Ein Kaffee mit der Freundin ist nicht leistbar – Armut als Isolationsfaktor

Armutsbekämpfung als Auftrag an Politik und Gesellschaft

Ja, es gibt Armut. Und es ist eine politische Aufgabe, weiter dagegen anzukämpfen”, so die steirische Soziallandesrätin Doris Kampus in ihrer Vorstellung des Sozial- und Armutsberichtes am 22.Oktober 2018 im steirischen Landtag. Dem Sozial- und Armutsbericht des Landes Steiermark zufolge sind 190.000 Steirerinnen und Steirer armutsgefährdet, davon 50.000 Kinder. Dabei haben Armut und Armutsgefährdung viele Ursachen und Gesichter: von Arbeitslosigkeit über Alleinerzieherdasein mit Teilzeitjobs bis hin zur sogenannten „working poor“-Erwerbsarmut mit sehr geringem Verdienst spannt sich der drückende Bogen, der Menschen in ihrer wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Existenz an den Rand der Gesellschaft drängt. Dabei sind das Recht auf Arbeit sowie grundlegende Rechte in der Arbeitswelt in Artikel 23 und 24 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMRK) verankert. Hier finden etwa der Schutz vor Arbeitslosigkeit, eine angemessene, existenzsichernde Entlohnung sowie ergänzende soziale Schutzmaßnahmen für den Fall, dass der Arbeitslohn keine angemessene Existenzsicherung bieten sollte ihren gesetzlichen Niederschlag – und die Armutsbekämpfung einen Auftrag an Politik und Gesellschaft!

Armutsgefährdung, Armut und erhebliche materielle Deprivation

In Österreich sind im Jahr 2018 rund 1,5 Millionen Menschen von Armut, Armutsgefährdung und sozialer Ausgrenzung betroffen – so die Auswertung der von Statistik Austria veröffentlichten SILC-Erhebung (Community Statistics on Income and Living Conditions) zu Einkommen und Lebensbedingungen in der Europäischen Union. Sprich: 15 Prozent der Bevölkerung unseres Landes verfügen im Sinne der „Armutsgefährdung“ über weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens der Nation. Diese EU-definierte Grenze unterschreitet in Österreich, wer in einem Einzelhaushalt sein monatliches Auskommen mit weniger als 1.185 Euro netto bestreiten muss. 592 Euro werden für jede/n weitere/n Erwachsene/n im Haushalt addiert, 355 Euro für jedes Kind unter 14 Jahren. Schwerer noch: in manifester „Armut“ leben Menschen, für die neben einem Verdienst von (weit) weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens weitere Belastungsfaktoren wie Krankheit, schlechte Wohnsituation oder Verschuldung hinzukommen. Sie repräsentieren 3% der Bevölkerung. Ihre zusätzlichen Belastungsfaktoren verursachen entweder erhebliche Kosten oder schaffen Lebensbedingungen, die ohne angemessenen Verdienst ein unwürdiges und ungesundes Dasein induzieren – etwa die Unmöglichkeit, Freizeit im Freien zu gestalten oder eine gesunde Ernährung zu finanzieren. Eine weitere mit Armutsgefährdung und Armut eng verwandte Kategorie ist die “erhebliche materielle Deprivation”. Hier gibt es keine Zahlengrenze, betroffen sind Menschen, die finanziell nicht in der Lage sind, ihre Wohnung angemessen zu heizen, einmal im Jahr eine Woche zu reisen oder eine Waschmaschine zu besitzen. Diese Personen gelten zwar nicht als in ihrer Existenz gefährdet, jedoch als gesellschaftlich stark benachteiligt. So sind Menschen dieser Kategorie – ebenso 3% der Bevölkerung – genauso wie Arme und Armutsgefährdete vielfach von sozialer Isolation und mangelnder Teilhabe am Gemeinschaftsleben betroffen.

Armut als Quelle von Krankheit, Stress und Einsamkeit

„Armut macht krank!“ – so ein geflügelter Terminus, der immer wieder durch die Medien geistert. Doch welcher Zusammenhang besteht wirklich zwischen Armut und Krankheit? Laut Wiener Ärztekammer sind Arme „doppelt so oft krank wie Nicht-Arme“. Die Gründe sind plausibel: arme Menschen kaufen aus Preisgründen eher qualitativ geringwertige Diskontlebensmittel, können sich keine optimale medizinische Versorgung leisten sowie krankheitsbedingte Arbeitsausfälle schwer bis kaum riskieren. Kurzum: Billigwurst, Arbeiten trotz Grippe und seltene Arztbesuche haben gerade für den Armen einen hohen Preis!

