In memoriam Heinrich Kohnhauser (5.11.1914 bis 1.12.1944)

Auf Initiative von Wini Hofer (KZ-Verband) und Werner Anzenberger (Verband der sozialistischen FreiheitskämpferInnen) enthüllten die drei Opferverbände – Verband der sozialistischen FreiheitskämpferInnen, KZ-Verband und ÖVP-Kameradschaft der politisch Verfolgten und Bekenner Österreichs – gemeinsam mit der Eisenerzer Bürgermeisterin Christine Holzweber am 19.10.2019 eine Gedenktafel zur Erinnerung an den antifaschistischen Widerstandskämpfer „Heina“ beim Leopoldsteinersee in Eisenerz.

Neue Erinnerungskultur rettet den Widerstand vor dem Vergessen

Werner Anzenberger gewährte in seiner facettenreichen Rede einen beeindruckenden Einblick in jene „neue Erinnerungskultur“, welche den Zeitraum 1933 bis 1945 seit rund drei Jahrzehnten dem kollektiven Vergessen und Verdrängen entrissen hat. Das würdevolle Gedenken an die 159 Opfer des NS-Terrors im Bezirk Leoben repräsentiert die eine wichtige Seite dieser neuen Erinnerungskultur. Die intergenerative und dialogische Auseinandersetzung mit den ausgeblendeten Kapiteln der NS-Zeit ist jedoch immer auch eine Reflexionsfolie für unsere aktuelle Demokratie- und Menschenrechtsbildung. Die Verteidigung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verbinde – so Anzenberger – alle drei Opferverbände in ihrem demokratiepolitischen und antifaschistischen Engagement. Werner Anzenberger betonte in seiner Rede die Notwendigkeit der Initiierung und der Pflege von interinstitutionellen Netzwerken, welche diese innovative Form der politischen Bildung gemeinsam schultern: von der zeitgeschichtlichen Forschungs- und Publikationstätigkeit – hier sei das Institut für Zeitgeschichte der Universität Graz ebenso erwähnt wie der CLIO-Verlag und das Gedenknetzwerk www.erinnern.at – über kommunale Gedenkinitiativen, mutige Gemeinden, die sich der Kanzlerdiktatur und dem Nationalsozialismus in Form einer breiten BürgerInnenbeteiligung zu widmen getrauen, bis zu unserer ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus, die Werner Anzenberger in seiner Rede ebenfalls würdigte. Vielen Dank!

Lokale Gedenkinitiativen realisierten zahlreiche Mahnmäler

Seit dem Erinnerungsjahr 1938/1988 entstanden durch das Zusammenwirken dieses Netzwerkes entlang der Eisenstraße zahlreiche Mahnmäler, Straßenbenennungen, Stolpersteine, multimediale Gedenkprojekte, Ausstellungen, Bildungsveranstaltungen und Publikationen. Die rund 80 erschienenen Gäste bei der Enthüllung der Gedenktafel für Heinrich Konhnhauser seien stellvertretend für das spürbare Interesse an der neuen Erinnerungskultur genannt.

Werner Anzenberger referierte in berührender Weise, wie es zu jenem verhängnisvollen Feuergefecht zwischen den Partisanen der ÖFF (Österreichische Freiheitsfront) und den Nazis beim Winterbunker am Kollmannstock kam. Der Jäger Sonnleitner aus der Seeau bei Eisenerz entdeckte an jenem 1. Dezember 1944 eine frische Spur im Schnee und führte die NS-Verbände direkt zum Partisanenbunker am Kollmannstock. Beim Versuch, der Einkesselung zu entkommen, wurde Sepp Filz schwer verwundet, konnte mit Max Muchitsch jedoch der Gefangennahme entkommen. Heinrich Kohnhauser war infolge einer Schussverletzung jedoch nicht mehr in der Lage den Nazischergen zu entrinnen. Er ergab sich nach kurzer Flucht, legte seine Waffe nieder, und wurde trotzdem von Felix Roithner kaltblütig mit einem Schuss in die Brust ermordet. Roithner wurde 1950 wegen dieses Mordes vom Leobener Kreisgericht zwar in Untersuchungshaft genommen, von den beim Feuergefecht am Kollmannstock beteiligten Nazis schwer belastet, aber in nicht nachvollziehbarer Weise freigesprochen. Kohnhausers Witwe wurde zudem die Opferrente verweigert, auf Grundlage einer Zeugenaussage des Jägers Sonnleitner! Beide Schandurteile verdeutlichen, in welch übler Kontinuität die Nachkriegsjustiz zum NS-Staat in zu vielen Fällen stand. Werner Anzenberger hat vor einigen Jahren den umfänglichen Gerichtsakt aufgefunden, der ein widerliches Sittenbild für den Umgang der Justiz mit dem Widerstand im Bezirk Leoben zutage fördert.

Kinder, Enkelkinder und Urenkerl der Partisanen nahmen an der Gedenkfeier teil!

