Bäuerinnen und Bauern in ihrer näheren Umgebung ein. Zum anderen geht es aber sehr stark darum, wieder einen Bezug zum Produkt Fleisch herzustellen. Wir sind es oft nur mehr gewohnt Fleisch fertig abgepackt im Supermarkt zu kaufen. Dass hier einmal ein Tier dafür gestorben ist oder welche Menschen sehr viel Zeit und Energie in die Aufzucht der Tiere investiert haben, wird oft vergessen. Es soll über nahgenuss auch ein Bezug zum Produkt Fleisch hergestellt werden und auch gezeigt werden welche Menschen die Bäuerinnen und Bauern dahinter stehen. Das zweite Wort „Genuss“ steht für etwas Besonderes. Fleisch war früher kein tägliches Essen. Ziel von uns ist es, dass Fleisch wieder ein besonderes Genussprodukt wird. Fleisch ja, aber wenn dann soll es höchste Qualität sein. Die Tiere sollen ein gutes Leben haben und die Bäuerinnen und Bauern einen anständigen Preis bekommen.
ARGE Jugend: Wo liegen deiner Ansicht nach die globalen und nationalen Herausforderungen beziehungsweise Missstände in puncto Agrarwirtschaft und Fleischkonsum?
Micha Beiglböck: Bis in die 1950er Jahre gab es auch bei uns noch Nahrungsmittelknappheit. Lange galt deshalb in der Landwirtschaft die Devise, immer mehr und immer effizienter zu produzieren. Dieser Wandel in der Lebensmittelproduktion nahm in den letzten Jahrzehnten immer extremere Auswüchse an. Auf Umwelt, Tierwohl und letztlich auch auf die Bäuerinnen und Bauern wurde oft komplett vergessen. Heute stehen wir an einem Punkt, wo billiges Soja aus Südamerika für die Mast von Schweinen nach Europa importiert wird und das Fleisch dann weiter nach Asien exportiert wird. Profiteure dieses Systems sind nur wenige große Konzerne und – kurzfristig – auch wir Konsumenten. Die großen Verlierer dieses Systems sind die Landwirt/innen, die Tiere und unser Planet.
ARGE Jugend: Man erfährt immer öfter aus den Medien, dass sich starker Fleischkonsum negativ auf die Umwelt auswirkt. Kannst du uns in einfachen Sätzen erklären, welcher Zusammenhang hier besteht und wie ein gesunder, fairer und ökologischer Fleischkonsum aussehen könnte?
Micha Beiglböck: Es wird schlicht zu viel Fleisch konsumiert! Der Durchschnittsösterreicher isst im Jahr über 60 Kilogramm Fleisch im Jahr. Um diese Mengen zu produzieren bedarf es riesiger Flächen für den Futtermittelanbau. Auf vielen dieser Flächen könnte man auch gleich Nahrungsmittel für den Menschen anbauen, das wäre um vieles effizienter. Dadurch, dass Fleisch mittlerweile auch nichts mehr kosten darf, muss alles möglichst effizient hergestellt werden. Ein sehr hoher Ertrag bei der Futtermittelherstellung ist nur durch den Einsatz von Spritzmittel möglich. Die Umwelt wird vergiftet. Schweine brauchen weiters Eiweiß um schnell ihr Schlachtgewicht zu erreichen. Soja als eiweißreiche Pflanze ist hier ideal. Das Soja kommt aber meist nicht aus Österreich, sondern zum Großteil aus Übersee. In Südamerika werden riesige Waldflächen dafür gerodet und so Gen-Soja für den Weltmarkt hergestellt. Eine Lösung wäre, dass wir Konsumenten bei Fleisch viel mehr auf Qualität achten und gleichzeitig bewusster (weniger) konsumieren. Gleichzeitig müssen sich die Rahmenbedungen aber auch ändern. Lebensmittel dürfen nicht zum globalen Spielball werden und Tiere nicht der regulären Marktwirtschaft untergeordnet werden.
ARGE Jugend: Als Referent der ARGE Jugend führst du auch regelmäßig Workshops zum Thema Konsumverhalten an Schulen durch. Was sind die brisantesten Inhalte, die bei den Jugendlichen für “Aha-Effekte” sorgen?
Micha Beiglböck: Was viele noch immer überrascht ist, wie global unser Konsum ist. Zwei Beispiele:
- Geht man in´s Gasthaus im Ort, ist es sehr wahrscheinlich, dass das Schnitzel aus den Niederlanden oder Deutschland kommt. Die Futtermittel für dasselbe Fleisch kommen zum Teil aus Südamerika.
