Beiträge zur Vernunft, Besonnenheit und Solidarität VII:

Ende des Neoliberalismus? Renaissance des Staates oder …?

„Gegenfeuer. Wortmeldungen im Dienste des Widerstandes gegen die neoliberale Invasion“ benannte der französische Soziologe Pierre Bourdieu 1998 eine Sammlung von ideologiekritischen Texten als Aufschrei gegen den damals weltweiten Hype des „Downsizens des Sozialstaates“. Margaret Thatcher stand in den 1980er Jahren an der Wiege und Spitze der neoliberalen Revolte. Sie zwang im britischen Bergarbeiterstreik der Jahre 1984/85 den mächtigen Gewerkschaftsführer Arthur Scargill in die Knie, was retrospektiv als einer der Zündfunken für die neoliberale Revolte gelten darf.

Dem Wohlfahrtsstaat die Flügerl stutzen: ein neoliberales Credo

Gerhard Spörl brachte das Erfolgsmodell der „Eisernen Lady“ bereits 1987 in der Hamburger ZEIT einprägsam auf den Punkt: „Margaret Thatcher bestimmt das Ziel und den Zweck ihres Handelns erschreckend deutlich: dem Kapitalismus und den Kapitalisten frischen Lebensgeist einflößen; den Gewerkschaften das Genick brechen und den Wohlfahrtsstaat stutzen; protestantische Arbeitsethik verschreiben. Ihrem Gegenspieler Neil Kinnock ging früh auf, wie wirkungsvoll die Kombination von neuer Festigkeit und alten Ideen sein kann: Sie hat ihre Zeit besser begriffen als wir.”[1]

In transatlantischer Einigkeit mit Ronald Reagan setzte die Eiserne Lady das neoliberale Modell des „Downsizen von Sozialstaat und Gewerkschaftseinfluss“ zugunsten der auf Deregulierung getrimmten „invisible hand des freien Marktes“ weltweit durch. Thatchers neoliberales Politikkonzept ergriff – flugs entfesselt wie aktuell das Corona-Virus – sogar die westeuropäische Sozialdemokratie, ließ diese ihr keynesianisch geprägtes Wirtschafts- und Gesellschaftskonzept aus eigenem Entschluss einfach über Bord werfen. Tony Blair und Gerhard Schröder dürfen für sich die zweifelhafte Auszeichnung als Ikonen einer neoliberal infizierten Sozialdemokratie gemeinsam beanspruchen. Der Schriftsteller Peter Rosei erkannte damals bereits, was Blairs „New Labour“ in Wirklichkeit tatsächlich bedeutet: „New Labour is no labour!,“ hielt Rosei beharrlich fest. Die von Sozialdemokraten nur halbherzig betriebene „Dressur des Marktes“ mit staatlich finanzierten Arbeitsprogrammen sei allenfalls Sozialkosmetik und PR-Flitter einer vom Neoliberalismus überrollten Wirtschaftspolitik. Roseis Essay glich in den ausgehenden 1980er Jahren der Stimme des Rufers in der Wüste – oder sollten wir besser sagen: er glich dem unerhörten und ungehörten Rufer auf der Bühne radikaler Selbstverwüstung innerhalb der westlichen Sozialdemokratie?[2]

