Stellungnahme zur aktuellen Integrationspolitik

SPÖ und ÖVP suchen Antworten in der Integrationspolitik?

Das war leider zu befürchten und hat sich Schritt für Schritt abgezeichnet! Da erzielt die FPÖ in einigen Gemeinden einen saftigen Stimmenzuwachs, schon knicken große Teile der SPÖ – wie auch der ÖVP – vor den Rechtspopulisten ein, verfallen in ihre desaströsen Stressmuster der 1990er Jahre. Damals machten die Sozialdemokraten und die ÖVP mehrheitlich einen Bauchfleck vor „den Ängsten des kleinen Mannes“, setzten auf eine völlig regressive, reaktionäre und ignorante Segregationspolitik (Franz Löschnak: „Österreich ist KEIN Einwanderungsland“) und verhalfen damit Jörg Haider von einem Wahlsieg zum nächsten. Zu Recht bezeichnete Jörg Haider die Innenminister Löschnak, Schlögl und Strasser als „meine besten Leute in der Bundesregierung“, denn sie vertraten lupenreine FPÖ-Positionen in der sogenannten Ausländerfrage, müssten von H.C. Strache die goldene Verdienstmedaille für das Erstarken des sogenannten dritten Lagers verliehen bekommen.

Menschenrechtsstadt Graz und Steirische Integrationsplattform sind neue Wege

Bürgermeister Alfred Stingl – und in Themenkontinuität auch sein Nachfolger Mag. Siegfried Nagl – starteten im breiten parteiübergreifenden Konsens bereits in den 1990er Jahren einen anderen Weg in der Integrationspolitik. Die Gründung des MigrantInnenbeirates, das Projekt „Menschenrechtsstadt Graz“, die Einrichtung eines Menschenrechtsbeirates und eines interreligiösen Beirates, die Mitgliedschaft der Stadt Graz in der Städtekoalition gegen Rassismus und die gute Zusammenarbeit der Stadt Graz mit einem leistungsstarken Netzwerk an engagierten NGOs markieren wichtige Etappen in der Abkehr von einer holzschädeligen und völlig inadäquaten Politik des „Einknicken vor den Ängsten des kleinen Mannes“. Auf Initiative des damaligen LH-Stv. Dr. Kurt Flecker und Landesrätin Dr.in Bettina Vollath vollzog das Land Steiermark ab 2011 mit der Gründung der Steirischen Integrationsplattform ebenfalls einen Paradigmenwechsel in der Integrationspolitik. Die Gründung des Integrationsressorts, die von Politik, Verwaltung und NGOs im breiten Konsens erarbeitete „Charta des Zusammenlebens“, die gemeinsam mit der Stadt Graz initiierte Antidiskriminierungsstelle, einige innovative Diversity-Projekte – darunter unsere Wanderausstellung „Wohnzimmer Steiermark“ – und die zuletzt von der Reformpartnerschaft klare öffentliche Positionierung für eine menschenrechtsbasierte und gerechte Aufteilung von AsylwerberInnen – hier sei dem ressortverantwortlichen LH-Stv. Siegfried Schrittwieser und einigen klugen und mutigen Bürgermeistern der SPÖ und ÖVP Respekt und Anerkennng gezollt – zählen zu den Verdiensten um eine neue Diversity- und Integrationspolitik auf Landesebene.

http://www.zusammenhalten.steiermark.at/cms/dokumente/11562700_103650128/6aa9c633/Charta_Unterlagen_22062011_Web_.pdf

Terroranschläge in Paris und Kopenhagen plus zwei Wahlgänge erzeugen neuerliches Einknicken vor der FPÖ

Doch die islamistischen Terroranschläge von Paris und Kopenhagen entfalteten eine unheilvolle Strahlkraft in ganz Europa bis ins Grazer Landhaus. Der Terror ließ in Verbindung mit dem doppelten Wahlkampf in der Steiermark bei der Reformpartnerschaft zuerst die Alarmglocken schrillen und sie dann schrittweise in das uralte, inadäquate Stressmuster der 1990er Jahre zurückfallen. Zuerst beschlossen die SPÖ, ÖVP, FPÖ und KPÖ im Landtag gemeinsam die Einrichtung einer Kommission zur Ahndung von Tatbeständen der Integrationsunwilligkeit, ohne in diesem Antrag auch nur mit einem Wort das von der steirischen Landesregierung und dem Landtag im breiten Konsens beschlossene Integrationsleitbild – die Charta des Zusammenlebens – zu erwähnen. NGOs wurden nicht zu Rate gezogen. Die FPÖ schlug zu Recht Purzelbäume der Freude über diesen aberwitzigen Schwenk der Reformpartnerschaft und der KPÖ. Die Grünen stimmten bei diesem verheerenden Landtagsantrag nicht mit, wofür ihnen Dank gebührt! Peter Filzmaier richtete der Reformpartnerschaft via Zib2 aus, dass das sogenannte „Ausländerthema“ nur bei der FPÖ- Wählerschaft Thema Nr. 1 sei. Bei den SPÖ- und ÖVP-Wählern rangiere die sogenannte „Ausländerfrage“ im thematischen Mittelfeld, weshalb es strategischer Unfug sei, sich dieses Thema von den blauen Recken – dargereicht im Retro-Stil des segregativen Modus des „Wir Guten versus die bösen integrationsunwilligen Fremden“ – aufzwingen zu lassen.

