Doris Reiter erhält den Menschenrechtspreis des Landes Steiermark 2024
Wie ernst jemand die Menschenwürde und die Menschenrechte nimmt, zeigt sich am besten in Situationen von Sorgen, Not und Bedrängnis. Dies ist gleichsam der Lackmustest, der die Schönwetterfreund*innen von den Schlechtwetterfreund*innen unterscheidet. Erstere sonnen sich in deinem Glanz, während letztere gerade dann zu dir stehen, wenn es blitzt, kracht und hagelt.
Doris Reiter gehört zu jenen Menschenrechtsaktivist*innen, die ich – ebenso wie ihren Ehemann Herbert Reiter – zu meinen verlässlichsten Schlechtwetterfreund*innen zählen darf, was umgekehrt ebenso gilt. Doris erhebt verlässlich ihr Wort und schreitet zur solidarischen Tat, wenn Menschen in ihrem Umfeld entrechtet oder in ihrer Würde verletzt werden.
Diese gelebte Haltung auf einer soliden Wertebasis nennen wir zutreffend „aufrechten Gang“, „Rückgrat“ und „Zivilcourage“. Im schattierten Graustufenkontinuum zwischen solidarischem Handeln für die Mitmenschen versus diskriminierende Ausgrenzung und Gewaltanwendung begegnen wir leider zu vielen Jasager*innen und Konformist*innen mit menschenfeindlichen Haltungen, insbesondere jenen, die es sich kraft ihres Einkommens und ihres sozialen Status locker leisten könnten, sich gegen Unrecht mutig zu engagieren. Doch „da mag man lieber nichts sagen“, da „will man sich nicht einmischen“. Denn „das Unrecht den anderen gegenüber, das geht mich ja eigentlich gar nichts an, nicht wahr?“ Nein, das ist eben nicht wahr!
Für die Menschenrechtsarbeit und für die Demokratiebildung sind „das Einmischen“, das kritische Wort und die solidarische Tat für die Verteidigung der Menschenwürde und der Menschenwürde jedoch das Lebenselixier. Erst das „Nein zum Gleichschritt“, die Ablehnung des oktroyierten Konformismus und die Resistance gegen jedwede Form der Repression erhalten uns den gefestigten Glauben an den Mythos des aufgeklärten Bürgers bzw. der aufgeklärten Bürgerin, verankern ihn bzw. sie ohne Zwang im kollektiven Gedächtnis unserer Gesellschaft.
Dazu bedarf es Vorbilder und Idole, die wie Leuchttürme aus der Kultur- und Geistesgeschichte der Menschheit herausragen: von der Nachbarschaftshilfe über soziales Engagement in der Gemeinde bis zum nationalen und globalen Engagement für Frieden, Freiheit und Solidarität, realisiert in allen Lebens- und Arbeitswelten. Was wäre die Geschichte der Menschheit ohne den barmherzigen Samariter, ohne Mahatma Gandhi, ohne Martin Luther King, ohne Mutter Teresa, ohne Malala Yousafzai, ohne jeden einzelnen engagierten Menschen, der sich für die Rechte und das Wohlergehen seiner Mitmenschen tagaus, tagein einsetzt?
Wer die liebe Doris näher kennt, weiß um ihre Bescheidenheit und um ihre vornehme Zurückhaltung. Vor einiger Zeit sagte sie mir sinngemäß: „Ich mache meine soziale Arbeit nicht wegen Auszeichnungen. Die Freude im Gesicht der Menschen, wenn eine Hilfeleistung erfolgreich war, ist die schönste Auszeichnung, die mich immer mit Freude erfüllt.“
Wie der einstimmigen Jurybegründung zu entnehmen ist, finden durch ihre Aktivitäten im Vorstand des Vereins „Soziale Projekte Steiermark“ wie auch als Direktorin von WIST Steiermark die an die Ränder der Gesellschaft Verbannten den Weg zurück in unsere Mitte. In der Presseaussendung des Landespressedienstes heißt es dazu:
„Die Vision bzw. das oberste Ziel dieses Vereins (Soziale Projekte Steiermark) ist die vollkommene Integration aller (Rand-)gruppen der Gesellschaft für ein gemeinschaftliches Miteinander. Menschen werden durch gemeinsame Aktivitäten aus der Isolation in die Mitte der Gesellschaft geholt. Doris Reiter setzt sich dabei ehrenamtlich mit Weitblick und großem persönlichen Aufwand für Menschen am Rande der Gesellschaft ein.“
„Inklusion statt Isolation“
So lautet die durchgängige Devise in all ihren sozialen und menschenrechtspolitischen Projekten: Im Rahmen verschiedener Vereinsprojekte wie dem „Ball der Vielfalt“, „Beauty Youngsters“, ihrer Mitwirkung an einer Spenden- und Sachgüteraktion für die Ukraine und dem „Grazer Inklusionslauf“ engagiert sich Doris für eine tolerante, gleichberechtigte Gesellschaft, in der jeder Mensch mit Respekt behandelt und niemand auf Grund seiner Herkunft, Sprache, Hautfarbe, Religion oder Behinderung ausgegrenzt wird.