Genosse der Bosse, Callgirl-Affäre und Brotkorb höher hängen

Blairs Berliner Pendant Gerhard Schröder, vom linken Flügel der SPD zutreffend als „Genosse der Bosse“ bezeichnet, setzte mit seinem Hartz-IV-Modell ein Arbeitsmarktkonzept um, welches vermutlich kein konservativer oder liberaler Regierungschef jemals zu realisieren gewagt hätte: von Ein-Euro-Jobs bis zu einem Hartz-IV-Satz (= vormaliges deutsches Arbeitslosengeld II) von aktuell Euro 432,– (sic!) für alleinstehende Personen. Gerhard Schröder und sein Mastermind Peter Hartz repräsentierten das verheerende Sittenbild eines moralisch wie auch politisch verkommenen Teils innerhalb der Sozialdemokratie um die Jahrtausendwende: Während Peter Hartz den erschütternd niedrigen Hartz-IV-Regelsatz für angemessen erachtete, erlangte er selbst anrüchige Berühmtheit für die sogenannte Callgirl-Affäre. Als Führungskraft des VW-Konzerns finanzierte er seinen Betriebsräten Luxus-Callgirls für die devote Zustimmung zu konzernrelevanten Maßnahmen auf Kosten der ArbeitnehmerInnen.[3] Die von Peter Hartz zu verantwortende Callgirl-Affäre wie auch sein desaströses Hartz-IV-Modell müsste man jedem Sozialdemokraten beim Parteieintritt in Form eines dreifachen Lernpaketes überreichen: als farbenfrohe Broschüre, als Pressespiegel zum Nachlesen und als Sammlung von Youtube-Videos zur unterhaltsamen Basisbildung mithilfe des Genres „Realsatire“. Diese Materialsammlung sollte angereichert werden mit dem mahnenden Hinweis, mit der Callgirl-Affäre des Peter Hartz moralisch, politisch und ideologisch den Kelvinschen Nullpunkt an politischer Glaubwürdigkeit erreicht zu haben![4]

Wahlerfolg camouflierte die beiden Totengräber der Sozialdemokratie

Der Wahlerfolg schien den beiden neoliberalen Roten in London und Berlin zunächst Recht zu geben. In der Rückschau erweisen sich Schröder und Blair jedoch als „Totengräber der Sozialdemokratie“, wie das aktuelle Desaster der Sozialdemokratie in vielen europäischen Staaten zeigt. Ich selbst verwendete bereits ab Mitte der 1990er Jahre in mehreren öffentlichen Veranstaltungen wie auch in Publikationen wiederholt die Begriffe „Totengräber der Sozialdemokratie“ und den von mir passim zitierten Begriff des „verkehrten Robin Hood“, wenn ich von Schröder und Blair sprach: Take from the poor and give to the rich“, was mir damals oft heftigen Widerspruch, Drohungen und Erpressungen der Bannerträger der neoliberalen Selbstunterwerfung unter das Joch neoliberaler Politik eintrug.

Selbstbeschädigung der Sozialdemokratie durch neoliberale Liaison mit Langzeitfolgen

Der SPD-Politiker Peter Glotz prägte in seinem Buch „Die Arbeit der Zuspitzung“ (1984) den Terminus der „Zweidrittelgesellschaft“, der „eine Gesellschaft (bezeichnet), die mit hoher Arbeitslosigkeit lebt, die eine neue Armut duldet, den Kern der Arbeiterschaft materiell einigermaßen sichert, konfliktunfähige Randgruppen aber ausgrenzt.“ Hinzuweisen ist freilich auf die Ironie der Geschichte, dass die Neoliberalen die Sozialdemokratie nicht besiegt haben. Sie brauchten nur deren morsch gewordenen Trägersäulen anzustoßen, wie es etwa Jörg Haider mit provokanten Sagern und decouvrierenden Taferln oder Margaret Thatcher mit stählerner antisozialistischer und antigewerkschaftlicher Kampfrhetorik fortwährend erfolgreich praktizierten. Nach den Pyrrhussiegen Schröders und Blairs konnten Konservative und Neoliberale sogar auf rhetorische Rempeleien weitgehend verzichten.[5] Wer sich nämlich selbst willfährig auf eine Liaison mit dem Neoliberalismus einlässt, der kann diesen nicht mehr glaubwürdig beim politischen Gegner kritisieren. Peter Roseggers Satz „Das Weltgift haben sie getrunken“, bringt das Erliegen der führenden Sozialdemokraten vor den neoliberalen Verlockungen und Verblendungen trefflich auf den Punkt![6]

Leistungsträger gegen Komfortzonenjunkies: der Nachhall des neoliberalen Wordings

