„Da Hofa wor´s, der Sündenbock…

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… da Hofa, den wos kana mog!“ So brachte Wolfgang Ambros bereits im Jahr 1972 die Produktion von Sündenböcken inklusive eines gewaltbereiten Mobs, der den Sündenbock lynchen will, auf den Punkt. Die Hausmeisterin klärt den an Hofers Tür pochenden Mob jedoch auf: Sündenbock Hofer könne nicht der Täter sein, da er kurz zuvor das Opfer des ihm zur Last gelegten Mordes geworden war. Eine einprägsame Parabel der Entzauberung von rabiaten Vorurteilen gegenüber Außenseitern.

Wolfgang Ambros, da Hofa

Die Hofers aus dem Zwanzger-Haus (Ambros) waren das Thema der dritten Veranstaltung der Reihe „Reformpolitik der 1970er Jahre“. Diese sogenannten „missliebigen Personen“, die in irgendeiner Weise anders sind als der Mainstream, ziehen eine jahrhundertealte, gut lesbare Spur durch unsere Geschichte. Der Umgang mit diesen „missliebigen Personen“ entscheidet über die Lebensqualität, die Gesundheit, den Zusammenhalt und den Frieden unserer Gesellschaft. Obwohl die Spur von Sündenböcken leicht lesbar ist, fehlt es in unserer modernen Gesellschaft leider an ausreichend vielen und an gut geschulten FährtenleserInnen, welche die multifunktionale Grundstruktur der Sündenbockproduktion durchschauen, diese aus dem sozio-politischen Alltag ein für allemal verbannen und auf einen anderen Modus vivendi mit diesen Personengruppen setzen.

Woodstock: ein vorbildlicher Event für unseren Polizeidirektor

Polizeidirektor HR Mag. Josef Klamminger startete sein Referat mit dem Bekenntnis, dass das Musikfestival Woodstock sein „Vorbild“ für ein friedliches Zelebrieren von mehreren Tagen mit „Love, Peace and Music“ sei, wie damals die Parole der Blumenkinder hieß. Zum Thema „Betteln in Graz“ beeindruckte er mit seinem klaren Statement: „Ich bin ein Verfechter des Servicecenters in Graz“. Gemeint ist damit das – von einer interinstitutionellen ExpertInnengruppe 2015 im Auftrag von BGM Mag. Siegfried Nagl und des Grazer Menschenrechtsbeirates – entwickelte Konzept für ein Informations-, Beratungs- und Servicecenters für bettelnde Menschen und für Grazer BürgerInnen, um neue Wege für einen menschenrechtskonformen Umgang mit Bettelnden zu beschreiten. Dieses „Center“ wurde vor einem Jahr mit äußerst positiver medialer Resonanz von Bürgermeister Nagl und dem Grazer Menschenrechtsbeirat (Elke Lujansky-Lammer und Christian Ehetreiber) öffentlich präsentiert, stockt aktuell jedoch leider in der Umsetzung.

Strategiepapier des Grazer MRB: Neue Lösungswege zum Thema Betteln in Graz

Kommentare der ARGE Jugend zum Thema “Betteln”

Die Polizei, so Klamminger, setze sich dafür ein, dass „alle Menschen ohne Angst den öffentlichen Raum nutzen können“. Zum Thema Betteln erläuterte der Polizeidirektor, dass aggressives Betteln, Kinderbettelei, gewerbsmäßiges Betteln, das früher sogenannte „Hausieren“ und das organisierte Betteln – v.a. in dessen Konnex mit Menschenhandel – gesetzlich verboten sind. Bloßes „Bitten um milde Gaben“ ist indes seit dem VfGH-Erkenntnis vom Dezember 2012 bundesweit erlaubt. Die Vinzenzgemeinschaft verteidigte dieses Recht des „stillen Bettelns“ gegen das im steirischen Landessicherheitsgesetz vorgesehene Bettelverbot mit dem Gang zum Verfassungsgerichtshof, womit Betteln österreichweit gestattet ist. Doch nichtsdestotrotz werde – so einige unserer Gäste – in vielen Städten bzw. Ländern wie Salzburg, Vorarlberg oder Wien das VfGH-Erkenntnis rechtswidrig ausgehebelt. Auch in der Steiermark ist aktuell ein neuerlicher Anlauf zur Verschärfung des Landessicherheitsgesetzes gegen bettelnde Menschen in Begutachtung.