In ihren Workshops zur Sensibilisierung im Rahmen von Schulprojekten der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus vermittelt Doris in praxisbezogener und alltagstauglicher Weise, wie gelebte Werte und Haltungen zu solidarischem Handeln und zu Zivilcourage führen nach dem Motto: Angemessen helfen, statt wegschauen!
Als Absolventin eines Studiums der Altphilologie und der Germanistik gründet ihr Engagement – neben der verantwortungsvollen Tat – zudem auf jenem sozialhistorischen Fundament, das vom Bescheidwissen über die Wurzeln der Gerechtigkeit, der Nächstenliebe und Solidarität von der Antike bis in die Moderne geprägt ist. Dazu gehört freilich auch ihr nuancierter Blick auf den seit Anbeginn menschlicher Zivilisation ausgetragenen Konflikt zwischen den im Überfluss Schwelgenden und den Habenichtsen. Des römischen Philosophen Seneca flammendes Plädoyer, wonach Sklaven Menschen sind, sei in dem Zusammenhang ebenso erwähnt wie Jesu Christi Parteinahme für die „Geringsten“ unserer Gesellschaft:
Seneca: „Sie sind Sklaven!“ Vielmehr sind sie Menschen. (…) Daher lache ich über diese, die es für schimpflich halten, mit seinem Sklaven zu speisen. (…) Das allerdings ist die Quintessenz meiner Vorschrift: Du sollst so mit deinem Untergebenen leben, wie du möchtest, dass ein Höhergestellter mit dir lebt.[1]
Jesus: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. (Matthäus 25,40)
Hohe Auszeichnung durch das Land Steiermark
Die Verleihung des Menschenrechtspreises an Doris Reiter erfolgte einstimmig in der Sitzung der Steiermärkischen Landesregierung vom 30.10.2024. Herr Landeshauptmann Mag. Christopher Drexler und Herr Landeshauptmann-Stellvertreter Anton Lang würdigten gemeinsam die Verdienste Doris Reiters und des Afro-Asiatischen Institutes.
Wir freuen uns weiters, dass unser ebenfalls langjähriger Projektpartner der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus, das Afro-Asiatische Institut (AAI), für seine auf Kontinuität gründende Bildungs- und Kulturarbeit sich den diesjährigen Menschenrechtspreis des Landes Steiermark mit Doris Reiter teilt. Das AAI leistet seit sechs Jahrzehnten einen engagierten Beitrag zum interkulturellen, interreligiösen und intergenerativen Dialog.
Wir gratulieren den beiden Menschenrechtspreisträger*innen sehr herzlich und freuen uns auf die Fortsetzung der guten Zusammenarbeit mit der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus in der Demokratie- und Menschenrechtsbildung!
Christian Ehetreiber
Mag. Christian Ehetreiber, geb. am 6.5.1963, leitete als GF-Obmann vom 1.1.1999 bis zum 30.9.2024 die ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus und ist seit 2007 Mitglied im Grazer Menschenrechtsbeirat
[1] Bei Seneca in Epistula 47 seiner Epistulae morales ad Lucinium: “Servi sunt!” Immo homines. (…) Itaque rideo istos qui turpe existimant cum servo suo cenare Haec tamen praecepti mei summa est: sic cum inferiore vivas quemadmodum tecum superiorem velis vivere.