Die von Milton Friedman, Friedrich August Hayek und den sogenannten Chicago Boys geprägte neoliberale Politik, die in Zeiten einer boomenden Realwirtschaft der 1960er bis in die 1980er Jahre mit satten Gewinnen und mit Vollbeschäftigung keine Chance auf Resonanz hatte, setzte sich in ihren Konzepten und gebetsmühlenartigen Wordings ab Mitte der 1980er Jahre durch: Der Staat sei der schlechteste aller Unternehmer; Wir können uns den überbordenden Sozialstaat nicht mehr leisten; Der Wohlfahrtsstaat fördere ohnedies nur die Komfortzonen- und Vollkaskomentalität; Die unsichtbare Hand des freien Marktes regle die Wirtschaft und das Zusammenleben viel besser; Wirtschaft und Gesellschaft gehören dereguliert; Es gehe nun um die Erhöhung von Treffsicherheit der sozialen Leistungen, um arbeitswillige Arbeitslose von Faulenzern zu trennen; ebenso müsse eine beständige Verschärfung von Zumutbarkeitsgrenzen für Langzeitarbeitslose deren Motivation erhöhen, damit sie nicht auf der faulen Haut liegen; Man müsse ihnen den Brotkorb höher hängen, um ihr Selbsthilfepotenzial wachzuküssen; Jeder sei seines Glückes Schmied; Effizienz und Effektivität müssen alle Bereiche des Lebens dominieren; Aus Platzgründen sei zur Dechiffrierung der neoliberalen Glaubenssätze auf Stefan Schulmeisters lucide Schriften zur Neoliberalismuskritik verwiesen. Abgesehen von der Propagandamaschinerie der „Downsizer“ erachtet Schulmeister den zunächst kaum erwarteten Sieg des Finanzkapitalismus gegenüber der Realwirtschaft als Turbomotor für den Erfolg neoliberaler Politik. Er verwendet dazu bisweilen Goethes „Zauberlehrling“ als treffliche Metaphorisierung der unerschöpflichen, kaum aufhaltbaren Entfesselung der börsennotierten Finanzwirtschaft, die realwirtschaftliche Unternehmen in ihrer Kapitalstärke mittlerweile um ein Vielfaches überflügelt hat.[7]

Starker Wirtschafts- und Sozialstaat mit funktionierenden Institutionen schafft Vertrauen

Was weder das vom Neoliberalismus ruinierte britische Eisenbahn- und Gesundheitswesen schaffte, noch der milliardenschwere Hypo-Alpe-Adria-Skandal, auch nicht die weltweite Finanzkrise 2008 oder die europaweite Überführung milliardenschwerer Steuerhinterzieher durch Herve Falciani und anderer Whistleblower, das dürfte dem Coronoavirus gelungen sein: einen Beitrag zur Renaissance eines bewährten sozial-, gesundheits- und wirtschaftspolitischen Staatskonzeptes zu leisten, das mit den BürgerInnen im Schulterschluss das jetzt Überlebenswichtige in hoher Qualität sicherstellt. Uns Neoliberalismuskritikern war bereits in den 1990er Jahren evident, dass es im Kern immer darum ging, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu verstaatlichen, verbunden mit der Chuzpe, den Staat für die daraus entstehenden Kosten auch noch zu attackieren. In der Coronakrise wird in jenen Staaten, deren Institutionen und deren Gewaltenteilung gut entwickelt und deren BürgerInnen mehrheitlich zu solidarischem Handeln fähig und willens sind, der Mehrheit der BürgerInnen jetzt klar, wer für das individuelle wie auch für das gemeinschaftliche Wohlergehen mehr beitragen kann als der rhetorische Marketingfirlefanz neoliberaler Phraseologie: unser aller Sozialstaat, der zugleich ein Wirtschafts-, Kultur- und Bildungsstaat für uns alle und für jeden einzelnen ist! Mit den Headlines „Wer schützt in der Not? Der Staat!“ oder „Dein Staat und Retter“ brachte die ZEIT diese tragfähige Evidenz auf den Punkt. Jetzt ist er es, der als hyperbürokratisches, schlecht wirtschaftendes und bevormundendes Auslaufmodell diffamierte Staat, der nun wieder einmal den Wirtschaftstycoons aus der Patsche und ihnen wieder auf die Beine hilft. Jener verächtlich gemachte Staat, der Interessensausgleich in Windeseile mit sozialpartnerschaftlicher Assistenz zu leisten vermag und der über den ORF für qualitätsvolle Information sorgt im Verbund mit den unabhängigen Printmedien. Ob die Coronakrise, wie Stephan Schulmeister annimmt, zum Zusammenbruch neoliberaler Politik und zu einer Verlagerung der Akzente vom finanzkapitalistischen Spekulantentum zur Realwirtschaft führen wird, das bleibt offen. Eins scheint gewiss: Der Staat ist durch sein vorbildliches Krisenmanagement drauf und dran, verlorenes Vertrauen von seinen BürgerInnen zurückzugewinnen. Sein Erfolgsrezept ist geprägt vom Gemeinschaftssinn und von Gemeinwohlorientierung, es setzt auf Kooperation, auf sozialen Zusammenhalt, auf vernunftgeleitete Um- und Vorsicht, auf konsequenten Dialog mit allen Institutionen und mit den BürgerInnen, um die Krise gemeinsam gut zu überstehen. Unsere Bundesregierung, das Parlament, die Landesregierungen, die Gemeindepolitik und die Sozialpartnerschaft erfahren zurecht einen Zuwachs an Vertrauen, Ansehen und Wertschätzung für das in Windeseile Geleistete! Die Europäische Union verspielt hingegen leider ihre letzten Credits an Ver- und Zutrauen sowie an Image bei Millionen BürgerInnen, worüber ich noch gesondert schreiben werde.[8]

