Menschenrechtliches Memorandum zur geplanten Novelle des Steiermärkischen Landes-Sicherheitsgesetzes

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann Voves!
Sehr geehrter Herr 1. Landeshauptmann-Stellvertreter Schützenhöfer!
Sehr geehrter Herr 2. Landeshauptmann-Stellvertreter Schrittwieser!
Sehr geehrte Mitglieder der Steiermärkischen Landesregierung!
Sehr geehrte Präsidialkonferenz des Steiermärkischen Landtags!
Sehr geehrte Abgeordnete des Steiermärkischen Landtags!

Gestatten Sie uns bitte, zu dem mit Datum vom 29.12.2010 von der ÖVP-Fraktion eingebrachten selbstständigen Antrag betreffend „Novelle des Steiermärkischen Landes-Sicherheitsgesetzes“ in Form eines menschenrechtlichen Memorandums Stellung zu beziehen.

Die geplante Novelle des Landes-Sicherheitsgesetzes zielt resümierend betrachtet darauf ab, Betteln als „Verwaltungsübertretung“ zu betrachten und somit mit einer Strafe zu belegen. Wir anerkennen vorweg die in diesem Antrag unternommene differenzierte Argumentation zum Thema „Armut und Betteln“, die sich im Kern der grund- und menschenrechtlichen Problematik eines Bettelverbotes bewusst ist und auch auf die zahlreichen sozialen Hilfs- und Unterstützungsangebote für arme und bettelnde Menschen zu Recht hinweist. Das Land Steiermark, die Stadt Graz und die öffentlichen und privaten Sozialeinrichtungen der Steiermark können stolz darauf sein, Armut und prekäre Lebensverhältnisse nicht einfach hinzunehmen, sondern eine breite Palette an Maßnahmen der Armutsbekämpfung zur Verfügung zu stellen.

Erlauben Sie uns jedoch, aus menschenrechtlicher Perspektive dennoch unseren Widerspruch zur geplanten Novelle des Landes-Sicherheitsgesetzes in Form eines Memorandums vorzubringen:

Betteln ist kein deviantes Verhalten

Vorweg ist festzuhalten, dass Armut und Betteln in der Sozialgeschichte Europas kein Ausnahmefall sind, sondern unsere Geschichte leider (!) ständig begleitet haben. Vor diesem Hintergrund ist Betteln aus menschenrechtlicher und zeitgeschichtlicher Perspektive grundsätzlich kein deviantes oder pathologisches Verhalten, sondern eine legitime Handlung, um die jeweiligen existentiellen Grundbedürfnisse befriedigen zu können, falls andere Möglichkeiten der Existenzsicherung nicht gangbar sind. Wir stimmen mit dem Antrag dahingehend überein, dass es auch heute vielfältige Motive und Gründe dafür gibt, warum Menschen betteln und dass die Zielsetzung jeder Sozialpolitik darin zu gründen hat, für alle Menschen eine ausreichende materielle Grundlage für ein Leben in Menschenwürde zu schaffen.

Armut bekämpfen, nicht die Armen!

Pointiert formuliert geht es also darum, die Armut, die Arbeitslosigkeit und die Prekarität nachhaltig zu bekämpfen und nicht die Armen, die Arbeitslosen und die Prekarisierten. In Parenthese sei auch der Hinweis gestattet, dass das Christentum, der Islam und das Judentum in ihrer moralphilosophischen Substanz die Solidarität und die Nächstenliebe mit den Armen im Pflichtenkatalog der Gläubigen mehrfach und explizit festschreibt. Ungeachtet der jeweiligen moralphilosophischen Wurzeln sei daher festgehalten, dass die Linderung und Überwindung von Armut, Not und Elend im Brennpunkt aller Bemühungen zu stehen haben und nicht die Bekämpfung jener Menschen, die nicht auf die sprichwörtliche „Butterseite des Lebens“ gefallen sind.

Betteln als medial inszeniertes Thema für Sündenbockproduktion

Das Thema „Betteln“ ist unserer langjährigen Einschätzung zufolge ein vom Boulevard und von rechtspopulistischen Akteuren medial inszeniertes, aufgebauschtes und kampagnisiertes Thema, welches über die Jahre hinweg zum „Problem“ verdichtet worden ist, mit dem die steirische Bevölkerung unentwegt und in propagandistisch aufgeladener Form konfrontiert wird. Betteln ist daher kein „tatsächliches Problem“, sondern ein durch manipulative Medien- und Öffentlichkeitsarbeit künstlich erzeugtes Problem in der Arena einer aufgeladenen und polarisiert geführten öffentlichen Debatte über Armut. BettlerInnen erfüllen im Rahmen dieser medialen Inszenierung nolens volens die undankbare Rolle von Sündenböcken und von sozialpolitischen Projektionsflächen. Denn selbst, wenn es gelänge, durch das novellierte Landes-Sicherheitsgesetz alle bettelnden Menschen aus der Steiermark zu verbannen, so wäre damit kein einziges relevantes politisches Problem unseres Landes gelöst, sondern ein neues gravierendes Problem geschaffen bzw. verstärkt: die schleichende Erosion von Nächstenliebe und Solidarität, die es in Anbetracht zunehmender sozialer Kälte in vielen Bereichten zu stärken gilt.

