Darf´s a bisserl mehr sein? Über Fremdenrechtsverschärfung und Korruption im Hause Österreich

Darf´s a bisserl mehr sein? So fragte einst die Wurstverkäuferin an der Verkaufstheke, wenn sie statt 20 dag Schinken 21 dag aufgeschnitten hatte. Die mit charmantem Augenaufschlag gestellte Frage firmiert mittlerweile als kategorischer Imperativ über den Megaskandalen der Republik Österreich. Nur geht es dabei nicht um ein paar Dekagramm Schinken, sondern um Millionen- und Milliardenbeträge, welche die politisch Verantwortlichen in Korruptionssümpfen versenken ohne mit der Wimper zu zucken: Rund 1,1 Milliarden Euro beträgt die geschätzte Schadenssumme beim Eurofighter-Skandal.

Der Standard über den Eurofighter Skandal

Die Gesamtsumme an Eurofighter-Gaunereien entspricht ungefähr einem Jahresbudget der Stadt Graz! Peter Pilz ist es zu danken, dass dieser Skandal von den politisch Verantwortlichen nicht mehr unter den Mauschelteppich gekehrt werden kann. Wir hoffen, dass Verteidigungsminister Doskozil, das Parlament und die Medien diese betrügerischen Machenschaften in allen Details an das Licht der Öffentlichkeit bringen. Ob Milliardengrab Hypo-Alpe Adria, das millionenschwere potemkinsche Schubhaftzentrum Vordernberg, der BUWOG-Skandal oder das Skylink-Desaster: Die Spur von millionen- und milliardenschweren Mahnmälern für Korruption zieht sich durch unsere Republik und trägt zur zunehmenden Politik(er)verdrossenheit ebenso bei wie zum Vertrauensverlust in die Demokratie. Gehören Skandale und Korruption – wie schon in den 1980er Jahren – mittlerweile ebenso zur Österreich-Identität wie der Stefansdom, der Opernball, die immerwährende Neutralität oder die Sachertorte?

ORF Bericht zum neuen Fremdenrechtspaket der Bundesregierung

Darf´s a bisserl weniger sein?

Diese Frage steht hingegen als Motto über dem aktuellen Fremdenrechtspaket. Euro 1,61 will Innenminister Sobotka AsylwerberInnen für gemeinnützige Tätigkeiten bezahlen. „Die SPÖ zieht ihren Vorbehalt [gegen diesen Schandlohn] zurück“, resümiert die Kleine Zeitung vom 28.2.2017 den großkoalitionären Konsens, wenn es um das Höherhängen von Brotkörben für Flüchtlinge geht. Rechtspopulismus als Triebfeder für Hardlinertum gegen die Ärmsten unserer Gesellschaft. Das Fremdenrechtspaket verströmt den Pestilenzgeruch der seit den 1990er Jahren bekannten Strategie von Zwang, Strafen und Verschärfungen, denen MigrantInnen und Flüchtlinge durchgehend ausgesetzt sind. Außenminister Kurz will die Familienbeihilfe für MigrantInnen, deren Kinder im Heimatland leben, auf das dortige Niveau absenken, wofür die FPÖ wie auch die Boulevardmedien ihn mit standing ovations überschütten. Dass ArbeitsmigrantInnen dieselben Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen wie österreichische ArbeitnehmerInnen, dann jedoch weniger an Sozialleistungen bekommen, stört Außenminister Kurz offenkundig ebensowenig wie die neidgeprägten Bewohner der Stammtische. Ungleichbehandlung als neues Rechtsprinzip? Das Motto Darf´s a bisserl weniger sein spannt sich als roter Faden durch die seit Jahrzehnten von Restriktion geprägten Sozial-, Flüchtlings- und Integrationspolitik. Die Herrschenden gerieren sich am untersten Ende der Einkommensskala wie verkehrte Robin Hoods: „Take from the poor, give to the rich!“ Am oberen Ende der Einkommensskala herrschen indes Überfluss, Schlaraffenland und Abzocke. Heimische Regierungspolitik agiert ungeschminkt als Lobbyist und Verteidiger von Unrechtsverhältnissen. Was am österreichischen Fremdenrechtspaket sozialdemokratisch oder christlich-sozial sein soll, das könnten weder Bundeskanzler Kern noch Vizekanzler Mitterlehner erklären.

Sebastian Kurz Vorschlag zur Kürzung der Familienbeihilfe für Migranten

Sebastian Kurz fordert 1-Euro-Jobs für Flüchtlinge

Kritik der Caritas an der Kürzung der Mindestsicherung

Die NZZ berichtet über die österreichische Ein Euro Job Debatte

Darf´s a bisserl vernunftbegabter sein?

Vernunftgeleitete Politik sollte darauf abzielen, zuallererst nachhaltige Strukturen in der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu schaffen, damit die vitalen Grundbedürfnisse der unteren EinkommensbezieherInnen ausreichend abgesichert sind, das heißt: dass für alle BürgerInnen ausreichend viele qualitätsvolle Arbeitsplätze mit guter Entlohnung zur Verfügung stehen. Dieses Ziel hieß einst „Vollbeschäftigung“ und ist aus dem Denkuniversum einer vom Neoliberalismus narkotisierten „Denkwelt“ aktueller europäischer Politik völlig verschwunden. „Ausreichend abgesichert“ heißt aber auch, dass im Falle des Verlustes des Arbeitsplatzes ein reißfestes soziales Sicherungsnetz ein menschenwürdiges Leben ohne Bittstellertum ermöglicht. Die von Rechtspopulismus und Sozialneid angetriebene „Geiz-ist-geil-Debatte“ zur Kürzung der Mindestsicherung und zur Dumping-Entlohnung von gemeinnütziger Beschäftigung für AsylwerberInnen ist exakt das Gegenteil einer vernunftbegabten Politik, die auf die Verbreiterung der gesellschaftlichen Mitte abzuzielen hätte, anstatt die Einkommensschere unentwegt zugunsten des Millionärsklubs zu öffnen. Wir sind froh, dass das Fremdenrechtspaket einen breiten öffentlichen Aufschrei erzeugt hat, dem wir uns solidarisch anschließen.

Darf´s ein Alzerl empathischer sein?

Zum Vernunftverlust gesellt sich überdies der Empathieverlust der erkalteten Herzen. Innenminister Sobotka repräsentiert in seinen hartherzigen Aussagen zur Rechtfertigung der Streichung der Grundversorgung für negativ beschiedene AsylwerberInnen den vermeintlich coolen Typus angewandter Menschenfeindlichkeit. Die Mixtur aus Charakterlosigkeit, Bauernschläue, kultureller und ideologischer Entwurzelung, Zynismus und Bierzeltpopulismus repräsentiert seit Jahrzehnten das Repertoire jenes Menschenschlages, der heute die Führungsebenen in Politik, Wirtschaft und Medien erobert hat. Doch die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung sollten freilich nicht mit dem erhobenen Zeigefinger auf die Minister Sobotka und Kurz zeigen. Sie sind nämlich zu oft selbst „part of the game“ einer ebenso herz- und hirnlosen Flüchtlings- und Integrationspolitik, indem sie seit Jörg Haider den willfährigen Steigbügelhalter für jede Verschärfung des Fremdenrechts abgeben. Frei nach Thomas Bernhard ist die österreichische Flüchtlings- und Integrationspolitik eine naturgemäß fortwährende Fataltragödie von und mit Regierenden, die nichts dazulernen: „Erklärte sich ihnen alles, verstanden sie dennoch nichts!“ Christian Ehetreiber