Ende des Neoliberalismus. Renaissance des Staates?

Ein seit vielen Jahren treuer Mit- und Vorausdenker, zugleich ein belesener Freund mit einem liberal-konservativen Hintergrund, warnt mich in unseren feinsinnigen Disputationes stets geduldig vor Staatssakralisierung, während ich ihn mit derselben Geduld von zu einseitiger Marktsakralisierung abzubringen versuche.[9] Die aktuelle Krise lehrt uns vermutlich beide, dass es zur Sicherung von Gesundheit, Frieden, Freiheit, Solidarität, wirtschaftlichem Erfolg und sozialem Zusammenhalt nicht ein krudes Entweder-Oder an Markt- oder Staatssakralisierung braucht. Gerade jetzt ist ersichtlich, dass das zu beobachtende kluge – von der Bundesregierung orchestrierte – Zusammenwirken von Politik, Verwaltung, Sozialpartnerschaft, Unternehmen, Medien, Zivilgesellschaft und jedes einzelnen Bürgers und jeder BürgerIn notwendig ist, um sich nach besten Kräften und Kompetenzen am Projekt „Krisenbewältigung“ zu beteiligen.

Wenn es zu einer Renaissance nach Corona kommen möge, so sollte diese darin bestehen, im Geiste einer selbstreflexiven Aufklärung sämtlichen All- und Einheilsvisionen des Denkens und Handelns konsequent abzuschwören, diese in Museen und Mottenkisten unter der Rubrik „Einbahnstraßen, Holzwege und Abwege“ auszustellen nach dem Motto: „Zur nachahmenden Anwendung nicht empfohlen!“ Kurzum: Eine Renaissance von praxistauglicher besonnener Vernunft, die von einem realistischen Menschen- und Weltbild ausgeht und die zugleich auf keinen Menschen vergessen darf, sollte im Dialog mit allen Bürgerinnen und Bürgern fortan erprobt und trainiert werden. Die Verelendeten in aller Welt dürfen dabei NIE ausgeblendet werden, sondern sind auf die oberste Stelle jener politischen Agenda zu rücken, die ein humanistisches Weltethos ernst nimmt!

Christian Ehetreiber

Links:

Stephan Schulmeister: Die Krise ist das Ende des Neoliberalismus

https://www.moment.at/story/stephan-schulmeister-corona-krise?fbclid=IwAR0QZF9iHfTsJNCAUUzJxX7Iy9v46aoICaMEeYX7vNR_pT3OG6ZU5fC8GTA

Link zu beiden Bänden „Gegenfeuer“ von Pierre Bourdieu

https://www.perlentaucher.de/buch/pierre-bourdieu/gegenfeuer-2.html

Link zu einem ZEIT-Beitrag Gerhard Spörls aus dem Jahre 1987 zu Margaret Thatchers Politik

https://www.zeit.de/1987/26/die-schulmeisterin-und-ihre-briten

Peter Rosei: Die Dressur des Marktes oder New Labour is no Labour?

