Die Demokratie befindet sich auf dem Vormarsch – möchte man meinen. Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung besagt jedoch das Gegenteil. Laut dem „Transformationsindex“ der Bertelsmann Stiftung ist die Qualität von Demokratie, Marktwirtschaft und Regierungsführung so niedrig wie seit 15 Jahren nicht mehr. [1]
Diese Entwicklung betrifft auch uns
Der Transformationsindex untersucht seit 2006 die soziale, politische und wirtschaftliche Lage in 129 Entwicklungs- und Schwellenländern. Das sind in der allgemeinen Wahrnehmung ohnehin Länder, die wirtschaftliche Probleme haben und auch politisch unsichere Zeiten erleben. Man ist daher versucht zu denken, dass diese Entwicklungen nur in weit entfernten Teilen der Welt vorkommen. Und daher haben uns diese Entwicklungen auch nicht zu interessieren. Aber ist das wirklich so? Nicht wirklich. Ein Großteil der Länder, in denen die Demokratie sich auf dem Rückzug befindet, sind tatsächlich so genannte 3. Welt-Länder wie Burundi, Tadschikistan oder Sierra Leone. Am Podium dieser Wertung liegen aber 2 europäische Länder. An erster Stelle die Türkei und an dritter Stelle Polen. Diese Länder starten zwar von einer höheren Ausgangslage, dennoch ist der Rückgang, der festgestellt wurde, besorgniserregend. Beide Länder machen in den letzten beiden Jahren schon häufig Schlagzeilen was die Aushöhlung des Rechtsstaates betrifft. Der türkische Präsident Erdogan will eine Präsidialdiktatur schaffen, doch auch Polen und Ungarn sind auf dem Weg in Richtung Autokratie.
Erdogan geht hier besonders dreist vor. Oppositionelle, Vereine, Parteien werden verboten, wenn er das Gefühl hat, dass sie nicht seiner Meinung entsprechen. Lehrer, die verdächtigt werden andere Meinungen als Erdogan zu haben werden entlassen. Und die Medien kommen immer mehr in die Obhut des Staates. Die Medienfreiheit wird auch in Ungarn beschnitten, in Polen wiederum wird das Justizsystem „regierungskonform“ umgestellt.
Der Ruf nach dem „starken Führer“.
Solche Meldungen gehen einher mit Nachrichten darüber, dass sich immer mehr Menschen einen „starken Führer“ im Staat wünschen. Das hat damit zu tun, dass für die Bürgerinnen und Bürgern in einer Demokratie die Entscheidungen zu langsam getroffen werden. Auch erhoffen sie sich von einer starken Führung schnelle, einfache Antworten auf Fragen der Globalisierung.
Zwar sind solche Umfragen mit Vorsicht zu genießen. Denn nach der Frage, ob jemand eine „starke Führung“ für sein Land wünscht, wird wohl jeder mit „Ja“ antworten. Der Frage ob man sich einen mit aller Macht ausgestatteten Diktator wünscht, werden die meisten wohl nicht zustimmen. Dennoch kann diese Forderung falsch verstanden werden und „starke Führer“ wie Putin, Erdogan und Orban berufen sich ja auch immer auf ihr „Macherimage“.
Die Abkehr von der Demokratie ist kein unumkehrbarer Weg
Diese Entwicklung ist zwar bedenklich, sie ist aber aufzuhalten. Der erste Schritt ist, dass man darüber Bescheid weiß, denn dann hält man die Augen offener. In der heutigen Zeit ist die Wirtschaft und vor allem das Wirtschaftswachstum ein treibender Motor hinter politischen Entscheidungen. Ausgerechnet dieses angestrebte Wirtschaftswachstum ist ein guter Anwalt der Demokratie. Denn Autokratien bringen Korruption und wirtschaftliche Unsicherheiten (siehe Wirtschaftssanktionen gegen Russland und die Türkei). Diese Unsicherheiten tragen dazu bei, dass die Wirtschaftsleistung von Autokratien im Normalfall sinkt.
Die Politik kann und muss auch ihren Teil zur Erhaltung der Demokratie beitragen. Mehr politische Bildung in Schulen, mehr politische Bildungseinrichtungen und Institutionen, die sich mit ihren Angeboten an der Demokratiebildung beteiligen. Das ist auch ein wesentlicher Punkt unserer Arbeit bei der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus.
Wir alle müssen unabhängige Medien fördern und konsumieren. Doch auch die Medien haben hier eine große Verantwortung. Wenn sie ernst genommen werden wollen, dürfen sie keine „fake news“ verbreiten. Auch dürfen unsauber recherchierte und einseitige Berichte nicht vorkommen.
Wir müssen auch einsehen, dass früher nicht alles besser war. Man darf heute alles sagen, was durch das Gesetz gedeckt ist. Das war über weite Teile der Geschichte nicht möglich. Wir haben Mitbestimmung, können unsere Ideen einbringen und unsere Unzufriedenheit ausdrücken. Wir können uns versammeln, Vereine gründen und vor allem seit über 70 Jahren in Frieden leben. Diese Errungenschaften sind vor allem der Demokratie geschuldet.
Die Demokratie ist nicht das Allheilmittel, und sie hat auch ihre Schwächen. Doch um es in den Worten von Sir Winston Churchill zu sagen: „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.”[2] Also bleiben wir wachsam und engagiert für die Demokratie und kämpfen wir für die Regierungsform, die uns Wohlstand und Frieden gebracht hat.
Christoph Hochmüller
[1] Bericht dazu siehe: online Bericht der “Presse”
[2] Zitiert nach: https://de.wikiquote.org/wiki/Winston_Churchill