Gedenkfeiern 2024 beim Todesmarschmahnmal am Präbichl und beim Internationalen Mahnmal in Graz
In Vertretung des neuen GF-Obmannes Dominik Knes nahm Christian Ehetreiber an den beiden Gedenkveranstaltungen zur Erinnerung an die Opfer des Todesmarsches ungarischer Jüdinnen und Juden vom April 1945 am 31.10.24 am Präbichl und beim Internationalen Mahnmal für die Opfer des Faschismus am 1.11.2024 in Graz teil. Bürgermeister Thomas Rauninger, Kulturobmann GR Gerhard Niederhofer und Vizebürgermeister Gerhard Stromberger dankten der ARGE Jugend für die seit dem Jahr 2000 bestehende Zusammenarbeit in der zeitgeschichtlichen Erinnerungsarbeit. Wie bereits in den vergangenen Jahren nahmen Vertreter*innen aller im Eisenerzer Gemeinderat vertretenen Fraktionen an der Gedenkfeier teil. Das am 18.10.2000 auf Grundlage eines einstimmigen Gemeinderatsbeschlusses gestartete Erinnerungsprojekt „Todesmarsch Eisenstraße 1945“ hat eine Reihe an bundesweit gewürdigten Produkten in der Erinnerungskultur entwickelt: ein von Jugendlichen entworfenes Mahnmal mit Gedenkbuch; einen breiten intergenerativen Bürger*innenbeteiligungsprozess; zwei wissenschaftliche Buchpublikationen im CLIO-Verlag; eine Reihe an themenspezifischen Workshops in den Gemeinden der Eisenstraße; die jährlichen Lebensmärsche zum Todesmarschmahnmal; die Einrichtung eines Schauraumes im Stadtmuseum Eisenerz; die gemeinde- und länderübergreifende Zusammenarbeit in der Erinnerungskultur als Medium der politischen Bildung;
Die ARGE Jugend hat mit der Stadtgemeinde Eisenerz ein innovatives Konzept für die Weiterentwicklung der „Erinnerungskultur Steiermark“ mit Mehrfachnutzen entwickelt, das auf die gemeindeübergreifende Realisierung wartet. Das mehrfache Erinnerungsjahr 2025 bietet dazu einige Ankerpunkte. Im nachfolgenden Beitrag werden einige Aspekte über den Nutzen und Wert der zeitgeschichtlichen Erinnerungsarbeit als Instrumente der politischen Bildung, der Persönlichkeitsentwicklung und für die Gestaltung der Zukunft unserer Gesellschaft zur Diskussion gestellt. Über Rückmeldungen und weiterführende Ideen freuen wir uns! Mail: christian.ehetreiber@gmail.com oder über unsere FB-Seite https://www.facebook.com/argejugend
„Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler. “
Ingeborg Bachmann
Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt.
Mahatma Gandhi
Die Verliebtheit in die Untergangsrhetorik
Zitate über „die Geschichte“ genießen Hochkonjunktur. Sehr viele davon nehmen Anleihen bei sogenannten „All- oder Existenzsätzen“, so auch die beiden Bonmots von Ingeborg Bachmann und Mahatma Gandhi. Die Geschichte – als dauernd Lehrende – fände KEINE Schüler heißt es bei Bachmann bzw. lehre die Geschichte die Menschen NICHTS, so die Ikone der Friedensbewegung. Doch solche Aussagen über „die Geschichte“ genießen bestenfalls Unterhaltungswert oder insinuieren, dass der mühsame Prozess der rezeptiven Aneignung von Geschichte durch wohlfeiles Wortgeklingel ersetzbar sei.
Politische Prozesse auf Stammbuch- und Stammtischniveau reduzieren?