Bettler haben Probleme und sind nicht selbst Probleme

Wir verwehren uns aus Gründen der Menschenrechte und der Menschenwürde ganz entschieden dagegen, dass in der öffentlichen Debatte zum Thema Armut, BettlerInnen unentwegt als Problem oder Problematik etikettiert werden. Arme Menschen können nämlich nur Probleme haben und nicht Problem sein. Wir erwarten uns daher von den VerantwortungsträgerInnen in Politik, Verwaltung, Medien, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, dass der zitierten „öffentlichen Mobilmachung gegen BettlerInnen“ nicht mittels Verschärfung des Landessicherheitsgesetzes zu begegnen ist, sondern dass es zuallererst darum geht, die polarisierte öffentliche Debatte zu deeskalieren und nach menschenrechtlichen Antworten zu einer verbesserten Armutsbekämpfung, welche die Würde der BettlerInnen achtet, zu suchen.

Bettler sind kein Sicherheitsrisiko

Immer wieder medial lautstark erhobene Behauptungen, wonach bettelnde Menschen in Graz wie auch in steirischen Städten Teil einer kriminell organisierten Gruppe seien bzw. dass BettlerInnen die öffentliche Sicherheit gefährden, sind nach bisherigem Ermittlungsstand der Exekutive trotz oftmaliger Überprüfung nicht gegeben. In diesem Kontext wurden die beiden für die öffentliche Sicherheit Verantwortlichen, Stadtpolizeikommandant Kemeter und Sicherheitsdirektor Klamminger, vom Grazer Menschenrechtsbeirat für die klaren sicherheitspolitischen Aussagen, wonach BettlerInnen kein Sicherheitsrisiko darstellen, im Menschenrechtsbericht 2010 explizit gelobt. Die fachkundige Einschätzung zum Thema Betteln seitens der Exekutive sollte mehr Gewicht für die politische Entscheidung haben, als die unentwegte und durch nichts belegte Behauptung, BettlerInnen gefährden die öffentliche Sicherheit.

Novelle des Landes-Sicherheitsgesetzes ramponiert internationales Image der Menschenrechtsstadt Graz

Die Landeshauptstadt Graz ist Menschenrechtsstadt und Kulturhauptstadt. Unter dem Aspekt einer „gelebten Kultur der Menschenrechte“, die im ÖVP-Antrag ja zu Recht in wesentlichen Eckpfeilern beschrieben wird, mutet es höchst befremdlich an, wenn eine Menschenrechtsstadt Graz und eine Menschenrechtsregion Steiermark gegen die bettelnden Menschen mit völlig unverhältnismäßigen Mitteln gesetzlich vorgeht, statt menschenrechtlich überzeugende Lösungen zu entwickeln und um deren Akzeptanz bei der Bevölkerung mit aufrechtem Gang zu werben, ungeachtet des beständigen medialen Gegenwindes. Die geplante Verschärfung des Landes-Sicherheitsgesetzes repräsentiert daher einen massiven Leitbildverstoß der Stadt Graz als Menschenrechtsstadt und Landeshauptstadt mit unabschätzbaren Folgen für das internationale Image unseres Landes.

Bitte um Konsultation des Grazer Menschenrechtsbeirates

Wir verweisen abschließend auf die soeben ins Leben gerufene Arbeitsgruppe des Grazer Menschenrechtsbeirates zum Thema „Betteln“ und ersuchen Sie, mit dem Vorsitzenden des Grazer Menschenrechtsbeirates, Herrn Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Benedek bzw. der Arbeitsgruppe vor Beschlussfassung der Novelle im Landtag Kontakt aufzunehmen und sich in dieser Sache beraten zu lassen.

Abstimmung im Landtag ohne Fraktionszwang auf Grundlage des persönlichen Gewissens

Wir appellieren auf der Basis der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Menschenwürde an Sie persönlich, die eingebrachte Novelle des Landes-Sicherheitsgesetzes nochmals kritisch zu reflektieren und dieser Novelle aus menschenrechtlichen Überlegungen keine Zustimmung zu erteilen. Jedenfalls ersuchen wir die Präsidialkonferenz des Landes Steiermark wie auch jeden einzelnen Abgeordneten zum Steiermärkischen Landtag, sicherzustellen, dass die diesbezügliche Abstimmung ohne Fraktionszwang auf der Grundlage der je persönlichen Gewissensentscheidung erfolgen möge.

Über Ihre geschätzte persönliche Rückmeldung auf unser menschenrechtliches Memorandum würden wir uns sehr freuen und verbleiben

Mit freundlichen Grüßen

Mag. Christian Ehetreiber, ARGE Jugend , Mitglied des Grazer Menschenrechtsbeirates

und weitere 200 UnterzeichnerInnen