Heimat ist…

„Heimat im Plural begreifen“

Mit diesem Motto brachte Integrationslandesrätin Dr.in Bettina Vollath die Diskussionsveranstaltung im Schloss Trautenfels zum Thema „Heimat ist …“ auf den Punkt. Unsere Steiermark, so Bettina Vollath, müsse „Heimat für alle hier lebenden Menschen sein“, sollte Ausdruck von gelebter Vielfalt auf Grundlage von Gleichberechtigung sein. Viel zulange habe die Politik den Heimatbegriff aufgrund der historischen Belastung durch dessen nationalsozialistische Punzierung nicht zu verwenden gewagt. Doch in der Steirischen Charta des Zusammenlebens haben sich die Landesregierung und der Landtag dazu entschlossen, den Heimatbegriff demokratisch und menschenrechtsbasiert neu anzueignen, ihn mit dem Konzept der sozio-kulturellen Vielfalt zu verknüpfen. Wir dürfen den Heimatbergiff nämlich nicht den Rechtsextremen überlassen. Daher sei Heimat, so Vollath, jedenfalls nur mehr im Plural zu begreifen, als Heimaten.

Katharina Krenn, Christian Ehetreiber, Bettina Vollath

Katharina Krenn, Christian Ehetreiber, Bettina Vollath

Sprachliche Vielfalt als Vielfalt der Lebensformen

Der oftmalige beruflich bedingte Wohnortwechsel führe dazu, dass viele Menschen von „meiner zweiten und dritten Heimat“ sprechen, ergänzte ein Teilnehmer das Argument der im Plural zu begreifenden Heimat. Hausherrin Katharina Krenn verwies auf die sprachliche Vielfalt – vom Dialekt über die Standardsprache bis zu Zweit- und Fremdsprachen -, die einem notwendig pluralistischen Heimatkonzept eingeschrieben ist. „Redet´s Deitsch (!)“ ist somit ein Imperativ, der die sprachliche Vielfalt einschränke. In der Ausstellung „Wohnzimmer Steiermark“ heißt es dazu mit Bezugnahme auf den Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein: „Sprachformen sind Lebensformen“, woraus sich durch Sprachverbote aller Art eine illegitime Reduktion der Vielfalt an Lebens- und Ausdrucksformen ergebe. Man denke etwa an explizite Verbote, die Muttersprache im Alltag zu verwenden, oder an den jahrzehntelangen Streit um zweisprachige Ortstafeln in Kärnten, der zum Glück im breiten Konsens beigelegt werden konnte. Zur Vielfalt an Sprach- und Lebensformen gehört selbstverständlich auch die Einbeziehung von Menschen mit Beeinträchtigungen auf Augenhöhe. Die Lebenshilfe Stainach führte zu Beginn der Veranstaltung ein sehenswertes Theaterstück auf, in dem die Ausgrenzung eines „Anderen“ und die damit verbundenen Mechanismen erlebbar gemacht wurden. Die Liezener Plattform „Gastrecht“ forderte einen inklusiveren Umgang mit Asylwerbern und Flüchtlingen ein.

Der Lichthof in Trautenfels: ein idealer Ort, um über Heimat zu diskutieren

Der Lichthof in Trautenfels: ein idealer Ort, um über Heimat zu diskutieren

Von „Heim ins Reich“ über Heimattümelei zum neuen Heimatroman

Moderator Christian Ehetreiber verwies auf zumindest vier Aspekte des Heimatbegriffes, die beim Nachdenken darüber ins Blickfeld geraten: Heimat verfüge stets über eine emotionale Ebene, eine „Herzensebene“, wo es um Gefühle des tatsächlichen oder vermeintlichen Verstehens und Verstandenwerdens „wie ich bin“ geht. Franz Kremser brachte das in der Ausstellung auf den Punkt: „Heimat ist dort, wo ich es fühle.“ Dieser Konzeption zufolge hat Heimat zunächst nichts mit „Boden- oder Schollenverbundenheit“ zu tun, sondern ist gerichtet auf die „innere Geografie unseres Wahrnehmens, Erlebens und Empfindens“.

