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Europa – ein unvollendetes Sozial- und Bildungsprojekt für alle WohnbürgerInnen

Mitunter vollzieht sich die Vertreibung aus dem (imaginierten) Paradies indes schneller als geahnt. Noch im Jahre 1994 versprachen die Bundesregierung und die Sozialpartner in einer seit Joseph Goebbels beispiellos gleichgeschalteten Wohlfühlpropaganda den BürgerInnen das EU-Blau vom Himmel. Was wurde da nur alles an „Schlaraffenland“ versprochen? Dieses Propagandamaterial ist mittlerweile vergriffen, da die unverschämten Lügen bei der heute gegebenen EU-Skepsis das sprichwörtliche Fass vermutlich zum Überlaufen brächten. Was war passiert? Wie so oft in der neueren Geschichte stimmten auch beim Projekt Europa die Versprechungen nicht mit der Wirklichkeit von Millionen BürgerInnen überein und ließen die Europa-Euphorie zunehmend verblassen. Die Europäische Union war nämlich im Gründungsmythos zwar eindeutig eine Friedensunion, aus realpolitischer Perspektive sehr bald aber vor allem eine Union der „vier Freiheiten“ – des Personenverkehrs, des Warenverkehrs, des Dienstleistungsverkehrs und des Kapitalverkehrs . Der europäische Integrationsprozess mit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam kodifizierte die als „neoliberale Revolte“ bezeichnete Zurüstung des Projektes Europa auf das Format eines gigantischen kapitalistischen Marktes, der eine verhängnisvolle Polarität in die kollektiven mentalen Modelle der europäischen Eliten indoktrinierte: Der Wirtschaftsstandort nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft wurde fortan als permanenter Gegensatz zum Sozialstaat  konzipiert, der seit der neoliberalen Revolte in allen EU-Staaten nur noch als Kostenfaktor und „Klotz am Bein der Wirtschaft“ entworfen wird. Wirtschaftsstandort und Sozialstaat wurden nur mehr als „Contradictio“, nicht mehr als sich wechselseitig bedingend begriffen. Die neoliberale Dogmatik ergriff Konservative und SozialdemokratInnen gleichermaßen, vernebelte das ideologiekritische Moment der Aufklärung und ersetzte es durch ideologische Mobilmachung im Dienste reiner Kapitalinteressen. Das „Friedensprojekt Europa“ mutierte zum Zierrat in den Bütten- und Sonntagsreden in Aufsichtsratssitzungen und Parlamenten.

 

Die Dogmatik der Neoliberalen – von Hängematten- und Komfortzonenpolemik bis zur Reformrhetorik im Dienste der Kapitalbesitzer

Die Definition von sogenannten Konvergenzkriterien, welche die Verschuldungsquoten der EU-Staaten festschrieb, lässt bis heute das dringend notwendige Konvergenzkriterium einer höchst zulässigen Quote an Arbeitslosigkeit vermissen, was freilich dazu führt, dass die Einhaltung von nationaler Budgetdisziplin stets auf Kosten der öffentlichen Haushalte, der Binnennachfrage und der Arbeitsplatzsicherheit geht. Die giftigen neoliberalen Dogmen wonach der Staat keine Arbeitsplätze schaffen könne, die „unsichtbare Hand des Marktes“ Wohlstand für alle produziere, dass Sozialsysteme unfinanzierbar seien, dass in Europa eine Komfortzonen- und Vollkaskomentalität herrsche oder dass der Staat ein schlechter Unternehmer sei – verbreiteten sich als europaweiter Verblendungszusammenhang wie eine Propaganda-Pandemie in den Führungsetagen von Politik, Wirtschaft und Medien.

 

Die Entzauberung der neoliberalen Verheißungen

Doch die anhaltende Banken- und Wirtschaftskrise seit 2008 führt schrittweise zur Demontage der selbstgefälligen neoliberalen Dogmatik, wobei von einer Katharsis, oder gar von Reue oder Umkehr bei den neoliberalen Mobilmachern noch wenig spürbar ist. Obwohl etwa nahezu alle führenden PolitikerInnen Europas – von Konservativen über Sozialdemokraten bis zu Grünen – die „Finanzmärkte an die Kandare“ zu legen gelobten, explodierte allein der Derivathandel seit 2008 um mehrere Billionen Euro, völlig im Gegensatz zu den Parolen der europäischen und nationalen Politik. Die Banken setzen seit 2008 durch riskante Geschäfte Billionen Euro in den Sand, um sich von EZB, BürgerInnen und Staat, der angeblich ein schlechter Unternehmer sei, die Verluste über den europäischen Rettungsschirm finanzieren zu lassen. Die Formel „Privatisieren von Gewinnen und Kollektivierung von Verlusten“ bringt diese unverfrorene Praxis von Banken, EZB und Regierungen auf den Punkt. Das Spiel im Derivate- und SWAP-Handel geht also munter weiter, haben doch die BürgerInnen und die verunglimpften Staaten den Schaden der Finanzjongleure geblecht.

