Kein Feiertag aber ein Tag zum Feiern – Der 12. November und seine Geschichte

Vor 100 Jahren schlug die Geburtsstunde der österreichischen Republik. Während der Tag der der Republik in vielen Ländern als Nationalfeiertag begangen wird, ist das hier zu Lande nicht der Fall. Dies hat unmittelbar mit der tragischen Geschichte der Ersten Republik zu tun. Die erste österreichische Demokratie hatte von Anfang an mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen und zerbrach letztendlich. An ihre Stelle trat zunächst der Austrofaschismus und später der noch viel brutalere Nationalsozialismus. Aufgrund dieses Endes wird die Erste Republik von der Geschichtsschreibung oftmals pauschal als totaler Fehlschlag klassifiziert. Letztlich führte das Scheitern der Republik wohl auch dazu, dass nun der 26. Oktober und nicht der 12. November als Nationalfeiertag begangen wird. Es wäre aber ein Fehler die Erfolge der ersten österreichischen Demokratie gering zu schätzen. Dasselbe gilt für den 12. November. Er markierte den Startpunkt einer umfassenden Demokratisierung Österreichs und des österreichischen Sozialstaates. An dieser Stelle sollen daher bei Beachtung aller Gründe für ihr Scheitern auch die Erfolge der Ersten Republik gewürdigt werden.

Als am 12. November 1918 die Republik Deutsch-Österreich ausgerufen wurde, war diese zunächst als Übergangslösung geplant. Aufseiten aller politischen Parteien war man sich einig, dass eine Vereinigung mit dem Deutschen Reich die einzige Chance sei, ein nachhaltiges Überleben zu sichern. Nachdem sich dieser Wunsch als Illusion herausstellte, die Siegermächte des Ersten Weltkrieges waren nicht bereit einen gesamtdeutschen Staat zuzulassen, machte schnell der Spruch vom „Staat den keiner wollte“ die Runde. Als Nationalfeiertag erkor man den 12. November aus. Dieser wurde in der Folge als „Tag der Republik“ alljährlich begangen. Wobei ihn in den letzten Jahren der Republik fast ausschließlich die Sozialdemokraten in Ehren hielten.

Soziale Errungenschaften

Tatsächlich schaffte es die 1919 gewählte Regierung, eine Große Koalition aus Sozialdemokraten und Christlich-Sozialen, unter Führung von Karl Renner, das Land trotz aller Probleme, durch die schwierige Nachkriegszeit zu bringen. Vor allem auf sozialdemokratischer Seite entwickelte sich ein positives Bekenntnis zur Republik und ihren sozialen Errungenschaften. Diese wirken in Teilen bis heute nach. Die Einführung des 8-Stunden-Tages, die Schaffung einer allgemeinen Pensions- und Krankenversicherung sowie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall waren sozialpolitische Meilensteine. Wurden diese anfangs noch von den Christlich-Sozialen mitbeschlossen, änderte sich deren Einstellung mit der Zeit entscheidend. Bald nach ihrer Machtübernahme im Jahr 1920 bezeichneten sie im Verbund mit den Deutschnationalen die besagten Gesetze als revolutionären Schutt, der beseitigt werden müsse.

Verfassung

Noch vor dem Zerbrechen der Großen Koalition im Jahr 1920 einigten sich die beiden großen politischen Lager auf eine Verfassung. Diese wurde von Hans Kelsen ausgearbeitet und galt als demokratiepolitische Meisterleistung. Tatsächlich ist sie in ihren Grundzügen noch heute in Kraft. Die letzte große Ergänzung in der Ersten Republik wurde 1929 vorgenommen und war gleichzeitig der letzte Kompromiss zwischen Sozialdemokraten und Christlich-Sozialen. Das juristische Fundament der Republik war also durchaus stabil. Man kann es als vitales Grundgerüst bezeichnen. Letztlich hinderte es Bundeskanzler Dollfuß jedoch nicht daran die Verfassung zu brechen und das Parlament auszuschalten. Es zeigte sich, dass eine Verfassung alleine nicht genug war um die Demokratie zu schützen. Letztlich, und das ist eine Lehre für die Gegenwart, bedarf es eines demokratischen Geistes der die Verfassung mit Leben erfüllt.

Wirtschaft und Wissenschaft

Eingebettet in ein sozialpolitisches Grundgerüst gelang es der Republik in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre einen bescheidenen aber spürbaren wirtschaftlichen Aufschwung hinzulegen. Gleichzeitig entwickelten sich die österreichischen Universitäten zu Institutionen, die international hoch angesehene Forscher hervorbrachten. In den kurzen Jahren der Ersten Republik gewannen Österreicher öfter den Nobelpreis als in der gesamten Periode der Zweiten Republik. Die Phase des Aufschwunges änderte jedoch mit der Wirtschaftskrise des Jahres 1929. In Österreich führte vor allem der Zusammenbruch der Creditanstalt zu einem Einbruch der Wirtschaftsleistung, welcher mit einem gewaltigen Anstieg der Arbeitslosigkeit verbunden war. Die darauf folgende Massenverelendung erschütterte das Vertrauen der Bevölkerung in die demokratische Staatsform nachhaltig.

Das Vermächtnis der Ersten Republik

Als die erste Republik im Zuge der Ausschaltung des Parlaments und des gescheiterten Februaraufstandes zerbrach, endete auch der erste Sonnenaufgang der Demokratie in Österreich. Es folgte die Polarnacht der Demokratie mit ihren furchtbaren Auswirkungen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges gingen die Gründerväter der Zweiten Republik daran einen neuen Staat zu schaffen. Schnell zeigte sich, dass man aus den Fehlern der Ersten Republik gelernt hatte. Wirtschaftlicher Aufschwung, soziale Sicherheit und der Geist der Zusammenarbeit zwischen den politischen Lagern führten zu einer bis heute anhaltenden Periode der Demokratie und der Menschenrechte. Obwohl die Verantwortlichen in der Zweiten Republik mehr oder weniger alles besser machten als jene der Ersten Republik lebt der demokratische Geist der Ersten Republik vor allem in Form der Verfassung und der Sozialgesetzgebung noch bis heute weiter. Trotz ihres Scheiterns schaffte sie es erstmals in der langen Geschichte Österreichs einen modernen Rechtsstaat im liberalen demokratischen Rahmen zu etablieren. Daher ist es absolut angebracht auch die Gründung der Ersten Republik zu feiern. In diesem Sinne sollten anlässlich des 100-jährigen Jubiläums auch die positiven Seiten der ersten österreichischen Demokratie stärker als es bisher üblich war hervorgehoben werden.