https://www.alte-schmiede.at/wp-content/uploads/2016/06/Hammer_14_2006-06.pdf

Hartz IV- und Callgirl Skandal

https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitslosengeld_II#Berechnung

Jens Jessen: Sex bei Volkswagen

https://www.zeit.de/2005/29/Spitze_29

ORF-Online über den Korruptionsskandal Peter Hartz

https://newsv1.orf.at/070117-8196/?href=https%3A%2F%2Fnewsv1.orf.at%2F070117-8196%2F8197txt_story.html

“Bonus” an Betriebsrat und Geliebte
Hartz hat laut Anklage zugegeben, dass (VW-Betriebsratschef) Volkert von 1994 bis 2005 neben seinem Gehalt “Sonderbonuszahlungen” von insgesamt fast zwei Millionen Euro bekam, ohne dass dies bei VW offen gelegt worden sei. Ursprünglich vorgesehene Kontrollmechanismen habe der mächtige Personalvorstand abgeschafft.

Auch der Geliebten von Volkert, der Brasilianerin Adriana Barros, habe Hartz hohe Summen ohne Gegenleistung zugeschanzt. Sie habe von 2000 bis 2004 insgesamt 400.000 Euro erhalten. Ein mit ihr mündlich geschlossener “Agenturvertrag” sei nur vorgespielt gewesen, um die Geldflüsse “mit dem Schein der Legalität zu schmücken”, heißt es in der 63 Seiten starken Anklageschrift.

Die Ermittler sind davon überzeugt, dass Hartz das gewusst und gebilligt habe.

Kurznotiz aus WIKIPEDIA zur Zweidrittelgesellschaft

https://de.wikipedia.org/wiki/Zwei-Drittel-Gesellschaft

Die Chicago Boys

https://de.wikipedia.org/wiki/Chicago_Boys#Radikale_Reformen_von_1975_bis_1982

 

[1] Vgl. Gerhard Spörl: https://www.zeit.de/1987/26/die-schulmeisterin-und-ihre-briten Eine verblüffend selbstreflexive Offenheit, mit der Kinnock den bevorstehenden Niedergang der Labour Party im Vereinigten Königreich und – nur wenige Jahre zeitversetzt – für die Sozialdemokratie in mehreren europäischen Staaten prognostiziert hat!

[2] „Die Verachtung von Managern den von ihnen Gemanagten gegenüber schlägt stellenweise durch. Weg mit den Arbeitslosen um jeden Preis! lautet die (…) unausgesprochene Devise. Wer Markt sagt, sagt, bis zu einem gewissen Grad, auch Arbeitslosigkeit. (…) Vollbeschäftigung ist keins der Ziele des Marktes. Die unsichtbare, alles ordnende Hand, von der Adam Smith spricht, gibt es nicht. Hilfe zur Selbsthilfe greift hier zu kurz.“ Vgl. Peter Rosei: https://www.alte-schmiede.at/wp-content/uploads/2016/06/Hammer_14_2006-06.pdf

[3] Jens Jessen brachte in der Hamburger ZEIT den ungeheuerlichen Skandal auf den Punkt: „Wer aber will seiner behüteten Tochter noch einen VW schenken oder gar von irgendeinem VW-inspirierten Arbeitsmarktmodell (dem Hartz-IV-Modell) hören, wenn das Muster, was damit aufgerufen wird, schon lange nicht mehr die deutsche Ehe von Kapital und Arbeit, sondern ein portugiesisches Bordell ist? Manches spricht dafür, dass sich Peter Hartz dem aus Lissabon eingeflogenen Callgirl zu Recht als geheimer Mann vorgestellt hat. Dieser geheime Mann, der in jedem Deutschen stecken mag, hat vielleicht auch schon lange von keinem VW-Passat mehr geträumt, sondern von dem erotischen Glamour alter Kolonialnationen.“

[4] Wie es nach 1945 parteiübergreifend hieß: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, müsste es heute in Europas Sozialdemokratie heißen: Nie wieder Gerhard Schröder, nie wieder Peter Hartz, nie wieder Tony Blair!

