In unserer Arbeit mit Jugendlichen treffen wir konstant auf junge Menschen in dem Alter, vor dem sich Erziehende am meisten fürchten: Die Pubertät. LehrerInnen verzweifeln über den fehlenden Respekt und Eltern finden keinen Zugang mehr zu ihren Kindern – eine Herausforderung, von der man oft hört, dass man sie am besten aussitzt und hofft, dass es möglichst schnell vorüberzieht.
In manchen Ratgebern finden sich sogar Schlagwörter wie „Survival“- oder „S.O.S.“-Tipps für Eltern, als ob es nur mehr ums nackte Überleben ginge. Doch verbergen sich hinter dem oft anstrengenden Verhalten wichtige Entwicklungsaufgaben, von denen einige (teils zum Leidwesen der Umwelt) auch eben mit Grenzen und Grenzerfahrungen zu tun haben. Denn wie soll ein junger Mensch sich selbst und die Umwelt entdecken, wie den sozialen Umgang erkunden, das angehende Erwachsensein austesten, ohne jemals eine Grenze zu überschreiten?
Ein kleines Kind ist – seien wir uns ehrlich – zu einem gewissen Grad oft ein Befehlsempfänger. „Verabschiede dich von deiner Freundin. Zieh deine Jacke an. Iss auch die Kohlsprossen. Du musst jetzt schlafen gehen.“ Dies ist keine Kritik, denn dies ist ganz normal und natürlich, weil Kinder ihr Leben noch nicht selbst gestalten können. (Video-Tipp: „Boys Alone“ https://www.youtube.com/watch?v=bCePbRdQmbE bzw. „Girls Alone“ https://www.youtube.com/watch?v=0iZtdKaVsD8, ein Sozialexperiment in dem Burschen bzw. Mädchen eine Woche in einem Haus alles tun dürfen, was sie wollen).
Doch ab einem gewissen Alter ist es unabdingbar, zumindest versuchsweise selbst Kontrolle über sein Leben zu gewinnen und nach der biologischen langsam auch eine weitere Nabelschnur zu durchtrennen. Und dann wird getestet, ausgereizt, provoziert und auf Reaktionen der Erwachsenenwelt hin geprüft.
Hier sind wir vor allem dann gefordert, unsere Werte und Prioritäten klar kommunizieren zu können. Denn jetzt reicht ein einfaches „du darfst nicht, weil ich es sage“ nicht mehr aus, wenn man Halb-Erwachsenen mit Respekt begegnen will. Wer anderen eine Grenze setzt, muss dies auch erklären können, warum es diese braucht. Und man muss vielleicht auch mal eingestehen, wenn hinter einer Regel kein Wert steckt, sondern vielleicht nur eine Gewohnheit.
Was alles eben nicht bedeutet, dass man keine Grenzen mehr setzen soll. Gerade diese werden ja dringend gesucht und wollen verstanden werden. Und zudem lauert eine zusätzliche Gefahr: In der Pubertät ist das Gehirn im Umbau – wie eine Baustelle – und da fällt es vielen Jugendlichen schwer, Gefahren und langfristige Folgen mancher Handlungen richtig einzuschätzen. Hier sind wir als Erwachsene verpflichtet, nicht nur auf Gefahren hinzuweisen, sondern auch klare Grenzen zu setzen. Dies ist dann keine autoritäre Machtdemonstration, sondern dient dem Schutz der Jugendlichen. Denn diese sollen sehr wohl erkunden, aber ohne dabei am Weg Schaden zu nehmen.
Viel zu viele sagen, Pubertierende interessieren sich nicht für Grenzen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Sie wollen herausfinden, wo sich die Grenzen befinden und was bei deren Überschreitung passiert.
https://kurier.at/leben/jesper-juul-tipps-fuer-verzweifelte-teenager-eltern/110.885.138
https://familylab.de/files/Artikel_PDFs/Presse_2010_2011/AZ_AN_Magazin_Pubertaet_JJ.pdf
Autor: Jörg Kapeller, Eingetragener Mediator gem. ZivMediatG §4, Vortragender für Gewaltprävention, Mobbing und Konfliktmanagement, Sexualpädagoge