- Kauft man im Supermarkt im Ort Fleisch zum Grillen, kann es gut sein, dass das Fleisch aus Österreich kommt. Was viele aber nicht wissen: von einem Schwein bleibt ca. nur 1/3 in Österreich, der Rest wird bis nach Asien exportiert. Filet und Schnitzelfleisch kommen bei uns in den Handel. Bei uns nicht so beliebte Teile wie Bauchfleisch werden oft nach Asien exportiert. So ist es gut möglich, dass eine Familie in Graz und eine Familie in Tokyo, Fleisch vom selben Schwein grillen.
ARGE Jugend: Gibt es Literatur, TV-Empfehlungen oder Link-Tipps zum Thema Konsumverhalten, die du uns empfehlen könntest?
Micha Beiglböck: Mein Tipp ist, mit heimischen Landwirt/innen über das Thema zu reden. Es gibt nicht wenige Bäuerinnen und Bauern, die einen Ab-Hof-Kauf ihrer Produkte anbieten und auch gerne einen Einblick in ihre Arbeit geben. Der Verein “Land schafft Leben” hat weiters sehr gute Beiträge auf seiner Webseite und es gibt auch gute „Am Schauplatz“- Reportagen zum Thema Fleisch.
Abb 3. (c) Lukas Sauseng
Micha Beiglböck ist Jurist und Philosoph und betreibt gemeinsam mit seinem Bruder Lukas das Unternehmen nahgenuss zur Direktvermarktung von regionalem Biofleisch.
Überzeugung und bewusster Verzicht als Schlüssel zum Umdenken
Die ARGE Jugend im Gespräch mit Vegetarier Franz Stangl
Abb 4.
„Es wird schlicht zu viel Fleisch konsumiert!“ – mit diesen appellierenden Worten fasst nahgenuss-Gründer Micha Beiglböck den Kern der Problemfelder von Agrarwirtschaft und Fleischproduktion zusammen. Der Historiker und Leiter des Grazer Universitätsmuseums Franz Stangl hat für sich selbst eine Lösung gefunden, die er seit über zehn Jahren aus persönlicher Überzeugung lebt: bewusster Verzicht auf Fleisch in Form von vegetarischer Ernährung. Wir haben ihn als Vorreiter und Vorbild zu seinen Motiven für den Fleischverzicht, zu den positiven Effekten vegetarischer Ernährung sowie zu seinen Tipps für „angehende Vegetarierer/innen“ befragt.
ARGE Jugend: Lieber Franz, was sind die wichtigsten Motive für deinen Verzicht auf Fleisch?
Franz Stangl: Da ich mit vielen Tieren (Hasen, Hühner, Schafe, Schweine und Kühe) aufgewachsen bin und auch deren Schlachtung miterlebte, hat mich das Thema Fleischessen bereits als Kind beschäftigt. Die Tiere, die in Anbetracht ihrer Lebenserwartung häufig im Kindesalter getötet wurden, taten mir leid. Sukzessive verringerte ich bereits als Jugendlicher meinen Fleischkonsum und als ich bei einer Gesundheitsmesse in Wels von einem Vortragenden hörte, dass der durchschnittliche Fleischverbrauch in Österreich zu Anfang des 20. Jahrhunderts bei nur 4 Kilogramm Fleisch pro Jahr und Person lag, beschloss ich, dies zu meinem Limit zu machen. Wenige Jahre später verzichtete ich auch auf diese wenigen Portionen und ernähre mich nun seit über zehn Jahren vegetarisch. Bei Diskussionen um den Klimawandel und Umweltschutz werden zumeist Kraftfahrzeuge und Flugzeuge als Umweltsünder dargestellt. Was viele nicht wissen oder verdrängen, ist der Umstand, dass die klimaschädlichen Auswirkungen der Fleischproduktion genauso hoch, wenn nicht sogar höher sind. Meine Motive für eine vegetarische Ernährung spannen sich von der ethischen Frage des Umganges mit Tieren sowie über Fragen, die unsere Gesundheit betreffen, bis hin zu Umweltschäden, die durch Massentierhaltung hervorgerufen werden.
ARGE Jugend: Welche konkreten Schritte kann jede/r einzelne von uns zur Fleischreduktion beziehungsweise zum Fleischverzicht setzen? Hast du Anregungen und Ratschläge für “angehende Vegetarierer/innen”?
