Politik überholt Satire

Die Demokratie in Österreich bleibt vital! Stärken wir unser Europa am 26. Mai 2019!

Empörende Übertreibung! Unverschämte Beleidigungen gegenüber Österreichs Kanzler, gegenüber dem Medienminister und den österreichischen Bürgern. Ausgerechnet durch einen „durchgeknallten Piefke“! Jan Böhmermanns zunächst grotesk anmutendes Video-Statement zur Verleihung des Romy 2019 löste einen medialen Aufschrei in der Alpenrepublik aus: “Während Sie jetzt gerade die [Romy-]Gala genießen, Sekt trinken, feine Schnittchen essen, und charmant versuchen, Gernot Blümel nicht spüren zu lassen, wie sehr Sie ihn verachten (…) hänge ich gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchenvilla auf Ibiza herum – und verhandle darüber, ob und wie ich die Kronen Zeitung übernehmen kann und die Meinungsmache in Österreich an mich reißen kann.” Aber darüber dürfe er “leider noch nicht reden”, so Böhmermann weiter. “Darum sage ich einfach nur: Danke, Danke, Danke”.

Böhmermann-Zitate aus Kurirer online vom 18.5.2019

Das Ibiza-Video: Offenbarungseid für illiberal-repressive Herrschaftsgelüste

Die Veröffentlichung des Ibiza-Videos mit Vizekanzler Heinz Christian Strache und Klubobmann Johann Gudenus übertraf Böhmermanns Übertreibungsfuror jedoch um die sprichwörtlichen Lichtjahre. Der Vizekanzler doziert im Ferienlook über die geplante Machtübernahme der Kronen Zeitung durch eine vorgeblich russische Oligarchin. Strache kündigt an, im Falle der Regierungsübernahme dem angesehenen österreichischen Unternehmer Peter Haselsteiner bzw. der STRABAG Bauaufträge zu entziehen, diese einer Firma der vermeintlichen Russin zuzuschanzen und hält ein Plädoyer, hohe Wahlspenden für die FPÖ am Rechnungshof vorbei  an einen Verein zu überweisen. Das Ibiza-Video repräsentiert den Offenbarungseid Straches und Gudenus, die Zweite Republik in Form korrupter Machenschaften, intriganter Politik und der Missachtung der Unabhängigkeit der Medien schamlos in eine illiberale Demokratie verwandeln zu wollen.

Soziale Heimatpartei will Österreich an russische Oligarchen verschachern

Die nach FPÖ-Eigendefinition „soziale Heimatpartei der Anständigen“ scheut NICHT davor zurück, einem österreichischen Paradeunternehmen Aufträge zu entziehen und sie dubiosen russischen Unternehmen in den Rachen zu werfen. Versteht die FPÖ den „Unternehmensaustausch“ zwischen einem österreichischen Vorzeigeunternehmen mit einer russischen Mafiafirma unter „Österreich zuerst“? Strache parliert ohne jede Hemmung von der Gleichschaltung der Kronen Zeitung mit den politischen Zielen der FPÖ inklusive Entfernung missliebiger Journalisten im Stil von „zack, zack, zack“. Die freiheitliche Realsatire auf Ibiza ließe sich von Böhmermann, Sterman, Grissemann oder Maschek kaum mehr toppen. Ein scham- und ruchloses Sittenbild, das die Regierungsunfähigkeit der FPÖ in naturalistischer Klarheit zum wiederholten Male ins öffentliche Bewusstsein rückt. Mit Jan Böhmermann kann der politisch wachsame Bürger zur Ibiza-Affäre nur „danke, danke, danke“ zurufen! Wer nach dem Ibiza-Video den kategorialen Unterschied zwischen der blauen Marodeurs- und Desperadotruppe zu den anderen im Parlament vertretenen Parteien nicht erkennen will, der möge sich zumindest in einer Reprise erinnern: 33 Jahre ununterbrochene und widerwärtigste Ausländer-Raus-Wahlkämpfe der FPÖ, FPÖ-Selbstzerstörung in Knittelfeld 2002, Sezession des BZÖ 2005, das von FPÖ bzw. BZÖ zu verantwortende Milliardengrab Hypo-Alpe-Adria, die elendslange Reihe an rechtsextremen Einzelfällen von 1986 bis 2019 und das ungeheuerliche Ibiza-Video. Wer Augen hat zum Sehen, der erkenne!

