Die „Einzelfälle“ der FPÖ als Symptom eines umfassenderen Problems

“Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: ,Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million’.” Diese Zeile aus einem Liederbuch der Burschenschaft „Germania“, deren stellvertretender Vorsitzender Udo Landbauer Spitzenkandidat der niederösterreichischen FPÖ bei der letzten Landtagswahl war, markierte den bisher letzten in einer Reihe von rechtsextremen Skandalen in Zusammenhang mit freiheitlichen Politikern. Wie immer gab es einen Aufschrei der kritischen Öffentlichkeit und wie immer versuchte die FPÖ zunächst zu verharmlosen und sich dann in die Opferecke zu stellen. Von dieser Taktik weichen die Freiheitlichen nur ab, wenn der Skandal zu groß wird. So geschehen beim ehemaligen FPÖ-Abgeordneten Johannes Hübner, der auf einer Versammlung Rechtsextremen den Urheber der österreichischen Verfassung, Hans Kelsen, auf antisemitische Art und Weise diffamierte. Ob Landbauer nun in der Politik bleiben kann oder gar Landesrat wird, hängt also in erster Linie davon ab, wie sehr sich der Skandal ausweitet. Landbauer, der seit 18 Jahren Mitglied der Burschenschaft „Germania“ ist, behauptet nichts vom Inhalt des Liederbuches gewusst zu haben. Sollte ihm nichts anderes nachgewiesen werden können, wird er wohl als aus FPÖ-Sicht weniger schwerer „Einzelfall“ mit keinen Konsequenzen rechnen müssen. Dass rechtsextreme und rassistische Umtriebe in der FPÖ an der Tagesordnung stehen, zeigt ein Blick auf die jüngere Vergangenheit.

 

Lauter “Einzelfälle”

Allein alle „Einzelfälle“ der letzten Jahre aufzuführen würden den Rahmen dieses Blogs sprengen. Von Februar 2013 bis Juli 2017 wurden vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ganze 60 Fälle von rechtsextremen Äußerungen, Aktivitäten und Handlungen von FPÖ-Politikern erfasst. Daher werden an dieser Stelle lediglich die „Einzelfälle“ seit der letzten Nationalratswahl beschrieben.

 

  • Andreas Bors, FPÖ-Politiker aus Niederösterreich gab im November 2017 bekannt auf sein Bundesratsmandat zu verzichten. Zuvor war ein Foto aufgetaucht, das ihn in Hitlergruß-Pose zeigt.

 

  • Am 1. Jänner 2018 wird ein Gemeinderat der FPÖ-Niederösterreich aus der Partei ausgeschlossen, weil er auf Youtube ein Lied einer Rechtsrockband gelikt hat.

 

  • Am 20. Jänner wird bekannt, dass ein FPÖ-Funktionär aus Salzburg mit dem Wunschkennzeichen 88 (Neonazi-Code für Heil Hitler) unterwegs ist. Konsequenzen vonseiten der Landespartei sind bisher noch ausgeblieben.

 

  • Herbert Kickl, Innenminister und FPÖ-Chefstratege sprach am 11. Jänner davon Asylwerber zu „konzentrieren“. Einen Zusammenhang mit Konzentrationslagern stritt er natürlich ab.

 

Anders als von der FPÖ behauptet steckt hinter den „Einzelfällen“ ein grundlegendes Problem für die Republik Österreich. Die FPÖ, seit kurzem Regierungspartei, ist von deutschnationalen Burschenschaftern durchsetzt. Jeder dritte FPÖ-Abgeordnete im Nationalrat ist Mitglied einer Burschenschaft. In den FPÖ-Ministerien ist ein großer Teil der Mitarbeiter in Burschenschaften aktiv. Da die FPÖ nun die Kontrolle über Polizei und Geheimdienste innehat, wirft das weitere Fragen auf. Kann man sich von einer Partei mit so vielen „Einzelfälle“ von Rassismus und Rechtsextremismus eine wirksame Bekämpfung der gewaltbereiten rechten Szene in Österreich erwarten? Nötig wäre eine solche überaus dringend. 2016 erreichte die Zahl der rechtsextremen Tathandlungen mit 1.313 ein Allzeithoch. Gleichzeitig stieg auch die Zahl der wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verurteilten Personen dramatisch an.

 

Die Verantwortung von Regierung, Parteien und Zivilgesellschaft

Nun sind vor allem die ÖVP und Sebastian Kurz gefragt. Dass man Kickl mit Karoline Edtstadler eine Staatssekretärin zur Seite stellte, die am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte tätig war, ist ein verständlicher Schritt. Edtstadler ist auch für die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen verantwortlich. Vielfach wird sie als Aufpasserin für Kickl gesehen. Da dem letzten Innenminister kein Staatssekretär zur Seite gestellt werden musste, scheint dies eine schlüssige Annahme zu sein. Weniger Weise als die Einsetzung Edtstadlers war die jüngste Äußerung von Bundeskanzler Kurz der das Strafrecht als seine „rote Linie“ bei FPÖ-Skandalen definierte. Weder die Verstrickungen von Landbauer, noch die Äußerungen Kickls und auch nicht das Foto von Bors mit Hitlergruß erfüllen diese Definition. Außerdem muss man sich von einer Regierungspartei und einer Wertegemeinschaft mehr erwarten können als, dass sie bloß das Strafgesetzbuch, welches lediglich die eindeutigsten rassistischen, antisemitischen und nationalsozialistischen Äußerungen und Handlungen ahndet, als Grenzlinie zum Rechtsextremismus sieht. Im Sinne eines aufgeklärten und humanistischen Österreichs, in dem Demokratie und Menschenrechte oberste Priorität genießen, sind in Zukunft klarere Worte und Taten des Bundeskanzlers notwendig.Die angedachte Auflösung der Burschenschaft „Germania“ ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Ob man sich in den kommenden Jahren bei der Verhinderung oder Verurteilung rechtsextremer Umtriebe in der FPÖ auf die ÖVP oder die Oppositionsparteien verlassen kann, ist unklar. Daher ist es umso wichtiger, dass die Zivilgesellschaft wachsam bleibt. Unsere liberale Demokratie, der damit verbundene Rechtsstaat und die unveräußerlichen Menschenrechte sind ein zu wertvolles Gut, als dass man es durch Unachtsamkeit verlieren darf. In diesem Sinne ist es heute mehr denn je notwendig, dass sich die große Masse der demokratisch gesinnten Bürger Österreichs in aller Deutlichkeit gegen antidemokratische, rassistische und antisemitische Tendenzen stellt.

 

Martin Amschl