Selbstverständlich dürfen wir uns nach den Wiener Landtagswahlen parteiübergreifend freuen, dass Bürgermeister und Landeshauptmann Dr. Michael Häupl die „Oktoberrevolution“ H.C. Straches abwehren konnte. Ebenso dürfen wir uns parteiübergreifend freuen, dass in Oberösterreich LH Josef Pühringer und in der Steiermark LH Hermann Schützenhöfer und LH-Stv. Michael Schickhofer den Ansturm der blauen Plakatreimschmiede mit schwersten Stimmenverlusten gerade noch parieren konnten. Zum Sündenfall geriet freilich das Burgenland, wo LH Hans Niessl ohne machtpolitische Notwendigkeit die blaue Büchse der Pandora öffnete und mit der FPÖ eine „Blaue-Zweigelt-Koalition“ kelterte, deren Performance dem schönen Burgenland massiven Schaden zufügen wird: Hypo-Alpe-Adria reloaded gewissermaßen, wiederum zu verantworten vom „Wähler, der sich nie irrt“, der dann aber über das von ihm Angerichtete sudert, raunzt und lamentiert, als hätte das Desaster mit seiner Stimmabgabe rein gar nichts zu tun. Selbst kluge Freunde repetieren gebetsmühlenartig die frivole These, wonach der Wähler sich nie irre, als verfügte dieser über ein höheres Maß an Unfehlbarkeit als der Heilige Vater Franziskus im Vatikan.
Wähler, die sich nie irren?
Selbstverständlich irren sich Wähler wie auch Politiker und deren oft „spinnerte Spindoktoren“ auf dem von Illusionierungen, von Lug und Trug durchwobenen „Jahrmarkt der Eitelkeiten“ namens Politik naturgemäß fortwährend, wenn auch seltener als angenommen. Die Irrtümer bei Wählern, Politikern wie auch bei anderen Milieus entstehen immer dann, wenn Bauernschläue und Hemdsärmeligkeit mit selbstreflexiver politischer Vernunft verwechselt wird. Der Hype des europaweit im Steigflug befindlichen links-rechten Radikalpopulismus, der die vernunftgeleitete Programmatik der Parteien in die Knie zwingt, findet zwei Verbündete in den Großmeistern für angewandte Illusionierung und Meinungsmanipulation: in boulevardesken Medien und in willfähriger Meinungsforschung. Boulevardmedien und Meinungsforschung haben es geschafft, mit substanzlosem Illusionstheater die Politik so vor sich herzutreiben, dass diese das Geschwätz der Kolumnisten und die Pseudoanalysen der Meinungsforscher mittlerweile als Wirklichkeit missverstehen. Der Slogan „Aufklärung als Massenbetrug“ – so Max Horkheimer und Theodor W. Adorno im Untertitel ihres erhellenden Textes zur „Kulturindustrie“ – bringt die Münchhauseniaden in der Realsatire der Politik- und Medienbühne auf den Punkt.
Politik als „Des Kaisers neue Kleider“?
Doch wie bei allen Illusionierungen hält die aufwändig inszenierte Wirklichkeitsverhüllung der harten Wirklichkeit nie stand. Diese Erkenntnis verbindet Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ mit Seifenblasen, mit dem Kleingedruckten in Versicherungsverträgen wie auch mit den gefälschten Abgaswerten des VW-Konzerns, die allesamt Zeugnis ablegen für die stille Präsenz von Aufklärungsvernunft im schrillen Verblendungstheater von Medien und Politik. Die in Gauner- und Schurkensprache verfassten falschen Stehsätze in Medien, Politik und Meinungsforschung zerschellen an der Wirklichkeit wie die Verlockungen und Verheißungen der Werbung, wenn statt des neuen Lebensgefühls plötzlich der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, um den Wohntraum und den Luxusschlitten zu pfänden. Das Zerschellen von illusionärem Schein an harter Wirklichkeit repräsentiert in höchster Tröstlichkeit den unaufhaltbaren Triumph der Aufklärungsvernunft über alle Täuschungs- und Manipulationsmanöver.
Links
Zu den Wiener Wahlen:
http://orf.at/stories/2303930/2303931/
http://orf.at/wahl/wien15/#ergebnisse/90000
http://orf.at/wahl/wien15/#projection
http://www.nzz.ch/meinung/fluechtlinge-sind-nur-ein-symptom-1.18628772
http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-10/landtagswahl-wien-oesterreich-spoe-fpoe-haeupl