Das Ibiza-Video mit Strache und Gudenus der Süddeutschen Zeitung

Ein Sieg der Demokratie und der freien Presse

So befremdlich und bestürzend die Ausführungen Straches und Gudenus anmuten, so hilfreich ist das Ibiza-Video mit dessen Konsequenzen, um die Vitalität und Funktionalität der österreichischen Demokratie eindeutig zu belegen. Der Vizekanzler und der Klubobmann der FPÖ mussten unter dem Druck bestens recherchierter Faktizität unverzüglich von ihren Ämtern zurücktreten. Bundeskanzler Sebastian Kurz beendete nach gründlicher Bedenkzeit die Zusammenarbeit mit der FPÖ und kündigte Neuwahlen an. Bundespräsident Alexander van der Bellen sprach von einer „unerhörten Respektlosigkeit Straches“ gegenüber allen BürgerInnen und von einem „verstörenden Sittenbild“.  Tausende BürgerInnen demonstrierten vor dem Kanzleramt für Neuwahlen. Die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel legten mit der Veröffentlichung des Videos Zeugnis ab für den Unterschied zwischen einer liberalen Demokratie mit freien Medien versus einer illiberalen Demokratie nach dem Zuschnitt Straches mit Gleichschaltung freier Medien im Stile von Diktaturen. Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung boten auch ein Glanzstück für die Differenz zwischen qualitätsvoller Recherche der Printmedien versus oberflächlichem Online-Müll sowie zwischen Fake-News und luciden Tatsachen. Kurzum: Das entlarvende Ibiza-Video verdeutlicht, dass die demokratische Grundstruktur – vom Bundespräsidenten, über den Bundeskanzler, den Oppositionsparteien, Sozialpartnern,  Medien und den BürgerInnen unserer Republik – robust und vital genug sind, um den dummdreisten Versuchen der Transformation der Zweiten Republik in eine illiberale Demokratie unverzüglich und erfolgreich einen Riegel vorzuschieben. Die Funktionalität und Vitalität unserer Demokratie sollten wir uns in den kommenden Monaten der Regierungskrise nicht klein reden lassen. Wir Bürgerinnen und Bürger können dem Bundespräsidenten, dem Bundeskanzler, den Präsidenten und Abgeordneten des Nationalrates jedenfalls bei der Bewältigung der Regierungskrise weiterhin vertrauen.

Bitte um Sach- und Programmpolitik statt Phraseologie des Politikmarketings

Trotz des Triumphs der Demokratie sei vor einer Rückkehr der Parteien zu jenen alten Mustern, welche die FPÖ groß gemacht haben, eindringlichst gewarnt. Die BürgerInnen in Österreich wie auch in Europa wollen nämlich Lösungen – nicht nur Losungen – für die großen Fragen unserer Zeit: Forcieren der Anstrengungen für den Klima-, Umwelt-, Tier- und Artenschutz; Schaffung von Rahmenbedingungen für eine innovative, freie und öko-soziale Marktwirtschaft, die zum Wohle aller BürgerInnen Nutzen und Werte generiert; Sicherstellung von Vollbeschäftigung mittels qualitätsvoller Arbeit, von der man menschenwürdig leben kann; wetterfeste soziale Sicherungssysteme gerade in Zeiten eines dynamischen gesellschaftlichen Wandels; Gestaltung der Digitalisierung im Dialog mit allen BürgerInnen für alle BürgerInnen; menschenrechtskonforme Lösung der Migrations- und Integrationsfrage; parteiübergreifende, glaubwürdige und überzeugende Anstrengungen für mehr soziale Gerechtigkeit statt Entfesselung von noch mehr Sozialneid; europaweite kluge Harmonisierung der Steuersysteme und Verbesserung der gelebten Steuermoral. Für die wirkungsvolle Bearbeitung all dieser großen Themen unserer Zeit bedarf es einer visionären, konzept- und programmbasierten Sachpolitik, die mit engagierten und kompetenten Bürgern zu entwickeln ist. Mit wohlfeiler Sonntagsrhetorik, permanentem Schielen auf Umfragen, des Primats von Wording vor Inhalt, Gleichschaltung des Denkens und Sprechens, rasendem Stillstand und jahrzehntelangem Aussitzen ohne Lösungen werden sich die lebensentscheidenden Fragen unserer Zeit nicht lösen lassen.