Interdisziplinäre Erinnerungsarbeit, die sich als Instrument einer reflektierten politischen Bildung versteht, wird die im Überfluss vorhandenen Zitate über „die Geschichte“ allenfalls literarisch würdigen, die Reflexion zeitgeschichtlicher Prozesse jedoch nicht auf Stammbuch- oder Stammtischniveau reduzieren. Im Brennpunkt der interdisziplinären Erinnerungsarbeit stehen die anhand sorgfältiger Forschung gewonnenen und auf „Augenhöhe der jeweiligen Zeit“ erschließbaren Handlungsspielräume innerhalb des Graustufenkontinuums zwischen „Mitmachen an Mord und Gewalthandlungen versus Zivilcourage für und Solidarität mit den Opfern“. Erst die daraus gewonnenen Erkenntnisse mit ausreichender empirischer Unterfütterung gestatten die Gewinnung eines besseren Verständnisses politischer Prozesse und des menschlichen Handelns unter politischen Zwangsbedingungen.
Ewige Wiederkehr des Gleichen oder differenzierter Blick auf Entwicklungen?
Dabei lässt sich das vorschnell gezogene Stammbuch-Resümee, dass NIEMAND etwas aus der Geschichte lerne, dass die Geschichte KEINE Schüler fände, dass es eine EWIGE WIEDERKEHR von totalitären Regimes gäbe oder gar ein aus der Physik entlehnter SATZ DER GEWALTERHALTUNG der Geschichte inhärent sei, ziemlich oft widerlegen. Viel mehr finden sich zahlreiche Belege dafür, dass wir manchmal aus der Geschichte individuell und gemeinschaftlich lernen und die Zukunft zum Besseren wenden. Manchmal freilich wiederholen wir in unfassbar anmutender Überheblichkeit und Dummheit jene Handlungen in gebetsmühlenartigem Wiederholungszwang und wundern uns, warum uns diese Wiederholungen nicht aus dem angerichteten Schlamassel herausführen. Ödön von Horvath formulierte seine Vermutung zur Suggestion von Unendlichkeit durch Dummheit bereits als Leitzitat seiner „Geschichten aus dem Wienerwald“: „Nichts verleiht mehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit!“
Erinnerungsarbeit formuliert Bedingungen des Möglichen für Lernen aus der Geschichte
Zeitgeschichtliche Erinnerungsarbeit unternimmt daher den ehrgeizigen Versuch, die Bedingungen des möglichen Lernens aus der Geschichte sowie dessen Begrenzungen und Widerstände zu formulieren und die Ergebnisse dieses Reflexionsprozesses in die mentalen Mindsets unseres Alltagshandelns einzubauen. Sie macht Handlungsspielräume erkennbar, nutzbar und trainierbar. Sie erteilt jedweder Dogmatik in der Geschichtsbetrachtung eine Absage, indem sie jene Personen präsentiert, die anders als der Mainstream handelten, die „Nein zum Gleichschritt“ und zur Konformität mit verbrecherischen Handlungen sagten und danach handelten. Es erstaunt mich bis heute, mit welch‘ unverfrorener Selbstverständlichkeit die sogenannte Wehrmachtsgeneration ihr Mitmachen am Hitlerregime mit der billigsten Rechtfertigung von Verbrecherbanden betrieb: „Niemand hat damals anders handeln können. Jeder hat mitmachen müssen!“ Interdisziplinäre Erinnerungsarbeit widerlegt diese Rechtfertigungsmuster ebenso wie Staatsanwälte und Richter dies bei Verbrecherbanden täglich vorzeigen. Die Conclusio über „die Geschichte“ in Bonmot-Form kann daher folgendermaßen formuliert werden: Die Geschichte lehrt dauernd, findet zu oft leider keine Schüler, manchmal aber schon. Sie lehrt die Menschen bisweilen nichts, mitunter jedoch sehr viel Kluges.
Wann haben wir uns „genug erinnert“ an die „Geschichte als Schädelstätte“?
