Presseinformation: Bettelverbot reloaded? Wie lange noch ewige Wiederkehr des Gleichen?

„Als Koordinator der Arbeitsgruppe gegen Bettelverbote des Grazer Menschenrechtsbeirates blicke ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf das denkbar knappe Ergebnis (25:23 Stimmen) zum Thema Betteln im Grazer Gemeinderat,“ so ARGE-GF-Obmann und Mitglied des Grazer Menschenrechtsbeirates Christian Ehetreiber. „Über mehrere Wochen hinweg habe ich in Zusammenarbeit mit den ExpertInnen unserer Arbeitsgruppe gegen Bettelverbote nach besten Kräften versucht, einen Paradigmenwechsel bei diesem Uralt-Thema bei allen Gemeinderats-fraktionen zu initiieren. Wir wollten einen für die Menschenrechtsstadt Graz breitestmöglichen Konsens über alle Parteigrenzen hinweg formulieren helfen. Doch das ist trotz vieler konstruktiver Gespräche mit den GR-Fraktionen (bislang) leider nicht geglückt“, so Ehetreiber mit seinem „weinenden Auge“.  Zwar haben Klubobmann Kurt Hohensinner und GR Thomas Rajakovics einige essenzielle Anregungen des Menschenrechtsbeirates – internationale Enquete zur Bettlerfrage, Einbezug der NGOs und Aufforderung an die Exekutive, bestehende Möglichkeiten menschenrechtskonform zu nützen – dankenswerter Weise in den ÖVP-Antrag aufgenommen, gewissermaßen das lachende Auge als Zeichen einer seriösen Dialogkultur. Doch das Herzstück der Forderung des Menschenrechtsbeirates wurde leider NICHT berücksichtigt im ÖVP-Antrag: die Einrichtung einer interinstitutionellen, überparteilichen Arbeitsgruppe mit allen MenschenrechtssprecherInnen des Gemeinderates, der Exekutive, der Caritas, der Vinzenzgemeinschaft, des Grazer Menschenrechtsbeirates, Grazer NGOs, der Justiz und des Landes Steiermark im Auftrage des Grazer Bürgermeisters Mag. Siegfried Nagl und unter Anerkennung der aktuellen rechtlichen Lage (Landessicherheitsgesetz und VfGH-Urteil zur Aufhebung des steirischen Bettelverbotes)

„Ohne dieses Herzstück eines von Bürgermeister Nagl zu nominierenden interinstitutionellen Arbeitskreises wird die gesamte Bettlerdebatte zum wiederholten Male  ins altbekannte Muster aus Parteiengezänke und Polarsierung der Öffentlichkeit zurückfallen“, so Ehetreiber. Die von ÖVP und FPÖ lancierte Medienkampagne gegen bettelnde Menschen vor einigen Wochen und der denkbar knappe Gemeinderatsbeschluss vom 14.11.2013 waren der Auftakt dieses „Rückfalles in die ewige Wiederkehr des Gleichen!“ Das ist in jeder Hinsicht schade! Denn nun sind die Positionen der Akteure in Parteien und Zivilgesellschaft wieder einzementiert, anstatt das VfGH-Urteil zur Aufhebung des steirischen Bettelverbotes vom Dezember 2012 als Basis für einen Paradigmenwechsel zur Deeskalierung und Versachlichung der aufgeheizten öffentlichen Bettlerdebatte zu nützen.

Die Grundidee des Menschenrechtsbeirates (interinstitutioneller Arbeitskreis, beauftragt vom Herrn Bürgermeister)  ist ebenso einfach wie wirkungsvoll:

  • Alle mit dem Thema „Betteln“ befassten ExpertInnen mögen die bislang weitgehend ungenutzten Handlungsspielräume im Umgang mit Betteln sondieren und nutzen, um gute Lösungen zwischen der zum Teil sehr berechtigten „Verärgerung der BürgerInnen“ und menschenrechtlichen Erfordernissen zu entwickeln.
  • Das beginnt mit dem stufenweisen, menschenrechtskonformen Einschreiten der Exekutive gegen alle Formen des aggressiven Bettelns wie zB beim Hausieren in Wohnsiedlungen, dem Stören von Trauerfeiern bis zum Klopfen an Autoscheiben auf Kreuzungen.
  • Weiters bedarf es der Entwicklung und (mehrsprachigen) Kommunikation von Regeln an die bettelnden Menschen wie auch an die Grazer Bevölkerung, was erlaubt und was gesetzlich verboten ist.
  • Der Verzicht der ÖVP und FPÖ auf eskalative Medienkampagnen wie zuletzt in der Krone gehört ebenso dazu wie der permanente sachliche Dialog mit den Grazer BürgerInnen, geführt von den GemeinderätInnen in Zusammenarbeit mit couragierten VertreterInnen der Zivilgesellschaft und gut begleitet von den steirischen Medien!
  • Die aktuelle Rechtslage – das bestehende Landessicherheitsgesetz, das aggressive Betteln ohnedies verbietet, und das VfGH-Urteil vom Dezember 2012, das stilles Betteln gestattet – ist völlig ausreichend, um tragfähige Lösungen für alle zu entwickeln und umzusetzen.
  • Zuallererst geht es aber immer um die Verbesserung der Hilfs- und Unterstützungsprogramme für bettelnde Menschen  in Graz wie auch in den Herkunftsstaaten, unterstützt von der EU, regionalen und nationalen Akteuren. Not und Elend in unseren Nachbarländern können nicht durch eine Abschottungs- und Ausgrenzungspolitik auf Dauer überwunden werden.

„Immerhin besteht eine sehr sachliche und wertschätzende Gesprächsbasis zwischen dem Grazer Menschenrechtsbeirat und allen Grazer Gemeinderatsfraktionen, wie die zahlreichen Gespräche der vergangenen Wochen gezeigt haben,“ hält Ehetreiber trotz inhaltlicher Dissenspunkte anerkennend fest. „Wir werden diese gute Gesprächsbasis mit allen Gemeinderatsklubs und mit den Mitgliedern der Grazer Stadtregierung jedenfalls auch in Zukunft nutzen, um im nächsten Anlauf den aufgeschobenen, aber nicht aufgehobenen Paradigmenwechsel zu einer innovativen und zukunftsfähigen Debatte mit ALLEN EXPERTINNEN weiterzuverhandeln,“ so Ehetreiber mit ungetrübtem Optimismus und Vertrauen auf die gute Dialogkultur in Graz! „Wir brauchen einen neuen Diskurs der Versachlichung und Deeskalation, um die Kommunikation im Geiste einer Menschenrechtsstadt zu führen. Um dieses Ziel werden wir im Grazer Menschenrechtsbeirat wie auch in der Zivilgesellschaft weiterhin mit starken Argumenten kämpfen,“ so Ehetreiber  in seinem Resümee.