Klamminger berichtete weiters von einigen sehr gewalttätigen Asylwerbergruppen, die in größerer Anzahl schon Massenschlägereien vom Zaun gebrochen haben. Für solche Fälle eskalativer Gewalt sei eine „stehende Eingreiftruppe der Polizei“ von rund 20 bis 30 Polizeibeamten vorgesehen, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Klamminger verwahrte sich strikt gegen „Bürgerwehren jeder Art“, da die Polizei „die Hüterin der Menschenrechte sei“, unterstützt von der Ordnungswache, die dem Magistrat Graz unterstehe. Sein Sicherheitskonzept sehe zukünftig die noch bessere Zusammenarbeit zwischen Polizei und NGO´s vor, zwischen Polizeiarbeit auf der einen, Jugend- und Sozialarbeit in all ihren Formen auf der anderen Seite.

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Strafgesetzbuch ist ausreichend für das Zusammenleben

Rechtsanwalt Mag. Ronald Frühwirth erwiderte, dass das Strafgesetzbuch völlig ausreiche, um das Zusammenleben von Menschen gut zu regeln. Alle anderen Versuche, das Zusammenleben gesetzlich regeln zu wollen, seien einer „übertriebenen Ordnungswut geschuldet“. Eine offene demokratische Gesellschaft müsse lernen, mit Punks oder mit bettelnden Menschen zusammen in einer Stadt zu leben. Alle politisch-rechtlichen Versuche, sogenannte Randgruppen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen, seien allesamt gescheitert, von Buchsbäumen am Hauptplatz bis zur Beschallung des billa-Ecks in Graz mit Vivaldi-Musik. Frühwirth widersprach auch Klammingers These, wonach es organisierten Menschenhandel via Betteln gebe: „Es gibt keinen Beleg für organisiertes Betteln im Sinne von Menschenhandel.“ „Bettelnde verhalten sich in aller Regel demütig und brav“, so Frühwirth. Betteln erfordere hohen Mut in Anbetracht von Anpöbelungen und Attacken seitens einiger bettlerfeindlicher BürgerInnen. Ebenso wie der Sozialhistoriker Joachim Hainzl ortet auch Frühwirth eine aktuell steigende Tendenz, in die Gesetze wieder verstärkt moralisierende, ideologisch aufgeladene und von der Mehrheitsgesellschaft durchgesetzte Imperative einzuarbeiten mit dem Ziel, als missliebig entworfene Personengruppen in ihren Rechten einzuschränken, was sich u.a. in der Verdrängung aus dem öffentlichen Raum zeigt.

Punks sind keine homogene Gruppe

Alex Mikusch wies in seiner Replik auf Klamminger darauf hin, dass Punks „keine homogene Gruppe“ seien, wie auch der Begriff „Jugend“ ob seiner Vielschichtigkeit ein irreführender Singular sei. Der einst gut gemeinte Versuch, „den Punks ein Haus zu geben“, könne wegen der Heterogenität der Punk-Szene eben nicht funktionieren. Mikusch wies weiters darauf hin, dass die vielen Sicherheitsdienste dazu geführt haben, dass „die BürgerInnen immer weniger miteinander aushandeln“, sondern dass für jeden Konflikt gleich die Polizei gerufen werde, statt eigene Lösungsversuche im Dialog zu erproben.

Metamorphose des Reformbegriffes

Claudia Klimt-Weithaler fokussierte in ihrem Statement den Bedeutungswandel des Reformbegriffes seit den 1970er Jahren. Eine weltweite neoliberale Wende habe sozialstaatliche Errungenschaften massiv unter Druck gebracht, sodass Arbeit, Wohnen oder Gesundheit für viele Menschen kaum leistbar sind, wie sie aus ihrer politischen Arbeit mit benachteiligten Personengruppen zu erzählen wusste.