Immer wieder vernehmen wir in unserer politischen Bildungsarbeit, es müsse endlich ein Schlussstrich gezogen werden. Die Geschichte des Faschismus hänge einem zum Hals heraus. Die Dokus über Hitler und seine Helfer würden uns ermüden. Die Gedenkfeiern glichen einem stereotypen Ritual, das nichts mehr bewirke in der Bewusstseinsbildung. Auf der anderen Seite interessieren sich seit dem Erinnerungsjahr 1938/1988 immer mehr Bürger*innen jeden Alters für dialogische Formen der Aneignung der lange verdrängten Geschichte des Zeitraums 1933 bis 1945: von der Mitwirkung an Geschichtswerkstätten bis zur aktiven Mitarbeit bei der Realisierung von Mahnmälern und Erinnerungszeichen. Ritualisierte und weitgehend sinnentleerte Veranstaltungen kennt jeder Leser, jede Leserin zur Genüge: von eingelernten Stehsätzen, einem gelangweilten Tonfall, der das Auditorium zum Einschlafen ermuntert, bis zu einem lieblosen Programm, dem es an allem fehlt, um Nachdenken zu initiieren. Die Gedenkveranstaltungen in Eisenerz wie auch in Graz erzeugen eine andere Aura einer Erinnerungskultur, die zum einen der Opfer des Faschismus gedenkt, zum anderen Brücken und Tore skizziert, durch die hindurch aktuelle Themen des Widerstreits zwischen Diktaturen und der Demokratie besser verstehbar werden.
Ausgegrenzt werden und sich nicht zugehörig fühlen dürfen
Daniela Grabovac, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle Steiermark, sprach für die drei Opferverbände in Graz: für den Verband Sozialistischer Freiheitskämpfer*innen, für die ÖVP-Kameradschaft der politisch Verfolgten und Bekenner Österreichs und für den KZ-Verband. In einprägsamen Worten erzählte Daniela, wie es sich als Kind anfühlte, im deutschnational geprägten Kärnten schon im Kindergarten nicht dazuzugehören, ausgegrenzt und diskriminiert zu werden. Sie selbst ist zwar in Kärnten geboren und aufgewachsen. Doch ihre Mutter stammte aus Slowenien, der Vater aus Bosnien. Einmal haben ihre Eltern aufgrund des Nachnamens eine Wohnung nicht bekommen. In der Schule wurde sie als „Jugo“ beschimpft – so die damals gängige, abwertende Bezeichnung für Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien. Danielas beeindruckende Rede endete mit dem flammenden Appell Margot Friedländers, einer 102 Jahre alten Holocaust-Überlebenden, die sich als Zeitzeugin und politische Bildnerin immer noch für Menschenrechte, Demokratie, Frieden und für den Respekt gegenüber jedem Menschen engagiert:
„Seid Menschen! Menschen haben es getan, weil sie Menschen nicht als Menschen anerkannt haben. Man kann nicht alle Menschen lieben, aber Respekt gebührt jedem. Es gibt kein christliches, kein jüdisches, kein muslimisches Blut, es gibt nur menschliches Blut. Wir sind alle gleich. Was war, war – wir können es nicht mehr ändern. Es darf nur nie, nie wieder geschehen!“
Zeitgeschichtliche Forschung als Basis der politischen Bildung
Heimo Halbrainer ist mit seinem Bildungsverein und Verlag CLIO aus der österreichischen Erinnerungskultur nicht wegzudenken. Ohne zeitgeschichtliche Forschung ließe sich nämlich die Erinnerungskultur gar nicht als „Medium der politischen Bildung“ betreiben. In seiner Rolle als Obmann des KZ-Verbandes wies Heimo bei seinem Statement im ehemaligen Hinrichtungsraum des NS-Regimes in der Conrad von Hötzendorf Straße mit Nachdruck darauf hin, dass weltweit eine befremdliche Zunahme an „Kriegsrhetorik“ zu vernehmen sei und dass eine engagierte Friedenspolitik im medialen Waffengeklirre kaum noch Gehör finde. Es ist in der Tat verwunderlich, dass neutrale bzw. an den aktuellen Kriegen nicht beteiligte Staaten kaum engagierte Friedensinitiativen starten, die breiten Widerhall in den Medien finden.