 

26 Millionen suchen Arbeit

Die „invisible hand“ der angeblich freien Märkte hat jedoch nicht nur astronomische Summen von Kapital auf wenige Eigentümer verteilt, sondern am europäischen Arbeitsmarkt einen Scherbenhaufen erzeugt, der fast unser Vorstellungsvermögen sprengt: Laut EUROSTAT vom 8. Jänner 2013 sind in der EU-27 insgesamt rund 26 Millionen Menschen ohne Erwerbsarbeit (10,7%). In Spanien und Griechenland sind rund 26% ohne Erwerbsarbeit. „Im Vergleich zum November 2011 sind die Quoten [der Arbeitslosigkeit] deutlich gestiegen“, heißt es dazu in der Pressemitteilung von EUROSTAT lapidar. Die Jugendarbeitslosigkeit betrug in Griechenland 57,6% und in Spanien 56,5%, das heißt: Mehr als jeder zweite junge Mensch unter 25 Jahren ist dort arbeitslos! Die „invisible hand“ der neoliberalen Marktfetischisten zeigt damit, was sie zu leisten vermag für die Mehrzahl der EU-BürgerInnen: unverschämteste Profitmaximierung für eine Clique an Multimillionären auf Kosten von 26 Millionen Arbeitslosen!

http://epp.eurostat.ec.europa.eu/tgm/table.do?tab=table&init=1&plugin=1&language=de&pcode=teilm021

 

http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/3-08012013-BP/DE/3-08012013-BP-DE.PDF

 „Noch mehr vom gleichen Falschen“ – die Zauberformel der neoliberalen Gralshüter

Die neoliberalen Gralsritter geben trotz des totalen Desasters auf den Finanzmärkten und des noch größeren Waterloos auf dem europäischen Arbeitsmarkt ihre Dogmen dennoch nicht auf. Der giftige Cocktail aus eiserner Spardisziplin, Rückgang der Konsumnachfrage und viel zu hohen Zinsbelastungen für Staaten mit geringer Bonität treibt die südlichen EU-Staaten immer weiter in die Rezession hinein. Stefan Schulmeister erinnert gebetsmühlenartig an die bestürzenden Ähnlichkeiten an falschen Reaktionsmustern im heutigen EU-Raum zu jenen des „schwarzen Freitags“ 1929. Aber immer noch herrscht die Devise der Eliten: Noch mehr vom Gleichen, denn wir können uns ja nicht geirrt haben in der Sakristei der neoliberalen Dogmatik.

 

Regierungschefs als nationalistische Rabattfeilscher und Erbsenzähler

Doch 26 Millionen Arbeitslose im EU-Raum und weitere Millionen an Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, sind der schlagende Beweis für den vollkommenen Bankrott des neoliberalen Paradigmas. Wie bei (fast) allen substanziellen Paradigmenwechseln scheint die Europäische Union derart gefangen zu sein in den obsoleten wirtschaftlichen Handlungsmustern, dass Kantianisches Einsichtsdenken auf Basis einer empirischen Vernunft nicht (ausreichend) greift, um den Paradigmenwechsel zu einem geordneten Schuldenschnitt und einer Europäischen Sozialunion, die auf einer seriösen und nachhaltigen Realwirtschaft – nicht auf Gambeln und Zocken – gründet, zu vollführen. Wie immer bei Krisen und Katastrophen fällt Europa wieder zurück in nationalstaatliches Schrebergartendenken, wie das unsägliche Gefeilsche um die läppischen Beiträge zum EU-Budget jüngst vor Augen geführt hat. Statt die Beiträge zum EU-Budget von ca. 0,3% zu verdoppeln oder zu verdreifachen, um europäische Programm-Budgets für Wachstum, Beschäftigung und Bildung zu erhöhen, benahmen sich die Regierungschefs wie eine Ansammlung an kleingeistigen Erbsenzählern und Rabattfeilschern auf einem Basar. Sie ließen sich für Britenrabatte, Nachlässe für Nettozahler usw. von den hauseigenen Boulevardmedien abfeiern für ihre nationalistische, antieuropäische und volkswirtschaftlich dümmstmögliche Politik, die es „denen dort in Brüssel“ wieder einmal gezeigt habe. Eine Schande für Europa, wie wenig den Regierungen der europäische Rock wert ist, wenn es ums nationale Hemd geht.

 

Bitte nicht wieder: „Europa den BürgerInnen (v)erklären“

Die Schande der Regierungschefs erhält auch noch einen Schuss an schizophrener Verblendung, wenn von Rom bis Stockholm und von Paris über Berlin bis Wien über eine Europaskepsis und Europamüdigkeit bei den BürgerInnen geklagt wird. Die Regierungschefs klagen also über jene Reaktionen ihrer BürgerInnen, die sie selbst – wie beim unwürdigen Rabattgefeilsche zum EU-Budget – unentwegt erzeugen. Das Reflexionsvermögen der Regierungen scheint indirekt proportional zu ihrer doppelbödigen und bauernschlauen Schlitzohrigkeit zu stehen. Das Motto lautet: Alles Gute machen die Nationalstaaten, alles Schlechte ist Copyright Brüssel. In der aktuellen Krise haben die Regierungschefs die Tragik der Gesamtlage überhaupt nicht verstanden oder sie setzen einfach auf „Augen zu und durch“. Statt schleunigst auf mehr Europa in der Steuer-, Sozial-, Wirtschafts-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik zu setzen, feiern Nationalismus und Chauvinismus eine unerfreuliche Renaissance, welche das gesamte Europaprojekt zum Einsturz bringen kann, wenn nicht bald Katharsis bei den Eliten und BürgerInnen einkehrt.