Der intergenerative Aspekt des „neuen Erinnerns“ zeigte sich an jenem 19. Oktober 2019 in seiner lebendigsten und berührendsten Form: Die Nachfahren Heinrich Kohnhausers – Kinder, Enkel und ein Urenkerl – nahmen an der Gedenkfeier für ihren ermordeten Vorfahren ebenso teil wie Peter Filz, der Sohn des schneidigen Partisanenkämpfers Sepp Filz, der einige Jugenderinnerungen an seinen 1994 verstorbenen Vater erzählte. Heimo Halbrainer hat Sepp Filz mit seiner Diplomarbeit eine lesenswerte Biografie gewidmet. Im Anschluss an Peter Filz Erinnerungen sprach ich ihn auf meine zwei längeren Begegnungen mit Sepp Filz im Jahre 1988 im Rahmen des Projektes „Widerstand und Alltag. Die Eisenstraße im 3. Reich“ an, welches unser VfFZ – Verein Für Friedensarbeit und Zivildienst – damals realisiert hat mit einer Ausstellung, einer Broschüre und einer Veranstaltungsreihe in Trofaiach. Nach einem stundenlangen faszinierenden Interview über den Partisanenkampf ging Sepp Filz mit uns zum Trofaiacher Jägerwirt zum verdienten Abendessen. Urplötzlich zeigte uns der damals bereits 82 Jahre alte Sepp Filz seine körperliche Fitness, indem er ohne Vorwarnung eine rund ein Meter hohe Thujenhecke mit zackigem Anlauf im Hürdenschritt mühelos übersprang. Beim Abendessen erzählt er zudem noch von einer kurz davor erfolgten Durchsteigung der Hochschwab-Südwand mit seinem Neffen. Die Gespräche mit Sepp Filz, Max und Cilli Muchitsch sowie mit Anton Wagner erzeugen bis heute in mir einen unvergessenen Nachhall von Mut, Zivilcourage und Solidarität. Diese Gespräche haben mein demokratie- und menschenrechtspolitisches Verständnis nachhaltig geprägt und sind mir Vorbild. Umso mehr freute es mich, an diesem schönen Herbsttag in Eisenerz den lieben Peter Filz kennengelernt zu haben. Ebenfalls freute es mich, zahlreiche Freundinnen und Freunde der neuen Erinnerungskultur unserer Steiermark in Eisenerz getroffen zu haben, da dieses lose Gedenknetzwerk seit 1988 gemeinsam beigetragen hat, die ausgeblendeten Kapitel der Geschichte des Faschismus in den öffentlichen Raum zurückzuholen. Die Lebendigkeit des von Werner Anzenberger gewürdigten Erinnerungsnetzwerkes war am Fuße der Seemauer spürbar! Das war vor wenigen Jahrzehnten noch keineswegs der Fall: Als wir vom VfFZ 1988 den Partisanenkampf und den Todesmarsch der ungarischen Juden zum Thema unserer Ausstellung machten, stieß dieses Ansinnen in der Politik wie auch in der Bevölkerung auf teils heftige Ablehnung, gewürzt mit unsäglicher Polemik. Ein Leobener Volkskundler etwa schmetterte uns damals mehrfach folgende Auffassung zum Widerstand entgegen: „Wer sich mit Hunden ins Bett legt, darf sich nicht wundern, wenn er mit Flöhen aufwacht!“

  1. Lebensmarsch zum Todesmarschmahnmal 2019 mit sieben Schulen

Bürgermeisterin Holzweber erinnerte in ihrem Statement ergänzend zur Gedenktafel an Heinrich Kohnhauser exemplarisch an das Todesmarschmahnmal auf der Passhöhe des Präbichls, bei dem alljährlich der über 200 ermordeten Jüdinnen und Juden vom 7. April 1945 in Form eines „Lebensmarsches zum Todesmarschmahnmal“ gedacht wird. Dieses Mahnmal wurde von der Stadt Eisenerz in Kooperation mit dem Eisenerzer Personenkomitee und der ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus im Zeitraum 2000 bis 2004 entwickelt. Am 3.7.2019 nahmen rund 150 Jugendliche aus sieben Schulen – darunter u. a. die HLW Weyer mit Adi Brunnthaler und Robert Gradauer – am mittlerweile 13. Lebensmarsch teil. Unter folgendem Link findet sich dazu ein Bericht:

https://www.argejugend.at/2019/07/13-lebensmarsch-am-praebichl-mit-jugendlichen-aus-7-schulen/

Erinnert sei abschließend auch an die Gedenktafel zur Erinnerung an die Opfer des Todesmarsches in Kastenreith bei Weyer, welche am 13.5.2019 vom Verein Friculum öffentlich enthüllt wurde. Unter folgendem Link findet sich ein Bericht darüber:

https://www.argejugend.at/2019/05/zivilcourage-in-einer-zeit-ohne-gnade/

Die Gedenkfeier für Heina Kohnhauser an jenem stimmungsvollen Herbsttag am 19. Oktober 2019 machte jedenfalls spürbar, dass die neue Erinnerungskultur an den Zeitraum 1933 bis 1945 in unserer gesellschaftlichen Mitte angekommen ist und interessierte Bürgerinnen und Bürger aller Generationen in ihren Bann zieht.

Christian Ehetreiber