Heimo hat vor einigen Jahren die Gedenktafeln im Hinrichtungsraum in gewohnter Recherchequalität überarbeitet. Zwei Namen auf der Tafel der Hingerichteten führten über verschlungene Wege, die auf zeitgeschichtlicher Recherche gründeten, zur diesjährigen Rednerin und Kulturwissenschafterin Lydia Arantes. Sie ist die Enkelin von Delphina Burtscher, deren 22-jähriger Bruder Willi Burtscher und ihr 26-jähriger Verlobter Martin Lorenz am 8.12.1944 wegen Kriegsdienstverweigerung und Gründung einer Widerstandsgruppe hingerichtet wurden. Lydias Großmutter, liebevoll Omile genannt, achtfache Mutter und 18-fache Großmutter, musste in ihrer Familie das entsetzlichste Grauen des NS-Regimes ertragen, ließ sich ihren bewundernswerten Mut und ihren Überlebenssinn von den Nazis jedoch nicht nehmen oder gar brechen. In einem Büchlein hielt Lydias Omile einen klugen Glaubenssatz als Lebensmotto fest, mit dem sie vermutlich alle Schicksalsschläge, Not und Entbehrungen meistern konnte: „Das Gute haben wir genossen, das Schlechte überwunden.“
Erzählte Geschichten prägen unsere Persönlichkeit. Ja, wenn wir zuhören!
Die feinsinnigen Reden von Daniela Grabovac und Lydia Arantes vermittelten ein gutes Gefühl, worin der unschätzbare Wert einer von Neugier und von Selbstvergewisserung angetriebenen Beschäftigung mit der eigenen Familien- und mit der Regionalgeschichte besteht. Es sind erzählte Geschichten unserer Vorfahren, die bis ins Heute hereinstrahlen, die uns prägen, wenn sie erzählt werden, aber auch wenn sie tabuisiert und verschwiegen werden. Der narrative Schatz an persönlich erlebten Lebensgeschichten und die Geschichte als Wissenschaft sind durch ein zunächst unsichtbares intergeneratives Band verknüpft, welches erst durch zeitgeschichtliche und interdisziplinäre Forschung sichtbar wird, um seine ganze Strahlkraft für die Gegenwart und Zukunft zu enthüllen. Selbstreflexives Lernen aus der Zeitgeschichte ist meines Erachtens nicht im „Checklisten-Format von Lehrsätzen im Merkheft“ zu haben, sondern durch einen Akt der Mobilisierung von starken persönlichen Motiven, in der akribischen zeitgeschichtlichen Spurensuche in Archiven und Privatsammlungen, in Zeitzeug*innengesprächen mit ausreichender Zeit und in der Verschränkung der „Geschichte mit den persönlichen Geschichten.“ Franz Stangl, Leiter des Grazer Universitätsmuseums, führt seit Jahrzehnten ausführliche Interviews mit Zeitzeug*innen und arbeitet zudem an Erinnerungsprojekten der ARGE Jugend als Historiker mit. Er befragt Zeitzeug*innen mit unterschiedlichen Rollen im NS-Regime und mit verschiedenen politischen Hintergründen, um auf diese Weise die verschiedenen Handlungsspielräume, Motive und Interessen sichtbar werden zu lassen. Die wissenschaftliche Neugier, das Interesse am Zuhören, der Respekt gegenüber dem Interviewpartner und der differenzierte Blick auf die jeweils erzählte Lebensgeschichte kennzeichnen die Kerntugenden seiner Zeitzeug*innengespräche.