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Thomas Rajakovics und Joachim Hainzl im Bann des Vortrages

 

STGB allein führt zum „Recht des Stärkeren“

Gemeinderat Thomas Rajakovics skizzierte in seinem Statement das Grundgerüst der Sozialpolitik der ÖVP: Die christliche Soziallehre, die empathische Solidarität, die Subsidiarität und die Sicherheit, wonach jeder Mensch mit Talenten geboren sei, bilden Rajakovics zufolge die Säulen des Zusammenlebens in der Gesellschaft. Ein bedingungsloses Grundeinkommen sei vor diesem Hintergrund kein erstrebenswertes politisches Ziel, so Rajakovics, sondern es sei mit einer Grundsicherung immer auch ein Recht auf Arbeit mit einer Grundverpflichtung zu verknüpfen. Die 1970er Jahre bezeichnete Rajakovics als „Beginn der Verstaatlichung des zivilgesellschaftlichen Engagements“ unter dem Motto: „Der Staat richtet alles für uns.“ Dies sei freilich ein Holzweg, so Rajakovics, der auch Frühwirths These, wonach das Strafgesetzbuch allein zur Regelung des Zusammenlebens ausreiche, energisch widersprach. In der sozialen Realität sei die Reduktion auf das STGB schlicht die Einsetzung des „Recht des Stärkeren“, weshalb es ergänzend ordnungspolitische Instrumente gerade im öffentlichen Raum brauche, um z.B. die Nutzung der Grazer Parks für Kinder oder SeniorInnen gegenüber machtvoll auftretenden Gruppen zu gewährleisten. In Übereinstimmung mit Klamminger betonte auch Rajakovics, dass der öffentliche Raum allen BürgerInnen gehöre, dass die Freiheit des einen aber dort aufhöre, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt werde. Wie Alex Mikusch ortete auch Rajakovics im Schwund von Zivilcourage einen Grund, warum es u.a. die Ordnungswache und den lauten Ruf nach mehr Polizei seitens der BürgerInnen gebe. Bei der Gruppe der bettelnden Roma in Graz irritiert ihn insbesondere die Gleichgültigkeit, mit der die Schulpflicht der Kinder von deren Eltern ignoriert werde. Auf diese Weise entstehe eine „Armut ohne Bildungsabschlüsse“, was politisch inakzeptabel sei. Das von Ehetreiber, Klamminger und anderen ExpertInnen geforderte „Informations-, Beratungs- und Servicecenters für bettelnde Menschen und für Grazer BürgerInnen“ macht Rajakovics von einer verpflichtenden Registrierung der bettelnden Menschen abhängig, was – so Ehetreiber in seiner Rolle als Koordinator der ExpertInnengruppe – so nie junktimiert gewesen ist. Hier ist seitens des Menschenrechtsbeirates noch ein weiteres Gespräch mit BGM Nagl über die versprochene Umsetzung des „Centers“ notwendig.

Vinziwerke: eine „Tankstelle gelebter Nächstenliebe“

Nora Musenbichler, Koordinatorin der österreichischen Vinziwerke, führte aus, dass sie im Statement Rajakovics „fast alles mit Gefällt mir“ markieren möchte, bis auf die geforderte Registrierungspflicht für bettelnde Menschen. Die Vinziwerke seien ein „Auffangbecken für „missliebige Menschen“, die dort Nahrung, Bekleidung, Obdach und sozialen Anschluss finden und als Menschen willkommen sind. Musenbichler verwies auf Udo Jürgens Hit „Ein ehrenwertes Haus“, in dem eine spießbürgerliche Hausgemeinschaft gegen ein Paar vorging, das in damals sogenannter wilder Ehe ohne Trauschein lebte. Benehmen sich manche GrazerInnen mitunter nicht auch wie die Spießergilde in Udo Jürgens´ „ehrenwertem Haus“?

