Lesen Sie mehr…Jeder Mensch, der an Hunger stirbt, ist eine singuläre Katastrophe

Massenmord unter den Augen der Weltbevölkerung

Ziegler nimmt eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation vor, die er mit Rückblicken in die Geschichte unterlegt. Er beleuchtet Mechanismen, welche als Ursache für Not und Armut auf der einen Seite und grenzenlosen Reichtum auf der anderen Seite verantwortlich sind. Hunger ist historisch betrachtet eine Waffe der Unterdrückung und Vernichtung, auch wenn es immer wieder Bestrebungen gab und gibt, ein Bewusstsein und Lösungen zu schaffen, wie beispielsweise durch die Gründung der UNO nach dem Zweiten Weltkrieg.

Erschreckend ist, dass die Öffentlichkeit der Hungerproblematik allzu oft mit Gleichgültigkeit begegnet, solange die Katastrophen nicht sichtbar werden, wie zum Beispiel bei der Hungersnot am Horn von Afrika. Noch erschreckender ist jedoch, dass das Wissen um diese Tatsache nicht neu ist, und seitens der BürgerInnen immer noch sehr wenig getan wird, um diesen Missstand in den Griff zu bekommen.

In „Wir lassen sie verhungern“ lenkt Ziegler den Blick des öffentlichen Bewusstseins auf die strukturelle Gewalt unserer Weltordnung, die ungleiche Verteilung von Reichtum, auf Konzerne, die direkt oder indirekt den größten Teil des Welthandels in ihrer Hand haben, und skizziert so ein grausames Bild von Hunger. Nicht die schnell wachsende Bevölkerung sieht er als Problem, sondern die Politik von SpekulantInnen und ManagerInnen von Hedgefonds, die aus Profitmaximierung und persönlichem Gewinnstreben das Weltfinanzsystem ruinieren und die, in seinen Worten, eigentlich vor ein Tribunal wegen Verbrechen gegen die Menschheit gestellt werden müssten.

Ziegler geht jedoch nicht nur auf die Ursachen strukturellen Hungers ein, sondern auch auf dessen Folgen, wie zum Beispiel die Ungerechtigkeit, die Kleinbauern in Ländern wie Peru, Indien oder Schwarzafrika durch unfaire Landverteilung und unangemessene Preise angetan wird. Im Zuge dessen übt er harsche Kritik an WTO, IWF, der Weltbank und der Nahrungsmittelindustrie an sich. Dabei hebt er die allgegenwärtige Macht transkontinentaler Agrarkonzerne und Hedgefonds hervor, die mit Nahrungsmittelpreisen spekulieren. Ganz in Zieglerscher‘ Manier greift er Strukturen, Organisationen und Personen auf das Schärfste an.

Der Autor sieht vielfache Mechanismen, die für die „Massenvernichtung“ in den Entwicklungsländern verantwortlich sind: Landraub, Börsenspekulationen auf Grundnahrungsmittel, die Kooperation von Staatslenkern mit Großgrundbesitzern, Investoren und Banken, Überschuldung, die keine Investitionen in die eigene Landwirtschaft zulässt etc. Es geht um menschengemachte Mechanismen, die mit relativ geringem Aufwand und geeigneten Rahmenbedingungen verbessert beziehungsweise beseitigt werden könnten, denn auch wetter- oder klimabedingte Engpässe können beispielsweise durch das Errichten einfacher Bewässerungssysteme überbrückt werden.

Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“ – Mahatma Ghandi

„Wir lassen sie verhungern“ ist ein eindringlicher Appell an das Verantwortungsbewusstsein jedes/r BürgerIn und veranschaulicht die Wichtigkeit von Solidarität und Mitgefühl. Politischer Wille und ein weltweites Bewusstsein für die gemeinsamen Bedürfnisse aller Menschen sind nötig, um das grundlegende Menschenrecht auf Nahrung abzusichern. Nur eine aktive Zusammenarbeit von Regierungen, BürgerInnen, internationalen Organisationen, NGOs und der Privatwirtschaft kann gewährleisten, dass das Hungerproblem in absehbarer Zukunft gelöst werden kann. Denn wenn sich nicht bald ein Umdenken ergibt, und stattdessen weiterhin Gier und persönliche Bereicherung im Vordergrund stehen, wird sich an diesen unmenschlichen Zuständen nichts ändern.

 

Quellen:

Ziegler, Jean: „Wir lassen sie verhungern.“ C. Bertelsmann Verlag, 2012

Schwaiger, Rosemarie: „Jean Ziegler: ,Konzerne sind Piraten und Plünderer.‘“, Profil, 20.09.2012, unter: http://www.profil.at/articles/1238/560/342433/krise-jean-ziegler-konzerne-piraten-pluenderer

http://www.randomhouse.de/Buch/Wir-lassen-sie-verhungern-Die-Massenvernichtung-in-der-Dritten-Welt/Jean-Ziegler/e394666.rhd