[5] Ausgehend von milliardenschweren Korruptionsskandalen, der Bereicherung von Günstlingen, einem überbordenden Gewerkschaftseinfluss mit monatelangen Massenstreiks in Italien, Frankreich und Großbritannien, einer oftmaligen Abkoppelung sozialdemokratischer Ziele von marktwirtschaftlicher Vernunft, einer fast überall aus dem Ruder laufenden Staatsverschuldung und einem betongleichen Beharrungsvermögen auf Unhaltbarem: „Das war schon immer so, und das wird so bleiben“, sei hier auf das Moment der „Selbstversenkung“ des in den 1960er und 1970er Jahren höchst erfolgreichen sozialdemokratischen Modells aus Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und Reformpolitik verwiesen. Klüger wäre es freilich gewesen, das sozialdemokratische Modell einem politisch-ideologischen, wirtschaftlichen, kulturellen und moralisch tragfähigen Relaunch zu unterziehen, als man noch über politischen Einfluss, WählerInnen und Finanzmittel verfügte. Statt Relaunch gab es in Wahlkampfzeiten ab 1979 das Pickerl „Taus-Götz? Nein Danke“, das bis zum durchgestrichenen Politiker-Paar Kurz und Strache mit wenigen Variation wiederholt wurde. Fast durchgängig prägten Defensive, Abwehr und Nicht-Botschaften die Sozialdemokratie seit dem Rücktritt Bruno Kreiskys 1983.

[6] „Das Weltgift haben sie getrunken!“ Diesen Satz schleuderte der an seiner Scholle haftende Bauer Jakob Steinreuther im Roman „Jakob, der Letzte“ all jenen Bauern an den Kopf, die den Verlockungen der modernen Stadt folgten und am Lockruf des Urbanen meist elend scheiterten.

[7] Stephan Schulmeisters Neoliberalismuskritik findet sich am Ende des nachfolgenden WIKIPEDIA-Beitrages: https://de.wikipedia.org/wiki/Stephan_Schulmeister

Zum Genere der Neoliberalismuskritik, die aus unterschiedlichen politisch-ideologischen wie auch religiösen und spirituellen Quellen gespeist wird, seien exemplarisch weitere AutorInnen zitiert: Noam Chomsky, Jean Ziegler, Pierre Bourdieu, Amartya Sen, Keith Dixon, John Rawls, Richard Sennett, Markus Marterbauer, Emmerich Talos, Hans Georg Zilian, Egon Christian Leitner oder Markus Schlagnitweit.

[8] Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen etwa maßregelt die Regierungen jener Staaten, die ihre Grenzen weitestgehend abriegeln, um die weltweite Verbreitung der Pandemie einzubremsen: „Die Grenzschließungen einzelner EU-Staaten hätten das Coronavirus nicht aufgehalten, aber vielen Firmen sehr geschadet und wichtige Lieferketten in Europa unterbrochen, kritisierte von der Leyen.“ Link: https://www.stimme.de/deutschland-welt/politik/dw/Corona-Krise-Von-der-Leyen-warnt-vor-neuer-Kluft-in-der-EU;art295,4339335 Die EU versagt bislang auch kläglichst in der Wirtschafts- und Finanzhilfe für die von Corona besonders betroffenen Staaten Italien und Spanien. Während die EZB erst unlängst Ramschanleihen der Nationalstaaten im Wert von 750 Mrd. Euro ankaufte, schnürte man in Brüssel erst vor einigen Tagen ein mit Euro 37 Mrd. Euro nachgerade bonsaiartiges Rettungsprogramm für die schlingernde Wirtschaft in den EU 27. Zum Vergleich dazu betragen die ersten Rettungsprogramme der österreichischen Bundesregierung 42 Mrd. Euro, verfügt also über ein im Vergleich zur Einwohnerzahl der EU über ein rund 50-fach höheres Geldvolumen!

[9] Meine Freund und ich sind uns freilich einig, dass es einen von mündigen BürgerInnen gestalteten, leistungsfähigen und vom Wählerwilen legitimierten Staat mit funktionierenden Institutionen ebenso braucht wie eine öko-soziale Marktwirtschaft, die viel stärker auf realwirtschaftlicher Basis und nachhaltiger Ressourcennutzung gründen muss.