Der zweite Aspekt betrifft die historische Überfrachtung und Pervertierung des Heimatbegriffes durch die Einheilsvisionen von Faschismus und Nationalsozialismus, die über „Ein Volk, Ein Reich, Ein Führer“ Österreich zunächst „heim ins Reich“ und kurz darauf in den Abgrund von Zweitem Weltkrieg und Holocaust stürzten. Die rassistisch und nationalistisch entworfenen Einheilskonzepte der Nazis, die fast alles irgendwie Andere als „nicht arisch, volksverhetzend, schädlich, parasitär oder artfremd“ konzipierten, erwiesen sich als größtmögliches Unheil für Millionen Opfer dieses Irrsinns. Heimat als paranoides monokulturelles und ethnozentrisches Massenwahnkonzept für die Durchsetzung von Menschenverachtung und Menschenvernichtung.

Glaskugel mit Schneefall trifft Gartenzwerg mit Schauferl

„Heimatkitsch“ repräsentiert einen dritten Aspekt, der individuelle und kollektive Identitäten auf Stereotype und Klischees zurichtet und sie der touristischen Mobilmachung zuführt: von Glaskugeln mit Wahrzeichen – mit und ohne Schneefall – über Gartenzwerge mit und ohne Schauferl plus Scheibtruhe bis zu den Wanderstöcken mit aufgenieteten Gemeindewappen. Im Souvenirladen findet sich fast alles und jedes, um Heimat in der industriellen Schmiede des Heimatkitsches schonungslos so zu ver- und entfremden, sodass nur noch Karikatur und Groteske übrig bleiben.

Der vierte Aspekt betrifft die von der jüngeren österreichischen Literatur seit den 1960er Jahren verdienstvoll betriebene Thematisierung eines neuen Heimatbegriffes, verstanden als befreiende Neuaneignung von „Heimat“, als Befreiung von NS-Konnotationen und Idyllisierungen aller Art, als ideologiekritische Zerstörung jenes Mythos eines vermeintlichen locus amoenus, der bei genauerer Betrachtung jedoch ein locus terribilis zu Lasten der Opfer ist. Peter Turrinis „Alpensaga“, Franz Innerhofers „Schöne Tage“, Rei

hard Peter Grubers „Hödlmoser“ oder Thomas Bernhards „Auslöschung“ seien dazu exemplarisch genannt, wo Heimattümelei, Heimatkitsch und Unrecht, meist verübt unter hinterhältiger Berufung auf Heimat, schonungslos entzaubert und aufgedeckt werden.

Liebe, Wienerschnitzel, Eisen und Grimming

Die Söhne und das Enkerl: Bettina Vollath zeigt, was für sie mit Heimat jedenfalls verbunden ist.

Die Söhne und das Enkerl: Bettina Vollath zeigt, was für sie mit Heimat jedenfalls verbunden ist.

Die Gäste erzählten, was für sie jedenfalls zum Heimatbegriff zähle: die eigene Familie und die Freunde, kulinarische Schmankerl wie das Wienerschnitzel, der Werkstoff Eisen und alte Handwerkstechniken, prägende Erlebnisse und Erinnerungen, die Suche nach dem eigenen Vater und nach Vorfahren, Lieben und Geliebtwerden, der monolithische Grimming als geografischer Heimatanker und vieles mehr. Die Beiträge der Gäste zeigten einen vielfältigen und vielschichtigen Heimatbegriff, den wir uns im Erzählen und Zuhören aneignen können, dabei immer auch wachsam bleiben gegenüber Ideologisierungen, Vereinnahmungen und Zurüstungen des Heimatbegriffes auf den Singular des Heimatbegriffes. Spätestens da sollten wir unseren energischen Widerspruch einlegen und vernehmbar sagen: „Heimat ist naturgemäß immer im Plural zu begreifen, auf der Basis von Respekt, Menschenrechten und Demokratie!“ Christian Ehetreiber