Franz Stangl: Wissen schließt Verantwortung mit ein – wenn ich über Missstände oder Umweltschäden erfahre, muss ich auch bereit sein, meinen Anteil an Selbstverantwortung einzubringen. Wer dazu noch das Glück hat, in einer Stadt wie Graz zu leben, mit einem derart vielfältigen Angebot von sehr guten vegetarischen und veganen Restaurants, tut sich nicht schwer, diese neue Erfahrungsschiene kennen zu lernen. Es muss auch niemand von heute auf morgen zur Vegetarierin oder zum Vegetarier werden, jedoch kann man am Teller die bisherige Einteilung umkehren, das heißt, statt der großen Fleischportion die Beilagen ins Zentrum rücken und das Fleisch als Beilage konsumieren.
ARGE Jugend: Was sind die wichtigsten positiven Effekte vegetarischer Ernährung aus deiner persönlichen Sicht?
Franz Stangl: Was das Essen betrifft, ist vegetarische Kost auf alle Fälle variantenreicher und vielfältiger im Geschmack. Auch gesundheitlich verbessern sich verschiedene Parameter wie Cholesterin und Blutdruck durch den Verzicht auf tierisches Eiweiß. Für unsere Erde bestünde der größte Nutzen in der Schonung von Ressourcen, denn wenn Regenwälder vernichtet werden, um Futtermittel für Masttiere anzubauen, dann ist es bereits fünf nach zwölf. Wenn wir dieser Ausbeutung an der Natur und den Tieren nicht entgegenwirken, werden die Auswirkungen für uns alle verheerend sein.
Abb 5.
Franz Stangl ist Historiker und Kustos des Grazer Universitätsmuseums. Er verzichtet seit über zehn Jahren aus persönlicher Überzeugung auf Fleisch.
Position der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus
Abb 6.
Wir als ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus, die wir für Menschenrechte und Demokratie sowie für Frieden und Gemeinwohl aller Erdenbürger/innen eintreten, positionieren uns klar und deutlich für eine von Leid und Qual befreite Nutztierhaltung und möglichst regionale Fleischproduktion, die das Wohl und die Würde aller Lebewesen sowie die Achtung vor der Umwelt in Einklang mit Versorgung und Wirtschaft bringt und die nach einer gedeihlichen Entwicklung trachtet. Zudem positionieren wir uns energisch für ein Zurückfahren von Agrarsubventionen, welche die Produktions- und Marktfähigkeit armer Länder durch Dumpingpreise vernichten sowie für das Einstellen von Waffenexporten in kriegführende Staaten. All dies fordern wir zur Bekämpfung von Elend, Gewalt, Fluchtwellen und Zerstörung sowie im Geiste eines fairen und nachhaltigen Weltethos.
Literatur-Tipps der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus
Abb 7.
Fleischkonsum in Österreich: global2000
Fleischkonsum weltweit: statista.com
nahgenuss – Biofleisch direkt vom Bauernhof: nahgenuss
Die Auswirkungen von Agrarsubventionen, Teil 1: süddeutsche.de
Die Auswirkungen von Agrarsubventionen, Teil 2: treffpunkteuropa.de
Die Europäische Union und der „Mythos Agrarsubvention“: europa.eu
Bildquellen:
Beitragsbild: https://pixabay.com/de/photos/steak-fleisch-rindfleisch-1081819/ (abgerufen am 28.07.2020)
Abb 1.: https://pixabay.com/de/photos/schwein-schweinefleisch-schlachthof-1985380/ (abgerufen am 28.07.2020)
Abb 2.: https://pixabay.com/de/photos/hahn-bauernhof-dorf-huhn-polygamie-2522623/ (abgerufen am 28.07.2020)
Abb 3.: https://www.nahgenuss.at/entdecke_nahgenuss/ueber_uns/(abgerufen am 28.07.2020, credit: Lukas Sauseng)
Abb 4.: https://pixabay.com/de/photos/gem%C3%BCse-gem%C3%BCsekorb-ernte-garten-752153/ (abgerufen am 28.07.2020)
Abb 5.: credit: Mag. Franz Stangl
Abb 6.: https://pixabay.com/de/photos/gerstenfeld-weizen-ernte-1684052/ (abgerufen am 28.07.2020)
Abb 7.: https://pixabay.com/de/photos/zeitung-papier-zeitungspapier-943004/ (abgerufen am 28.07.2020)
Text: Martina Weixler