Respektvoller, sachlicher Kommunikationsstil statt Dirty Campaigning

Die Parteien sollten sich nicht den zuckersüßen Verlockungen des parteipolitischen Hickhacks hingeben, sich nicht neuerlich ins Dirty Campaigning stürzen, sondern mündige WählerInnen mit sachlichen Argumenten zu überzeugen versuchen. Die BürgerInnen sind mehrheitlich nicht mehr bereit, „den Geist, der stets verneint“ zu wählen, sondern sie wollen an tragfähigen Konzepten für die Lösung der drängenden Themen unserer Zukunft mitdenken und mitarbeiten. Die NichtwählerInnen sind bei fast jeder Wahl die stimmenstärkste Gruppe. Ein sachlicher, respektvoller und inhaltlich kantiger Stil der Debatte – unter Auslotung gemeinsamer Konsens wie auch der Dissensfelder mit wechselseitiger Höflichkeit – muss wiederum Einzug halten in Parlamenten und Regierungsstuben. Warum ist ein sachlich-respektvoller Kommunikationsstil aus WählerInnensicht wichtig? Nun, die pharisäerhafte Rhetorik von und für die Hermetik von Echokammern und Message-Control widert mündige BürgerInnen bis zum Überdruss an: das inhaltsleere Reden, ohne etwas zu sagen, das Absondern von Stehsätzen und Phrasen, die monomanischen nichtssagenden Antwortkaskaden auf einfache Ja-Nein-Fragen, die lautstarke moralische Entrüstung über Handlungen des politischen Gegners, die man in den eigenen Reihen ebenfalls begeht, sie jedoch schön redet, das Kritisieren des Splitters im Auge des Mitbewerbers, ohne den Balken im eigenen Auge auch nur ansatzweise zu erkennen: All das gehört zur Rhetorikkiste der systematischen Wählervertreibung, wird jedoch für die Wärme im Bratensaft der eigenen Partei fröhlich zelebriert. Wieviele WählerInnen müssen noch von den Wahlurnen fernbleiben, ehe die Parteien den immensen Schaden von floskelhaft-inhaltsleerem Politikspeech in Verbindung mit Dirty Campaigning ein für allemal zu beenden?

Dirty Campaigning führte immer in den Abgrund

Die verhängnisvolle Einlassung der SPÖ mit Tal Silberstein hat zu deren Wahlverlust 2017 massiv beigetragen. Das Ibiza-Video hat die FPÖ vorzeitig aus der Regierung katapultiert. Das Hickhack der weltfremden Flügel bzw. der Machtkampf der Silberrücken hat die Grünen zerrissen und aus dem Parlament geworfen. Bundeskanzler Kurz und sein Team wie auch die NEOS pflegen hingegen einen von Respekt und von einem sachlichen Ton getragenen Stil der Kommunikation. Als interessierter überparteilicher politischer Bildner und Beobachter kann ich immer nur wiederholen: Die meisten halbwegs vernunftbegabten WählerInnen schätzen und ersehnen einen von Sachlichkeit, Respekt, Konsens- und höflicher Dissensfähigkeit geprägten politischen Disput, selbstverständlich auch gewürzt mit inhaltlicher Schärfe, die aber mit dem rhetorischen Florett, nicht mit dem Vorschlaghammer oder mit dem Dreschflegel ausgetragen wird. Die Zukunft der Demokratie in Österreich wie auch in Europa wird u.a. von einem neuen, respektvollen, rechts- und wertebasierten, Dissens anerkennenden Stil der Kommunikation abhängen. Der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans und der Christdemokrat Manfred Weber dürfen im Wahlkampf zur Europawahl als Vorbilder für diesen dringend notwendigen neuen Stil des politischen Dialoges gelten: eines Dialoges, der die WählerInnen sachlich informiert und begeistert, statt sie von den Wahlkabinen zu vertreiben. In diesem Sinne: Nehmen wir an den Wahlen zum Europaparlament am 26. Mai 2019 teil und informieren uns über die zur Wahl stehenden Programme! https://tvthek.orf.at/…/Politik-live-WAHL19-Das-Du…/14013658

Christian Ehetreiber