„Zahlungsunfähigkeit stresst!“ – wer einmal erlebt hat, die Miete nicht pünktlich zahlen zu können, mag ein Lied davon singen. Hinzu kommt der Kopfschmerz bei dem Gedanken, Geld für den Schulausflug der vorfreudigen Kinder auftreiben zu müssen. Hinzu kommt die innere Unruhe beim dritten Mahnbrief des Handyanbieters, für dessen Bezahlung noch immer kein Geld zur Verfügung steht. Hinzu kommt der nervöse Magen beim täglichen Email-Check in der Arbeitslosigkeit – täglich auf´s Neue in der Hoffnung, unter den vielen Absagen endlich eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch vorzufinden. All diese Szenarien gehören im Leben armer Menschen zur traurigen Tagesordnung. All diese Szenarien führen auf Dauer zu Stress sowie zu Magenbeschwerden, Herzproblemen, Bluthochdruck, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und weiteren gesundheitlichen Problemen.

„Armut macht einsam!“ – sie isoliert die Betroffenen von der Gemeinschaft. So nimmt Armut den Menschen die Möglichkeit, an zentralen gesellschaftlichen Bereichen – wie Sozialkontakte, kulturelles Leben, sportliche Aktivitäten und Bildung – in einem Mindestmaß teilhaben zu können. Was bedeutet es, wenn ein Kaffee mit der Freundin ist nicht leistbar ist? Es bedeutet weit mehr als den Genuss eines Heißgetränkes zum Zeitvertreib. Es bedeutet, dass ein Mann oder eine Frau weniger freundschaftliche und nachbarschaftliche Kontakte unterhalten kann, sich seltener an gesellschaftlichen Treffpunkten aufhalten kann. Es bedeutet, dass er oder sie zentrale Alltagsmomente der zwischenmenschlichen Begegnung und des kommunikativen Austausches versäumt. Und es bedeutet, dass ein Mensch weniger Zeit zum Auspannen und Abschalten – ja weniger Freude – erleben darf.

„Armut wird vererbt und raubt die Zukunft!“ Laut einer OECD-Studie vom Juni 2018 dauert sozialer Aufstieg in Österreich bis zu fünf Generationen. Sprich: jedes dritte Kind, dessen Vater oder Mutter Geringverdiener/in ist, wird ebenfalls unterdurchschnittlich verdienen. Bei den übrigen zwei Dritteln beschränken sich die Aufstiegsmöglichkeiten lediglich auf die nächsthöhere Einkommensgruppe. Der Aufstieg vom geförderten Wohnen im Gemeindebau mit stets angespanntem Finanzhaushalt in´s ausbezahlte Eigenheim mit Karrierejob, Reisen und vielfältigen Lebensperspektiven stellt somit die Ausnahme dar, Kinder mit derartiger Laufbahn sind beachtliche Einzelfälle. Die Gründe für die soziale Vererbung von Armut liegen auf der Hand: Kinder armer Eltern haben es schwerer, am kulturellen Leben zu partizipieren, zu reisen und die Welt zu entdecken. Sie müssen eher neben ihrer Ausbildung arbeiten und können sich somit weniger auf´s Lernen sowie auf Zusatzqualifikationen konzentrieren als junge Schüler/innen und Studierende, die von ihren Eltern finanziert werden. Nicht zuletzt erleben Kinder armer Eltern die Bildungs- und Arbeitswelt aus einer anderen, eingeschränkteren Perspektive. So bedeutet das Einschlagen einer akademischen Laufbahn für die Söhne und Töchter von Arbeiter/innen oftmals eine große Hürde – und geschieht möglicherweise entgegen elterlichen Widerständen, familiärer Geringschätzung und demotivierender Umfeldfaktoren.

Was tun gegen Armut als Politik und Gesellschaft?

Die wichtigsten Ansatzpunkte in der Bekämpfung von Armut, Existenzsorgen und Perspektivenlosigkeit liegen in folgenden wünschenswerten und verbesserungswürdigen Gegebenheiten: Chancengleichheit, Verteilungsgerechtigkeit und zielgerichtete Förderung. Chancengleichheit dafür, dass Kinder und Jugendliche unabhängig ihrer sozialen Herkunft bestmögliche Ausbildungs- und Berufschancen wahrnehmen können. Verteilungsgerechtigkeit, damit arbeitende und pensionierte Menschen genug Einkommen zum Auskommen haben und sie selbst sowie ihre Familien am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Und zielgerichtete Förderung, sodass Personen in schweren und herausfordernden Lebenssituation – von der Alleinerzieherin in Teilzeit über den Langzeitarbeitslosen bis hin zur Mindestrentnerin – jene Unterstützung erhalten, die sie brauchen, um ein würdevolles und sinnstiftendes Leben inmitten unserer Gemeinschaft führen zu können.

Text: Martina Weixler