Steirisches Menschenrechtsnetzwerk protestierte gegen den Schwenk zu FPÖ-Positionen

Unsere ARGE Jugend, der Grazer Menschenrechtsbeirat, der Verein XENOS, die ISOP GmbH, der MigratInnenbeirat, das ETC, die Antidiskriminierungsstelle und viele andere Institutionen protestierten öffentlich und sachlich gegen diesen kontraproduktiven, dem Rechtspopulismus der FPÖ geschuldeten Schwenk in der über Jahre mühsam erarbeiteten neuen Integrationspolitik. Der Landtagsantrag zur unterstellten Integrationsunwilligkeit repräsentiert einen Rückfall in den regressiv-reaktionären Ungeist der „Ausländerpolitik“ der 1990er Jahre: Löschnak, Schlögl und Strasser samt FPÖ-Wiederaufstieg reloaded? Wann hat diese Retro-Integrationspolitik der SPÖ oder der ÖVP, den Gemeinden, Ländern und unserer Republik Österreich je genützt? Haben Siegfried Nagl und Franz Voves nicht gerade auch durch ihre andere Integrationspolitik mit menschlichem Antlitz Wahlgänge gewonnen? Glaubt die Reformpartnerschaft allen Ernstes, sie könne mit einer Neuauflage des Einknickens vor den „Ängsten des kleinen Mannes“ die FPÖ erfolgreich in Schach halten? Ist der Reformpartnerschaft klar, wieviele Stimmen sie bei werteorientierten Sozialdemokraten wie auch Christlichsozialen einbüßen wird, wenn sie diesen integrationspolitischen Retro-Kurs  beibehält bis zur Landtagswahl? Wer sind denn die vermeintlichen beraterischen Masterminds der Reformpartnerschaft, die wir gerne als Desaster-Minds und Wahlhelfer der FPÖ bezeichnen? Bitte vor den Vorhang mit ihnen mit Namensnennung!

Zurück zu EURER und UNSERER „Charta des Zusammenlebens“!

Nach der verlustreichen Gemeinderatswahl suchen SPÖ und ÖVP nach „Antworten“, vergessen dabei einmal mehr auf ihre gemeinsam beschlossene „Charta des Zusammenlebens“: „Die Frage ist, wie die Sozialdemokraten künftig mit dem heißen Eisen Integration und Migration umgehen werden. […] Der Parteivorstand am Montag brachte dazu aber noch keine echten Antworten [sic!]. Von schärferen Regeln bei der Zuwanderung hält [Leobens Bürgermeister] Wallner nicht viel, Handlungsbedarf sieht er dennoch: ´Integration funktioniert im Großen und Ganzen recht gut, und dort, wo sie nicht funktioniert, sollte man etwas tun´, so Wallner [in seinem besonnenen Statement!].“ Kurzum: Der ORF-Bericht offenbart ein teilweise erschütterndes Bild über die zentralen Fragen der Integrationspolitik, die gespickt ist mit dem Parolen- und Formelvorrat der 1990er Jahre!

http://steiermark.orf.at/news/stories/2701306/

Die „Charta“ konsequent umsetzen mit mehr Finanzeinsatz!

Wir fordern die Reformpartnerschaft wie auch die steirischen Städte und Gemeinden auf, den mit der Charta des Zusammenlebens begonnenen anderen Weg zu einem solidarischen, auf Gleichberechtigung und Gleichverpflichtung begonnenen Weg eines gedeihlichen Zusammenlebens in Vielfalt fortzusetzen und sich NICHT von den Rechtspopulisten abermals eine Politik aufzwingen zu lassen, die beiden Großparteien wie auch unserer schönen Steiermark massiven Schaden zufügen wird. Was es wirklich braucht, ist die konsequente und mit deutlich vermehrtem Finanzeinsatz fortzusetzende Umsetzung der Kernanliegen der Charta des Zusammenlebens: von Familienförderung über die interkulturelle Öffnung von Kindergärten und Schulen, qualitätsvolle Arbeitsmarktoffensiven, existenzsichernde Armutsbekämpfung, beteiligungsfördernde Gemeinde-, Kultur- und Bildungsprogramme, den Ausbau der Leistungspalette der NGOs zur Förderung von Vielfalt, flächendeckende Demokratie- und Menschenrechtsbildung in allen Schulen und Gemeinden und eine überzeugte parteiübergreifend vorgelebte Haltung, die bei noch so starkem Gegenwind nicht einknickt vor den „Ängsten des kleinen Mannes“, sondern überzeugende Antworten findet, um diese Ängste zu entzaubern. Liebe Landesregierung, lieber Landtag, kehrt zurück zur „Charta des Zusammenlebens“, setzt sie mit uns allen gemeinsam um, solange noch Zeit ist! Christian Ehetreiber

Weitere Links zum Thema:

Stellungnahme des Menschenrechtsbeirates der Stadt Graz zu Landtagsbeschluss vom 20.1.2015

Entschließungsantrag des Landes Steiermark zu verstärkter Integration

Gastkommentar von Robert Reithofer (ISOP) im Falter