Udo Jürgens, Ein ehrenwertes Haus

Bei der öffentlichen Debatte über „Betteln in Graz“ habe sich in den Strukturen der Argumentation seit den 1990er Jahren wenig geändert. Bettelnde werden in der öffentlichen Meinung als Problem wahrgenommen, doch – so Musenbichler – das eigentliche Problem seien Menschen, die mit Armen bzw. mit Armut ein Problem haben. Sie erachtet wie Klamminger und Ehetreiber das „Informations-, Beratungs- und Servicecenters für bettelnde Menschen“ als zukunftsweisenden und lösungsbezogenen Ansatz, wo sich GrazerInnen und bettelnde Roma auf Augenhöhe begegnen, ins Gespräch kommen können, wo Vorurteile reduziert sowie Kooperationen und Hilfestellung optimiert werden können. Doch solche Begegnungen und Dialoge können nur auf freiwilliger Basis entstehen, nicht durch eine Verpflichtung, sich registrieren zu lassen. Das arbeitsmarktpolitische Gemeinschaftsprojekt Zorrom erfülle bereits jetzt einen Teil der geplanten Funktionen des Centers.

Projekt Zorrom der Caritas und der Vinzenzgemeinschaft

Mediensammlung belegt Kontinuitäten in der Produktion von Sündenböcken!

Joachim Hainzls mitgebrachte umfängliche Sammlung an Zeitungsbeiträgen zum Thema „missliebige Personen im öffentlichen Raum“ untermauerte Musenbichlers These eindrucksvoll, dass die Argumentationsmuster seit Jahrzehnten sehr ähnlich sind. Stets gehe es um Stigmatisierung, Marginalisierung, Sündenbockkonstruktion und Vertreibung von missliebigen Personen, um die Interessen der Mehrheitsgesellschaft und der Machteliten durchzusetzen.

Stadt Graz: Info-, Beratungs- und Begegnungscenter rasch realisieren!

In der abschließenden Diskussion appellierten einige Gäste wie auch Moderator Ehetreiber an Rajakovics, das geplante Center wie geplant umzusetzen, und zwar ohne Beharrung auf der rechtlich äußerst fragilen Verpflichtung einer Registrierung. Die NGO´s – so Ehetreiber – haben sich deutlich auf einen tragfähigen Kompromiss mit der Stadtregierung zubewegt, fast alle Punkte im Strategiepapier für das Center seien einstimmig in der überparteilichen ExpertInnengruppe vereinbart worden. Bürgermeister Nagl ist vor diesem positiven Hintergrund bestens beraten, wenn auch er im Geiste eines guten Kompromisses sein Beharren auf der verpflichtenden Registrierung relativiert. Es gelte nun, die Realisierung des „Centers“ und aller empfohlenen Begleitmaßnahmen (z.B. Infomaterialien; Welcome-Kultur, BürgerInnensprechstunden, Hilfsaktionen und Jugendarbeit im Center) zügig umzusetzen, um mit diesem Center ein österreichweites Zeichen für einen anderen, menschenrechtskonformen Umgang mit dem Thema „Betteln“ zu setzen, wo im zitierten Geiste der „christlichen Soziallehre“ Solidarität gelebt wird. Der Ehrenvorsitzende der ARGE Jugend, Peter Scheibengraf, brachte es auf den Punkt: „Das Center sollte so ein attraktives Angebot haben, dass bettelnde Menschen wie auch GrazerInnen gerne dort hingehen und ins Gespräch kommen.“

Christian Ehetreiber

Nächste Veranstaltung der Reihe „Reformpolitik der 1970er Jahre“

Reformgeist als Freigeist. Die Straffreistellung der Homosexualität (4. Teil der Reihe)

ReferentInnen: Hans-Peter Weingand (Historiker und LGBT-Aktivist Graz) und Mag. Martina Weixler (Vorsitzende der RosaLilaPantherInnen Graz)

Moderation: Mag. Joachim Hainzl (Verein XENOS)

Termin: Do., 2.6.2016, 15.00 Uhr – 19.00 Uhr

Ort: Karmeliterhof, Multifunktionssaal im 1. Stock, Karmeliterplatz 2, 8010 Graz