Handlungsspielräume auf Augenhöhe der Zeit erkunden
Der meist mühsame Prozess der zeitgeschichtlichen Spurensuche erfordert Zeit, Geduld, Motivation und sprichwörtlichen Bienenfleiß. Dieser beginnt bei der aktiven Aneignung von erzählten Geschichten, Episoden und Erlebnissen, deren Projektion auf den jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext. Er führt zur Sichtbarmachung von (vermuteten!) individuellen und gemeinschaftlichen Handlungsspielräumen für oder gegen Demokratie und Menschenrechte auf Augenhöhe der Zeit, nicht aus dem arroganten Elfenbeinturm nachgeborener Besserwisserei. Dieser Prozess fördert die Weiterentwicklung der Persönlichkeit, erzeugt intergenerativen Gemeinschaftssinn, die Ausdifferenzierung des politischen Verständnisses und die Ableitung universeller und zugleich stets im individuellen und gemeinschaftlichen Handeln einzulösender Glaubenssätze im eigenen Mindset und dann im Alltagshandeln. All das sind die „nahrhaften Früchte und anwendbaren Werkzeuge“ der intensiven Beschäftigung mit der Zeitgeschichte als Instrument der politischen Bildung, um den Lauf unserer Welt besser zu verstehen als durch tägliche Vollbäder in geistloser Sonntagsrhetorik oder im Nachplappern von Parolen und manipulativen Slogans.
Erinnerungskultur fördert eigene Lehren aus der Geschichte
Mögliche Lehren aus der Geschichte zeigen sich mit der Strahlkraft von Edelsteinen für unser individuelles und gemeinschaftliches Denken und Handeln: in der Abwehr von Bevormundungen und Einschränkungen des freien Denkens, in der Verteidigung der Rede- und Meinungsfreiheit, in der politischen, religiösen und kulturellen Betätigung im Kontext von Verfassung und Rechtsstaat, im politischen Engagement in verschiedenen Rollen und Lebenswelten. Die Gleichschaltung von Medien sowie deren Konzentration in autoritär regierten Medienkonzernen erfordert ebenfalls zivilgesellschaftliches Engagement und die Förderung von Gegenöffentlichkeit.
Europaweiter Gewaltverzicht ist Exportschlager der Europäischen Union
Der europaweite Gewaltverzicht im Alltag, von der Familie über die Schule, die Arbeits- und Freizeitwelt bis zum Verzicht auf die Todesstrafe muss ebenfalls laufend verteidigt werden gegen die europaweit tätigen Feinde der Demokratie, der Freiheit und der Menschenrechte. Ich erachte den durchgesetzten Gewaltverzicht in Europa als den Exportschlager par excellence im Produktportfolio der Europäischen Union! Ob Identitäre, Rechts- und Linksextreme, Reichsbürger*innen oder Islamisten: Diese Demokratiefeinde dürfen wir nicht im Laisser-faire Stil wie bei Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ ins „Wohnzimmer Europa“ hereinbitten, um dort weitgehend unbehelligt ihre Gewalt- und Terrorakte zu verüben. Wir müssen diese Gruppen strafrechtlich verfolgen und ihnen das Handwerk legen. Die gesellschaftliche Mitte – das lehren die Erste Republik und die Weimarer Republik parabelhaft – muss viel energischer, entschlossener und konsequenter gegen die militanten Demokratiefeinde und ihre Verbündeten vorgehen, wollen wir nicht die mühsam erkämpften Grund- und Freiheitsrechte einer falsch verstandenen Liberalität – vulgo: Laisser-Faire-Demokratie – opfern. Ohne Aufwand, Mühen, Kosten, Engagement und Arbeit ist unsere liberale Demokratie freilich nicht zu haben. In der Arena der Algorithmen von social media, in gleichgeschalteten Blasen und Echokammern und im Aussperrmodus von cancel culture wird die Verteidigung und Reform der Demokratie vermutlich nicht gelingen. Der legendäre Club 2 des ORF der 1970er Jahre, die Hamburger ZEIT, die FAZ und die Neue Zürcher Zeitung, die brillanten Dokureihen von ARTE und des SRF sowie einige ehrwürdige, anachronistisch anmutende Bildungshäuser, die diesen Namen noch verdienen, hätten Kompass- und Leuchtturmfunktion für eine Renaissance von politischer Bildung und Beteiligung im unübersichtlichen Dschungel von Meinungsforschung, Werbungs- und Verlautbarungsjournalismus. Die unappetitlichen, gewaltstrotzenden Alternativen zur liberalen Demokratie mögen uns deshalb ermutigen, uns für die Demokratie, für die Menschenrechte und die Freiheit einzusetzen, wo immer dies erforderlich ist.