 

Politik weiterhin Handlanger und Kammerdiener von Kapitalinteressen?

Immer wieder wundern sich die SpitzenpolitikerInnen mit Dackelblick und Krokodilstränen über die Europaskepsis der BürgerInnen. Dann beginnt zumeist wieder die litaneiartig vorgebrachte Parole, man müsse „Europa den BürgerInnen erklären.“ „Wir müssen sicher sein, dass die Bürgerinnen und Bürger jeden Schritt mit uns gehen. Dafür müssen wir Europa immer neu erklären, immer neu diskutieren – genau das, was Reinhold Lopatka und ich [Michael Spindelegger] in den kommenden Wochen und Monaten verstärkt machen werden.“

http://www.oevp.at/spindelegger/index.aspx?pageid=64189

 

Meint die Politik jenes Europa, das sie unentwegt aus nationalistischen Kalkülen der angewandten Kleingeistigkeit mit Füßen getreten hat? Oder meint die Politik damit jene unverschämte Erklärung, dass es „uns in Österreich im Vergleich mit Griechenland und Spanien ja immer noch sehr gut gehe“, was zwar zutrifft, aber den gut 400.000 Arbeitslosen in Österreich nicht weiterhilft. Was will die Politik den 26 Millionen ohne Erwerbsarbeit erklären, das nicht zu berechtigter Frustration und zu Aggression führt? Europa muss selbsterklärend werden für jede/n BürgerIn. Der wichtigste Schritt zu einer Europäischen Sozialunion mit Erwerbsarbeit und Zugang zu Bildung, Qualifizierung und Gesundheit besteht freilich darin, dass die Politik ihre Handlanger- und Büttelrolle im Sold der Börsen, Banken und Konzerne ablegt, die Vitalinteressen der EU-BürgerInnen in den Brennpunkt rückt und den Finanzkapitalismus ohne Wenn und Aber in Ketten legt. Doch davon ist aktuell NICHTS zu erkennen am nationalstaatlich verengten EU-Horizont der kollektiven Eitelkeiten und der furchterregenden Eliten-Beschränktheit.

 

Links zur Arbeitslosigkeit in Europa:

http://derstandard.at/1326504225037/24-Millionen-ohne-Job-Arbeitslosigkeit-in-der-EU-auf-Rekordhoch

http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/wirtschaft/3257787/arbeitslosigkeit-rekordhoch-ende-sicht.story

http://epp.eurostat.ec.europa.eu/tgm/table.do?tab=table&init=1&plugin=1&language=de&pcode=teilm021

http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/3-08012013-BP/DE/3-08012013-BP-DE.PDF

http://diepresse.com/home/wirtschaft/eurokrise/1330234/2012-war-ein-weiteres-miserables-Jahr-fuer-Europa

 

http://diealternative.org/arbeitszeit/2010/04/arbeitslosenraten-in-osterreich-und-europa/

 

 

Links zu Derivathandel:

http://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/realwirtschaft-st%C3%A4rken-%E2%80%93-derivate-regulieren

http://www.gevestor.de/news/die-wahrheit-ueber-derivate-566467.html

http://www.querschuesse.de/otc-derivate-casino-mit-707569-billionen-dollar-an-nominalen-volumen/

http://de.wikipedia.org/wiki/Au%C3%9Ferb%C3%B6rslicher_Handel

http://www.iwkoeln.de/de/infodienste/iwd/archiv/beitrag/finanzmarkt-708-000-000-000-000-dollar-82650

 

 

Links zu EU:

http://www.vej-aej.de/31.html?&no_cache=1&tx_ttnews%5Btt_news%5D=37&cHash=b36d0287fc1841f90527cf26054ee14c

http://www.b-b-e.de/index.php?id=14822#19422

http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-12/eu-gipfel-merkel-bundestag-erklaerung

http://ec.europa.eu/avservices/video/player.cfm?ref=I075154

http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/10985_de.htm

http://ec.europa.eu/european-debate/index_de.htm

http://www.spiegel.de/fotostrecke/zitate-27-ansichten-von-europa-fotostrecke-42944-6.html

http://www.spiegel.de/fotostrecke/zitate-27-ansichten-von-europa-fotostrecke-42944-21.html

http://www.spiegel.de/fotostrecke/zitate-27-ansichten-von-europa-fotostrecke-42944-23.html

http://www.ksta.de/archiv,16592382,12333968.html