„Der Weg ist das Spiel“

Die Veränderung der Spielkultur in der modernen Gesellschaft

Die Entwicklung der modernen Gesellschaft hat eine implizite Veränderung der Spielkultur mit sich gebracht.

Kinder, die ihre Freizeit draußen, im Freien verbringen – fernab aller Erwachsener, die in der Früh außer Haus gehen, sich mit FreundInnen treffen und am Abend zuweilen schmutzverschmiert, manchmal mit Schürfwunden nach Hause kommen, gehören der Vergangenheit an.

Gründe dafür sind zahlreich und vielfältig:

  • Zum einen ist der gesamtgesellschaftliche Stress in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen.
  • Damit in Zusammenhang sind selbstbestimmte, ungeplante Freizeitmöglichkeiten rar geworden. Der Alltag der Kinder ist durch wohlmeinende Angebote verplant: Musikunterricht, Sportangebot, soziale Aktivitäten, sogar Chinesischunterricht erhöht die späteren Jobchancen in der Wirtschaft, …

 

„Dabei ist das Spiel die Königsdisziplin des Lernens“

betont Ernst Muhr, Geschäftsführer vom Verein Fratz Graz, Initiative für Kinder- und Jugendfreiräume. Das freie Spiel, die freie Bewegung in der Natur schafft Verknüpfungen im Gehirn, die ohne diese Betätigung nicht zustande kommen würden.

  • Ein Grund und eine Auswirkung dieser vielen Angebote sind sogenannte „Helikoptereltern“, die eine Rund-um-die Uhr Überwachung ihrer Kinder betreiben. Sie können sich eine Situation nicht vorstellen und zutrauen, in der sich Kinder über viele Stunden oder sogar Tage hinweg unbeaufsichtigt und außerhalb der Überwachung von Ihnen oder einer pädagogisch ausgebildeten Person bewegen.
  • Ein weiterer Grund für den Wegfall der freien und unbeaufsichtigten Spielkultur ist die elektronische Entwicklung und der Umstand, dass auch schon die meisten Kinder im Grundschulbereich Mobiltelefone besitzen. Die Kinder assoziieren mit dem Wort Spiel ein Computerspiel und mit Freundschaft eine Verbindung in den sozialen Medien.
  • Dazu kommt eine Stadtplanung, die wirtschaftliche, autoverkehrstechnische und andere Aspekte in den Fokus ihrer Überlegungen rückt. Räume für das Zusammenkommen, für das Miteinander von Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen gibt es wenige. Dazu gehören auch verkehrssichere Wege zum Erreichen dieser Gemeinschaftsflächen, Spiel- und Lebensräume. Wenn sie nur per Auto erreichbar sind, sind diese Räume wertlos.

„Dabei sind keine Spielplätze gemeint oder vordefinierte, normierte Räume für Kinder, sondern Freiräume, Spielräume, Erlebnisräume…“ Ernst Muhr möchte aber betonen, dass klassische Kinderspielplätze nicht wertlos sind, weil sie auf die Notwendigkeit eines Raumes für Kinder in einem urbanen System hinweisen, aber dass sie nicht wirklich dem Bedürfnis nach freiem Spiel der Kinder gerecht werden.

Ernst Muhr, Geschäftsführer von Fratz Graz

 

Kinder als ExpertInnen

Für Ernst Muhr ist wesentlich, dass man solche Spielräume gemeinsam mit der Zielgruppe plant um zu erfahren welche Bedürfnisse der Kinder es wirklich gibt. Sie sind die ExpertInnen in Ihren Lebenswelten und in der Regel wesentlich fantasievoller als Erwachsene. Dabei spricht Muhr von seiner Erfahrung, dass planende Kinder für Kinder anderer Altersgruppen oder Jugendliche und Erwachsene mitdenken: Sie schlagen Plätze zum „Chillen“, für Ballspiele, für Fitnessgeräte vor, Hügel, Sand und Wasser zum Matschen, Bäume und verschiedene Bepflanzungsmöglichkeiten zum Naschen und Verstecken und für die älteren Jugendlichen Räume für Freerunner, Skater oder zum Klettern. Dabei machen sie auf die manchmal unterschiedlichen Bedürfnisse von Mädchen und Buben aufmerksam.
Auch bedenken sie praktische oder funktionale Infrastruktur, wie Wickelplätze oder Plätze zur Mülltrennung.

Wenn man mit Kindern als ExpertInnen Spielräume ausarbeitet, kommt sehr selten die Idee von Spielgeräten wie sie auf einem klassischen Spielplatz zu finden sind. Der einzige Wunsch, der immer wieder geäußert wird ist der Wunsch nach einer hohen Schaukel zum Schwingen.

Fratz Graz begleitet auch Schulen bei der Gestaltung von Pausenräumen im urbanen Bereich. Da hier der Platz oft begrenzt ist, wurde die Idee des „Fliegenden Pausenhofs“ umgesetzt, wo Schulen in ihren Pausen kleine Bereiche des öffentlichen Raums temporär absperren und für altersadäquate Spielmöglichkeiten bereitstellen.

Wichtig wäre, dass die Kommunalpolitik partizipatorisch leicht zu erreichende Plätze im öffentlichen Raum so attraktiv gestaltet, dass Kinder und damit auch Menschen aller Altersgruppen sich dort gerne treffen, frei spielen und sich aufhalten können.